Neu im Kino
"Spotlight" erzählt, wie Journalisten den Missbrauch in der Kirche aufdeckten
Manche Filme beeindrucken nicht nur durch das, was sie sind, sondern auch durch das, was sie nicht sind. "Spotlight" von Tom McCarthy ist so ein Fall.
Kai Mihm
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Der Film rekonstruiert, wie das investigative Spotlight-Team der Tageszeitung "Boston Globe" im Jahr 2001 einem weitreichenden Skandal auf die Spur kommt: der systematischen Vertuschung von Kindesmissbrauch durch katholische Geistliche. Die Opferfamilien wurden vom Bistum mit Schweigegeld abgefertigt, die insgesamt 87 Täter versetzt oder nach einer Krankschreibung wieder in Amt und Würden genommen. Besonders delikat wird der Fall, weil offenbar auch die Bostoner Justiz in die Vertuschungen involviert ist. Und besonders heikel sind die Recherchen, weil der Einfluss der Bostoner Diözese bis in höchste Kreise reicht.
Immer wieder zeigt "Spotlight" in wie beiläufigen, fein ausgespielten Szenen, dass Boston nominell zwar eine Metropole, aber in den gesellschaftlichen und klerikalen Verflechtungen noch immer ein Dorf ist. So muss auch Marty Baron (Liev Schreiber), der neu zugezogene Chefredakteur des Globe, dem Erzbischof seine Aufwartung machen, weil die lokale Tradition es gebietet. In einem cleveren Schachzug inszeniert McCarthy das wie einen Besuch beim örtlichen Mafiapaten. Wie überhaupt die katholische Kirche auf subtile Weise als eine alles durchdringende Macht porträtiert wird. Man kennt sich, man versteht sich, man schaut weg.
Entsprechend irritiert fällt denn auch die Reaktion des altgedienten Spotlight-Teams aus, als der neue Chefredakteur keine Scheu zeigt, sich mit dem mächtigen Bistum anzulegen. Liev Schreiber spielt diesen Marty Baron als stillen Profi mit einer an Stoizismus grenzenden Gelassenheit. Dahinter bleibt freilich eine unnachgiebige Zielstrebigkeit spürbar.
Als unverheirateter Jude aus Florida bewahrt Schreiber im katholisch verfilzten Boston den kühlen Blick des Außenseiters, wenn seine Kollegen reflexhaft in Deckung gehen wollen. Mit der Konzentration nicht auf den Skandal nach dem Artikel, sondern auf die monatelangen Recherchen ist "Spotlight" nicht zuletzt eine Hommage an klassischen Qualitätsjournalismus.
Wenn Michael Keaton als Redakteur Walter "Robby" Robinson zu Beginn erklärt, die Recherche zu einer Spotlight-Reportage könne ein Jahr dauern, mutet das aus heutiger Perspektive geradezu aberwitzig an. Wir sehen ihn und seine Crew beim mühseligen Klinkenputzen, auf der Suche nach Zeitzeugen, an Kopiergeräten und beim Durchforsten überquellender Aktenmappen. Digital ist im Jahr 2001 noch gar nichts. Gerade durch diese Taktilität gewinnt der Film eine ganz eigene Sinnlichkeit und eine im besten Sinne altmodische, unmittelbare Dynamik.
Es zeugt vom Respekt vor den realen Opfern, dass McCarthy die Geschichte in jeder Hinsicht betont zurückgenommen inszeniert. Er verzichtet auf emotionalisierende Effekte, es gibt keine dramatischen Konfrontationen und keine geraunten Bedrohungen. Kameramann Masanobu Takayanagi, der schon den Boston-Film "Black Mass" gedreht hat, vermittelt ein Gefühl für die nachbarschaftlichen Viertel wie auch für die bürgerlichen Milieus der Stadt – und für das zunehmend darüberliegende Unbehagen. Die Bedeutung einzelner Schlüsselmomente unterstreicht er durch feinste Stilmittel.
Am elegantesten tut er das in einer Szene, bei der die Journalisten von einem Anrufer schockierende Zahlen über priesterlichen Missbrauch erfahren: Je weiter die Täterkreise sich ziehen, desto weiter fährt die Kamera ganz langsam von der gebannt zuhörenden Gruppe zurück, als müsste sie ihnen Raum geben, um das unfassbare Ausmaß zu verarbeiten. Dieses Gefühl der Uferlosigkeit hält sich bis zum Schluss, als die Reportage erscheint.
Trotz ihrer Unerschrockenheit werden Baron, Robinson und ihre Crew nicht zu Volkshelden stilisiert. McCarthys Haltung ist klar. Diese Journalisten haben etwas Bahnbrechendes erreicht, aber zum Triumphieren gibt es bei einer solchen Geschichte keinen Grund.
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