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Nichts für zartbesaitete Gemüter

  • Mo, 23. September 2024
    Staufen

     

Im literarischen Salon in Staufen stellt Wolfgang Wissler seinen Nachkriegsroman "Straffers Nacht" vor. Darin zeigt sich zwischen Schuld und Angst die Erbärmlichkeit des Menschen.

Der Konstanzer Autor Wolfgang Wissler ...an „Straffers Nacht“ vor.   | Foto: Bianca Flier
Der Konstanzer Autor Wolfgang Wissler (links) stellte im Dialog mit Gerwig Epkes seinen Nachkriegsroman „Straffers Nacht“ vor. Foto: Bianca Flier
Im Rahmen der Reihe "Der literarische Salon" stellte der Konstanzer Autor Wolfgang Wissler seinen im August 2023 erschienenen Nachkriegsroman "Straffers Nacht" vor. Die Präsentation der düsteren Geschichte eines ehemaligen SS-Offiziers entfaltete sich im Gespräch mit dem SWR-Literatur-Redakteur Gerwig Epkes zu einem erschütternden und rasanten Drama.

Das Thema, sagt der Staufener Archivar Christof Diedrichs, fügt sich sehr gut ins aktuelle Zeitgeschehen ein. Durch den Dialog zwischen Wissler und Epkes sowie die Lesung konnten die gebannten Zuhörer in ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte eintauchen. Mit der fiktiven Figur des SS-Obergruppenführers Erich Straffer hat der Autor eine wahre Monstrosität geschaffen. Ausgangspunkt des Romans ist die Frage: Wo sind all die Männer geblieben? All diejenigen, die auf Wehrlose geschossen und immer wieder nachgeladen haben, bis tiefe Gruben vollends mit Leichen gefüllt waren. In der Person des Erich Straffer wird ein solcher Täter zum Leben erweckt. Dabei ist es dem Autor auf beinahe furchteinflößende und intensive Weise gelungen, die Täterperspektive einzunehmen.

Protagonist Erich Straffer ist sich seiner Schuld bewusst, versucht aber fortwährend, seine Taten zu rechtfertigen. Zusammen mit seiner Frau Magda und seinen Söhnen lebt er in einer Zweizimmerwohnung in einer Fabrik, für die er als Nachtwächter arbeitet. Seine Frau weiß von seinen Verbrechen und wirft ihm vor, dass er sich "wie Ungeziefer in der Nacht verkriecht". Straffer weiß, dass seine Frau recht hat. Seine Schuld drückt ihn nieder, doch er kann sich nicht zu bekennender Reue durchringen.

Die Schilderung einer Massenerschießung, bei welcher die zugeschüttete Grube durch die von den Toten aufsteigenden Gase an der Oberfläche Wellen zu schlagen beginnt, gehörte zu den schauerlichsten Szenen des Leseabends. Sie verdeutlichte drastisch, warum der Protagonist über seine Schuld nicht hinwegkommen kann, warum die "Erinnerungen ihn bestrafen".

Auch bei einem Urlaub in einem bayrischen Gasthof, der seinem ehemaligen Nazi-Kameraden Alois und dessen Frau gehört, kommt Straffer nicht zur Ruhe. Nur zu gut erinnert er sich an die Untaten, die sein Kindheitsfreund während der NS-Zeit begangen hat. Die "Schmierenkomödie", welche Alois und seine Frau aufführen, widert Straffer an. Doch erneut kann er nicht über seinen Schatten springen. Die Angst davor, doch noch für seine Verbrechen zur Verantwortung gezogen zu werden, ist größer als das Schuldbewusstsein.

Eine Episode aus seiner NS-Vergangenheit, in welcher er mit einem weiteren SS-Mann und zwei jüdischen Häftlingen in einem Bergwerk verschüttet wird, offenbart die ganze Erbärmlichkeit von Straffers Charakter. Trotz gegebenen Ehrenworts lässt er die beiden Häftlinge nach der Rettung erschießen.

Nur am Rande wird die zweite Hauptperson des Romans erwähnt. Ein junger Jude aus Tel Aviv wird nach dem Krieg eines Tages Straffers Kollege. Der junge Mann ist auf der Suche nach dem Mörder seines Onkels, ohne zu wissen, dass er ihn schon gefunden hat. Der Onkel ist nämlich einer der beiden Häftlinge, die Straffer nach der Verschüttung im Bergwerk ohne Erbarmen hat erschießen lassen.

Mit "Straffers Nacht" thematisiert Wolfgang Wissler das traumatischste Kapitel der deutschen Geschichte. Es ist der rabenschwarze Schluss, der Straffer zum Monster stilisiert. Nur so viel: Es ist keine Lektüre für Zartbesaitete.

Ressort: Staufen

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