Account/Login

Interview

Ortenauer Verbandschorleiter zum Chorsterben: "Pandemie hat große Lücken hinterlassen"

Hubert Röderer
  • Mi, 11. September 2024, 11:30 Uhr
    Offenburg

     

Fast im Monatsrhythmus ist zu lesen, dass Laienchöre aus Personalmangel aufgeben. Ist Chorgesang überhaupt noch "in"? Antworten gibt Frank Döhring, Verbandschorleiter des Ortenauer Chorverbandes.

Um den Abgang von Männerstimmen zu kompensieren, hat der Männergesangverein Oberschopfheim bereits 1997 den Chor auch für Frauen geöffnet. Seither heißt der Verein Chorgemeinschaft. Foto: Hubert Röderer
1/2
Der Chorverband bietet demnächst zwei Lehrgänge für Vizechorleiter an – als gäbe es das Chorsterben nicht. Das Angebot kommt an: Zehn Interessierte haben sich laut Frank Döhring bereits angemeldet – je fünf Männer und Frauen. Weitere sind willkommen.

BZ: Eigentlich müsste doch die Zahl der aktuellen Chorleiter gut ausreichen...?
Es fehlen uns viele Dirigenten und Dirigentinnen. Die Pandemie hat große Lücken hinterlassen. Die meisten – freie Künstler – haben sich nach sicheren Jobs umgesehen. Sie waren Garanten für gute Qualität. Umso wichtiger ist es jetzt, Nachfolger auszubilden und die Chancen zu nutzen, die uns frisches Blut in den Reihen gibt.

BZ: Was für Aufgaben sollen diese Vizechorleiter übernehmen?
Zunächst: den Chorleiter zu vertreten, bekannte Stücke zu proben und eventuell auch aufzuführen. Nie waren Vizechorleiter wichtiger als heute. Viele Dirigenten haben mehrere Chöre, und so entstehen Zeitkollisionen. Oder es gibt Vereine, die keinen Dirigenten mehr haben. Die Vizechorleiter können dann den Probebetrieb aufrecht erhalten. Aber es ist auch ein Sprungbrett für die Dirigentenausbildung im Nebenberuf. Ich bin stolz darauf, dass einige meiner Absolventen heute Dirigentenkollegen sind.

BZ: Welche Voraussetzungen sollen Kursteilnehmer erfüllen?
Liebe zur Musik, Umgang mit Menschen. Beherrschung eines Musikinstrumentes und auch der Noten sind von Vorteil.
"Nie waren Vizechorleiter wichtiger als heute."

BZ: Vor 122 Jahren haben 27 Vereine den Ortenauer Sängerbund gegründet. Wie viele Mitgliedsvereine hat denn der Ortenauer Chorverband, wie er heute heißt?
Wir haben 77 Chöre und weit über 2700 Sängerinnen und Sänger, davon 42 gemischte, acht Frauen- und 33 Männerchöre sowie eine Instrumentengruppe. Was uns besonders freut, ist, dass wir wieder 18 Jugendchöre im Verband haben. Und es werden mehr…

BZ: In den vergangenen 20 Jahren haben mehrere Chöre den Betrieb eingestellt.
Das ist richtig. Leider hat die Pandemie eine schmerzhafte Auslese getroffen. Nach der langen Zeit der coronabedingten Singpause haben viele Ältere gesagt: "Ich höre auf." Ganze Chöre hat es getroffen. Ein Chor besteht in der Regel aus vier Gruppen. Wenn aus einer oder mehreren davon Menschen fehlen, ist er nicht mehr singfähig.

"Männerchöre tun sich schwer."

BZ: Gibt es denn auch Neugründungen von Chören?
Ja, wir haben im Verband einige Neuanmeldungen. Das sind in der Regel gemischte Chöre oder Frauenchöre. Auch einige Schulchöre gehören dem Verband an, um Angebote – etwa Schulungen – in Anspruch nehmen zu können. Männerchöre hingegen tun sich schwer. Umgekehrt machen modernere Lieder und begeisterungsfähige jüngere Menschen wieder Hoffnung, dass sich was tut.

BZ: Sind die Probleme, die zum Aus geführt haben, nicht häufig hausgemacht, also selbstverschuldet?
Es wäre zu einfach, Ja zu sagen. Wenn Sie etwas gerne tun und es Ihnen Spaß macht, möchten Sie das auch gerne weiter pflegen. Möchte man hier von Schuld sprechen? Es gibt aber durchaus einen Wandel hin zu modernerem Liedgut. Hier helfen wir als Chorverband gerne.

BZ: Welches Liedgut ist für einen guten Laienchor unverzichtbar?
Ein guter Laienchor beherrscht sein bisheriges Liedgut und ist bereit, modernes zu üben, auch den Ausflug in andere Sprachen zu wagen oder auch mal rockig zu werden. Ich kann nur von meinen Chören sprechen, die da singen "Weus‘d a Herz hast wie a Bergwerk", "An Tagen wie diesen", "Engel‘ von Rammstein", "Rock me" von VoXXclub. Das begeistert viele jüngere Leute, aber das kann man nicht mit jedem Chor singen.

"Wenn einem Sänger, der kein Englisch kann, niemand erklärt, was er gerade singt, dann klingt es ganz genau so – ohne Emotionen."

BZ: Wie stehen Sie dazu, auch Stücke von BAP oder Herbert Grönemeyer ins Repertoire aufzunehmen?
Die Frage vorher beantwortet es: Ich bin dafür. Leider gibt es nicht viele gute Partituren.

BZ: Sie begrüßen auch englisch gesungene Popsongs im Laienchor.
Wenn sie gut gesungen sind, ja. Wenn aber einem Sänger, der kein Englisch kann, niemand erklärt, was er gerade singt, dann klingt es ganz genau so – ohne Emotionen.


BZ: Ist es für einen Verein nicht schon fast unverzichtbar, einen eigenen Kinder- und/oder Jugendchor zu gründen?
Das machen mittlerweile viele der 77 Vereine und der dazu gehörigen Chöre.

Frank Döhring (1959) ist verheiratet, hat zwei Söhne und drei Enkelkinder. Er ist Werkzeugmachermeister, Dirigent und seit 15 Jahren Verbandschorleiter im Ortenauer Chorverband. Über ihn erfolgt auch die Anmeldung für den Vizechorleiter-Lehrgang, E-Mail [email protected]


BZ: Immer wieder liest man von Projektchören: Man probt zusammen, tritt auf und beginnt irgendwann das nächste Projekt. Ist das die Zukunft des Laienchorgesangs?
Eindeutig nein. Projektchöre sind eine Bereicherung und eine Möglichkeit der Integration, aber kein Allheilmittel. Zwar möchten Menschen sich grundsätzlich heute weniger binden, und das spräche für den Projektchor. Aber ein Chor braucht Nähe, Vertrauen und Kontinuität. Durch Projektchöre kann man auf den Geschmack kommen, mehr nicht.

"Im Mittelpunkt muss immer der Gesang stehen."

BZ: Jüngere Menschen brauchen manchmal zusätzliche Anreize. Wie wichtig sind Showelemente oder Lichteffekte für den Chorgesang der Zukunft?
Eine sehr schwierige Frage. Im Mittelpunkt muss immer der Gesang stehen. Es ist nicht, gut, durch Ablenkung und Show das Ganze zu verwischen.


BZ: Tun die Vereine genügend, um neue Mitglieder zu werben?
Man kann die Chöre und den Verband auf fast allen neuen Medien verfolgen, auch liken. Auch die Gestaltung bringt immer wieder Neues. Manchmal bin selbst ich verblüfft, was Chören alles einfällt. Wir bieten im November offene Chorproben für alle Chöre an, um sich auszuprobieren und zu schnuppern.

Der Sängerbund Zell-Weierbach feiert am 22. September in der Abtsberghalle seinen 160. Geburtstag mit einem "Fest der Chöre", an dem zehn Chöre teilnehmen.

Mehr zum Thema:

Ressort: Offenburg

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mi, 11. September 2024: PDF-Version herunterladen

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare

Um Artikel auf BZ-Online kommentieren zu können müssen Sie bei "Meine BZ" angemeldet sein.
Beachten Sie bitte unsere Diskussionsregeln, die Netiquette.

Sie haben noch keinen "Meine BZ" Account? Jetzt registrieren


Weitere Artikel