Meinung
Pro & Contra: Soll man die Burka verbieten?
Darf der Staat Frauen vorschreiben, wie sie sich zu kleiden haben? Oder ist die Vollverschleierung ein Sonderfall? Deutschland und das Burka-Verbot: Frauke Wolter und Thomas Hauser argumentieren dafür – und dagegen.
Frauke Wolter (Pro), Thomas Hauser (Contra)
Do, 18. Aug 2016, 7:46 Uhr
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Wir möchten den Menschen sehen! Ein Verbot der Vollverschleierung würde das Zusammenleben der verschiedenen Kulturen fördern /
"Wir möchten den Menschen sehen!", fordert BZ-Redakteurin Frauke Wolter: Ein Verbot der Vollverschleierung würde das Zusammenleben der verschiedenen Kulturen fördern
Um es gleich vorweg zu sagen: Ein Burka-Verbot beziehungsweise das Verbot der Vollverschleierung wird in Deutschland nicht zu mehr Sicherheit im Kampf gegen den Terror führen. Zumal einer verschleierten Frau nicht per se terroristische Ambitionen unterstellt werden dürfen. Ein Verbot ist zudem wohl nicht gedeckt von dem hierzulande verfassungsrechtlichen garantierten Recht auf Meinungs- und Religionsfreiheit. Und es lässt sich – siehe die Erfahrungen in Frankreich – so gut wie nicht umsetzen. Trotzdem: Ein Verbot der Vollverschleierung würde das Zusammenleben der verschiedenen Kulturen in Deutschland eher befördern denn hemmen.
Denn es geht nicht darum, gegen Muslime und deren Kultur zu agieren. Es geht darum, unseren Begriff vom Miteinander zu bewahren. Wir möchten den Menschen sehen, mit dem wir es zu tun haben. Die Mimik ist wichtig für unsere Art zu kommunizieren. Ein Blick in das Gesicht und in die Augen hilft, das Gegenüber zu verorten. Das verschafft Sicherheit. Und gerade diese wünschen wir uns im Umgang mit Menschen, die uns erst einmal fremd sind. Sich kennenlernen, aufeinanderzugehen, sich verstehen – das funktioniert nicht gut, wenn das Gegenüber beinahe total verhüllt ist. Und dass das Gegenüber verhüllt ist, um gerade nicht mit einer freiheitlichen Welt in Kontakt zu kommen, auch und gerade weil es eine Frau ist, widerspricht ebenfalls unseren Vorstellungen von Gleichberechtigung und Freiheit.
Denn es ist etwas anderes, selbstbewusst ein Kopftuch zu tragen als geh- und sehbehindert durch die Gegend zu laufen. Das mag despektierlich klingen; aber es trifft die Realität. Das Bild einer Gruppe von Frauen im afghanischen Masar-e-Scharif hat sich da eingebrannt: Fünf Burka-Trägerinnen trippeln unsicher über die mit Schlaglöchern übersäte Straße, geführt von einem achtjährigen Jungen. Und noch etwas poppt in der Erinnerung auf: Eine Freundin in Katar, die von wilden Partys reicher, arabischer Frauen erzählt; als die bodenlange Abaya fiel und Strapse und High Heels zum Vorschein kamen.
Das sind nur kleine Einblicke, die von Widersprüchen erzählen. Natürlich können wir nicht wissen, ob es der Ehemann oder die Familie ist, die die Frauen unter den Schleier zwingen und dies auch hier in Deutschland tun. Wir können nur ahnen, wie stark die Macht der Tradition ist, und wie sehr unter Druck sich Frauen möglicherweise fühlen, wenn man sie zwingt, sich diesen zu widersetzen. Schließlich ist auch unser "dresscode" vielen fremd. Knappe Shorts, bauchfreie T-Shirts, "oben ohne" – auch unser Frauenbild sendet verwirrende Botschaften zwischen Freiheit und (Mode-)Diktat.
Trotzdem gehörten Burka und Vollverschleierung nicht zu Deutschland, nicht zu unserer Vorstellung einer offenen, sicheren und individualisierten Gesellschaft. Das gilt insbesondere bei Grenzübertritten, beim Sicherheitscheck am Flughafen, beim Besuch einer Bank beispielsweise oder beim Autofahren.
Frauen sollen zu sehen sein. Das bedeutet aber, dass es nicht reicht, ein Burka-Verbot durchzusetzen. Es gälte dann auch, muslimische Mädchen mehr zu unterstützen und zu fördern; den Kampf gegen Kinderehen und die Beschneidung mit eingeschlossen.
"Keine Symbolpolitik bitte! ", sagt BZ-Redakteur Thomas Hauser: Der islamistische Terror lässt sich nicht mit Bekleidungsvorschriften bekämpfen
Was eigentlich wollen wir verbieten? Wenn es nur die Burka wäre oder – weil viel häufiger – der Tschador oder der Niqab, da haben wir schon ganz andere Bekleidungsprovokationen schadlos überlebt. Aber es geht weniger um ein Kleidungsstück, sondern um eine Geisteshaltung. Die Vollverschleierung ist ein Symbol, das irritiert, verunsichert, nervt. Da verstecken Frauen nicht nur ihr Gesicht vor uns, sondern auch ihre Mimik, ihre Körpersprache. Dabei kann schon eine dunkle Sonnenbrille störend wirken. Eine Vollverschleierung verhöhnt – so betrachtet – unsere offene Gesellschaft. Sie stellt eine Frau als Privatbesitz ihres Mannes zur Schau. Das ist Abgrenzung, nicht Integration. Das ist unerträglich. Aber hülfe es, diese Vollverschleierung aus dem öffentlichen Leben zu verbannen? Es würde vielleicht unsere Nerven schonen, weil wir den Anblick nicht mehr ertragen müssten. Aber es würde das Problem wahrscheinlich eher verschärfen.
Warum das? Zunächst einmal, weil wir für ein Verbot unsere Grundrechte beugen müssten. Persönlichkeitsrechte und Religionsfreiheit sollte ein demokratischer Rechtsstaat selbst dann nicht leichtfertig einschränken, wenn deren Inanspruchnahme die Mehrheit der Gesellschaft herausfordert. Demokratie ist eben nicht die Diktatur der Mehrheit, sondern respektiert auch Minderheiten. Und, bei aller gebotenen Skepsis, es könnte auch Frauen geben, die sich freiwillig verschleiern.Wer aber beurteilt das?
Im Kampf gegen islamistischen Terror wäre ein solches Verbot wahrscheinlich kontraproduktiv – es würde Deutschland nicht sicherer machen. Die Diskussion darüber schürt bereits Vorurteile bei Muslimen wie Nicht-Muslimen. Sie bedient vorhandene Vorbehalte und Ängste, weil hier unterstellt wird, man müsse hinter jeder Vollverschleierung eine Selbstmordattentäterin vermuten. Zugleich erleichtert sie Muslimen eine verbreitete Opferrhetorik, sie seien in diesem als fremd und intolerant empfundenen Staat ungeliebt, ausgeschlossen und unterdrückt. Das könnte Gräben vertiefen und Parallelgesellschaften zementieren.
Den unterdrückten Frauen hülfe ein solches Verbot zudem wahrscheinlich wenig. Wer seine Frau als Privatbesitz betrachtet und den Augen der Öffentlichkeit entziehen will, wird ihr dann wahrscheinlich untersagen, die eigene Wohnung zu verlassen.
Schließlich: Wer ein solches Verbot ausspricht, provoziert Trotz, dann erst recht verschleiert zu gehen oder gehen zu lassen. Und er muss dieses Verbot auch durchsetzen wollen und können. In Frankreich zeigt sich, dass dies nicht funktioniert, sei es, weil die Polizisten auf der Straße die Auseinandersetzung scheuen oder weil sie Wichtigeres zu tun haben. Eine solche Situation aber wäre ein Triumph für die Islamisten.
Über punktuelle Einschränkungen dieses Rechts sollte man gleichwohl reden: Gerechtfertigt ist es überall dort, wo eine klare Identifizierung nötig ist oder die Verschleierung zu einer konkreten Gefährdung anderer führen kann – am Autosteuer, bei Sicherheitskontrollen oder im Amt. Aber machen wir uns nichts vor: Der Kampf gegen den Islamismus lässt sich nicht mit Bekleidungsvorschriften gewinnen. Vergeuden wir unsere Energie also nicht mit Symbolpolitik.
Eine Burka ist die extremste Form der Verschleierung und wird in der Regel nur in Afghanistan und Pakistan getragen. Es gibt sie in Blau und in Weiß. Die Frauen können nur durch ein Gitterfenster und nur nach vorne sehen. Beim Niqab bedeckt der Schleier den ganzen Kopf; einzig die Augenpartie ist frei. Hinzu kommt ein schwarzes Gewand. Die Abaya ist ein schwarzes, mantelartiges Übergewand und ist in Saudi-Arabien für Frauen vorgeschrieben. Des Weiteren gibt es den schwarzen Tschador (Iran), der den ganzen Körper der Frau verhüllt, den Chimar (mantelartiger Schleier), die al-Amira (zweigeteilte Kopfbedeckung) und den Hidschab. Dieses Kopftuch ist die meist getragene Kopfbedeckung muslimischer Frauen. Geht es um das Burka-Verbot, sind die Burka und der Niqab gemeint.
- Kontakt zur Autorin Frauke Wolter: [email protected]
- Kontakt zum Autor Thomas Hauser: [email protected]
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