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Fachkräftemangel

Pflege-Azubis ärgern sich über schlechten Ruf

Nachtschichten, kaum Anerkennung, wenig Geld:Pflegeberufe haben einen schlechten Ruf – doch die Ausbildungszahlen steigen. Trotzdem fehlen noch immer Fachkräfte. Schülerinnen aus Lörrach berichten aus ihrem Arbeitsalltag.  

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Dankbarkeit, die ihr Patienten entgegen bringen, ist für die Auszubildende Dilek Dagtekin (rechts) der größte Lohn. Foto: Kliniken des Landkreises Lörrach
Warum interessieren sich junge Menschen für einen Beruf, bei dem die Arbeitsbedingungen ständig in der Kritik stehen? "Wegen den Menschen", sagt Jana Blackwell, "man sieht am Ende des Tages, was man für seine Patienten gemacht hat." Sie ist Auszubildende im dritten Lehrjahr an den Kliniken des Landkreises Lörrach, ab September darf sie sich Gesundheits- und Krankenpflegerin nennen. Seit fünf Jahre arbeitet die 25-Jährige nun schon in der Pflege. Ob sie es bereut? "Es war ein langer Weg, aber ich würde es trotzdem jederzeit wiedertun."

Die Überzeugung, die aus ihren Worten spricht, spiegelt sich auch in den Zahlen wider: In Baden-Württemberg ist die Anzahl der Auszubildenden in Pflegeberufen laut einer Erhebung des Statistischen Landesamts von 8821 im Jahr 2015 auf 9662 im Jahr 2017 gestiegen. Dazu zählen Gesundheits- und Kranken-, Gesundheits- und Kinder- sowie Altenpflegekräfte. Ab 2020 wird die Ausbildung in der sogenannten generalistischen Pflegeausbildung zusammengefasst – wer einen Abschluss hat, soll in allen Pflegebereichen arbeiten können.

Nur vereinzelt Abbrüche aufgrund mangelnder Leistungen

Aus eigenen Stücken habe die Ausbildung bei ihnen seit 2013 niemand mehr abgebrochen, sagt Christina Ade-Schwöble, Leiterin der Pflegeschule in Lörrach: "Das war normalerweise auch nicht aus fehlender Liebe zum Beruf. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Auszubildenden, der Profifußballer werden wollte. Und da hat die Lehre natürlich nicht gepasst." Sie lacht. Abbrüche aufgrund mangelnder Leistungen gebe es nur vereinzelt, so Ade-Schwöble, "vielleicht einen pro Kurs". Zu den Abbruchquoten auf Landes- und Bundesebene gibt es derzeit noch keine Daten, wie Claudia Böcker vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) mitteilt.

Die Kliniken in Lörrach setzen seit jeher ein Praktikum für die Bewerbung um einen Ausbildungsplatz voraus. Mindestens vier Wochen lang können Interessierte so schon einmal vorfühlen, ob sie sich ein Leben in der Pflege vorstellen können – und die Klinik kann umgekehrt feststellen, ob sie sich dafür eignen. Auch ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) kann dort neuerdings abgeleistet werden.

"Draußen gibt es schon viele blöde Klischees." Jane Blackwell
Auf diese Weise ist Serena Valeriani an die Schule gekommen. Ein halbes Jahr FSJ, dann stand ihr Plan fest. "Ich interessiere mich für alles Medizinische und mag es einfach, Menschen zu pflegen", so die 20-Jährige. Viele Außenstehende würden unterschätzen, was man als Pflegerin alles wissen muss: "Wir müssen ja mit den Ärzten sprechen können und verstehen, wovon sie reden."

Deshalb beinhaltet ihre Ausbildung die verschiedensten theoretischen Inhalte, unter anderem Anatomie, Innere Medizin, Neurologie und Psychologie. Das verzerrte Bild, das die Öffentlichkeit von dem Beruf habe, stört auch Jane Blackwell: "Draußen gibt es schon viele blöde Klischees." Sprüche wie "Ihr seid doch nur die Arsch-Abwischer" müsse sie sich häufiger gefallen lassen. Daran seien auch die Medien schuld, findet die junge Frau: "Das fängt schon bei Serien an, in denen die Krankenpfleger nur rumsitzen. Es wird so dargestellt, als ob die Ärzte alles machen würden. Und die Pflege ist nur Deko."

Auf Kinderstationen ist die Herausforderung groß

Um mit derartigen Vorurteilen aufzuräumen, versucht Matthias Jenny, Pflegedirektor des Evangelischen Diakoniekrankenhauses in Freiburg, seit vier Jahren ein besonderes Projekt auf die Beine zu stellen: Ein Informationsbus, der landesweit von Schule zu Schule zieht, um den Jugendlichen die Arbeit in der Pflege wieder näherzubringen. "Ein Großteil der Auszubildenden wird über Praktika oder ein FSJ geworben", erklärt der Pflegedirektor, "doch das Gesundheitswesen hat es viel zu lange verschlafen, dafür Werbung zu machen." Momentan fehlt für die Umsetzung seiner Vision aber noch das Geld.

Im Arbeitsalltag gibt es auch Situationen, die die Pflegeschülerinnen herausfordern. Dilek Dagtekin, Auszubildende in Lörrach im dritten Jahr, gefällt die Arbeit auf den Kinderstationen am besten. Allerdings falle es ihr schwer, den Tod von Kindern zu akzeptieren. "Ich bin eher hart veranlagt, weniger emotional. Bei älteren Menschen kann ich deshalb recht gut damit umgehen, wenn jemand stirbt", sagt Dagtekin, "aber bei Kindern ist das schon echt schlimm."

Auch der Versorgungsschlüssel ist ein Problem

Doch die Auszubildenden werden mit dieser Herausforderung nicht allein gelassen. Nach jeder heiklen Situation im Klinikalltag – zum Beispiel nach einer Reanimation, egal ob erfolgreich oder nicht – gebe es ein sogenanntes "Time-out", eine kurze Unterbrechung, so Blackwell, in der sich das ganze Team zusammensetze und über das Geschehene spreche. Die Ausbildung beinhaltet zudem ein Sterbeseminar, in dem sich die Schülerinnen und Schüler intensiv mit dem Thema Tod auseinandersetzen.

Auch der Versorgungsschlüssel ist ein Problem: Auf einer Normalstation ist eine Pflegekraft tagsüber für durchschnittlich 12 Patienten zuständig. Da komme es immer wieder vor, dass ein Patient ungeduldig und verständnislos reagiere, erzählt Blackwell: "Wenn jemand zum Beispiel Schmerzen hat, darf ich die Paracetamol-Dosierung nicht eigenständig erhöhen, sondern muss dafür erst einem Arzt hinterherrennen, der kaum Zeit hat." Dass der Betroffene ungehalten werde, könne sie nachvollziehen: "Wenn es mir schlecht geht, habe ich auch kein Verständnis und will sofort versorgt werden."

1303,38 Euro brutto im dritten Ausbildungsjahr

Daher wünscht sich Jana Blackwell mehr Eigenverantwortung und Kompetenzen für die Pflegekräfte. Bisher sei dies jedoch auch im neuen Ausbildungsmodell nicht vorgesehen, so Praxisanleiterin Ludovica Draga. Auch für sie ist das Arbeitspensum oft schwer zu bewältigen: "Im Pflegealltag herrschen Zeitmangel und Arbeitsverdichtung", so Draga, "gleichzeitig steigen die Anforderungen an die praktische Pflegeausbildung. Die Praxisanleiter, die zugleich auch Pflegende sind, kommen oft in einen Konflikt."

Ab der Mitte des zweiten Ausbildungsjahrs kommen die Nachtschichten dazu. Blackwell und Dagtekin macht das jedoch nichts aus. Ganz im Gegenteil: "Ich arbeite eigentlich am liebsten in der Nachtschicht", sagt Blackwell und fügt lachend hinzu: "Dann kann ich am Morgen ausschlafen." Auch die Bezahlung empfinde sie als gar nicht so schlecht: "Da gibt es viel schlechter bezahlte Berufe. Viele Bekannte, die mich danach fragen, sind überrascht, wie viel es doch ist." Im dritten Ausbildungsjahr verdient sie 1303,38 Euro brutto im Monat, als fertig ausgebildete Gesundheits- und Krankenpflegerin 2801,30 Euro.

In erster Linie wünschen sich die Auszubildenden um Blackwell ein Umdenken in der Gesellschaft: "Der Beruf darf nicht immer so schlecht geredet werden. Eigentlich sollte jeder mal in der Pflege gearbeitet haben."

Ressort: Südwest

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mo, 08. Juli 2019: PDF-Version herunterladen

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