Oscar-Favorit
Politik-Satire "Vice": Planspiele der Macht
Ein Machiavelli der Hinterzimmer Adam McKays für acht Oscars nominierte Polit-Satire "Vice" über den Machtpolitiker und Strippenzieher Dick Cheney.
Mi, 20. Feb 2019, 19:48 Uhr
Kino
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Richard "Dick" Cheney hat etwas aus sich gemacht: Unter Gerald Ford war der Republikaner von 1975 bis 1977 der jüngste Stabschef des Weißen Hauses, unter George Bush von 1989 bis 1993 Verteidigungsminister, unter George W. Bush von 2001 bis 2009 der 46. Vizepräsident der Vereinigten Staaten. Aber was heißt schon "unter"? Cheney, so legt es die Politsatire "Vice – Der zweite Mann" von Adam McKay nahe, schien es reichlich egal, unter wem er tun konnte, was er wollte. Und was er wollte, war: Macht.
Mit acht Nominierungen zieht der Film in die Oscar-Nacht am 24. Februar – und hat gute Chancen auf die Hauptpreise, schon weil die traditionell liberale Jury in Zeiten Trump’scher Herrschaft für eine schöne Provokation immer zu haben ist. Erst recht, wenn sie nicht leerer Fake ist: McKay hat für sein Drehbuch gründlich recherchiert und bleibt nah an den Fakten. Und dass Cheney nach 9/11 einer der federführenden US-Politiker war, im Kampf gegen den Terror, als Befürworter des Irakkriegs, dürfte unumstritten sein.
Was "Vice" aber aus den Eckdaten der Geschichte macht, das ist ein echter McKay: Der 1968 in Philadelphia geborene Filmemacher, der für die Comedy-Show "Saturday Night Live" schrieb und alberne Komödien drehte, blieb seiner Lust am Lustspiel auch treu, als er mit der Bankensatire "The Big Short" das verminte Feld der Finanzwirtschaft betrat. Sie brachte McKay 2016 einen Oscar – und Kritikerlob weltweit: Der kühne Genremix und die dynamische Inszenierung waren innovativ, frech und unterhaltsam.
Diesen Erzählstil zeigt er auch in "Vice". Da öffnet sich etwa die vierte Wand und ein Mann aus dem Volk (Jesse Plemons), dessen (postmortale) Bedeutung wir erst am Ende erfahren, wendet sich ans Publikum: Erzähler, Komplize, ironische Behauptung der Volkssouveränität. Die Kamera (Greig Fraser) findet überraschende Perspektiven, beäugt das Geschehen mal argwöhnisch, mal belustigt. Der Schnitt (Hank Corwin) sorgt für ein rasantes Tempo und kappt auch mal das Ende eines Dialogs: klar, was da läuft...
Überraschungen gibt es zuhauf. Da führen Dick und Lynne ein Bettgespräch in shakespearischen Versen. Da läuft – was für ein inszenatorischer Gag! – mitten im Film ein Abspann, der ein süßliches Happyend serviert und behauptet, Dick und Lynne lebten fortan glücklich auf dem Lande und züchteten Golden Retriever.
Nein, sich oben halten!
Und, wie ist er nun, dieser Dick Cheney? Nichts zu greifen. Wir sehen ihn als passionierten Fliegenfischer, geduldig, schweigsam – und erleben, wie er mit genau diesen Eigenschaften die Leute fängt. Und zwar alle, bis in die höchsten Etagen, was die Kollektion allerschönster Angelhaken unterstreicht, die im Abspann präsentiert wird. Wir sehen ihn als liebevollen Vater, der seine Mary sofort in den Arm nimmt, nachdem die sich als lesbisch geoutet hat: Wir stehen zu dir. Tun sie aber nicht lange. Als Liz, die andere Tochter, für ihre politische Karriere vom Vater eine klare Absage an die Homo-Ehe braucht, ringt Dick sich dazu durch – Lynne, die von einer großartigen Amy Adams als lächelnde Schaltzentrale der Cheney’schen Macht verkörpert wird, hat es ihm mit einem einzigen Blick befohlen.
Wo steht er, dieser Dick Cheney? Bei den Republikanern landete der Sohn eines Demokraten eher zufällig, jetzt sind die halt die Leiter, auf der er klettert. Bis ganz nach oben, als Strippenzieher eines schwachen Präsidenten. In einer der vielen hinreißenden Szenen sitzt er mit Bush junior an einem Gartentisch und handelt die Bedingungen für seine Vizepräsidentschaft aus. George W., den Sam Rockwell so komisch und glaubwürdig als manipulierbaren kleinen Cowboy zeigt, dass der Oscar ihm zu gönnen wäre, hat die Füße auf den Tisch gelegt, um seine dürftige Präsenz zu vergrößern. Und scheint gar nicht zu merken, wie Dick ihn da überrumpelt und sich beiläufig alle wichtigen Ressorts sichert: Kerlig sagt er am Ende "Deal!", als wäre gerade ein Pakt unter Männern eisenhart erstritten worden.
Christian Bale hat sich für die Rolle 17 Kilo angefressen (er ist sie wieder los, wie jetzt bei der Berlinale zu sehen war) und verwandelt sich mit phänomenaler Maske (Greg Cannom, "Benjamin Button") seiner Figur vollkommen an. Auch er spielt absolut oscarwürdig: Dick Cheney als Machiavelli der Hinterzimmer, nie laut, nie im Rampenlicht, aber immer da.
Einmal fragt er Donald Rumsfeld (Steve Carell), den er im Lauf der Jahre vom Chef zum Untergebenen gemacht hat und mit dem er fast eine Buddy-Beziehung pflegt: "Woran glaubst du?" Der andere wiederholt die Frage verblüfft – und allmählich zeichnet sich auf den Gesichtern der beiden Männer ein Grinsen ab, es wird zum Lachen, laut, schallend, nicht endenwollend: An etwas glauben? Eine Haltung haben? Wie köstlich! Es geht doch nur darum, sich zu halten auf der Leiter der Macht. Eine Schlüsselszene. Und: zum Totlachen.
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