Neue Perspektiven vom Fliegen ohne Motor
EIN TAG bei den "Meerwein"-Segelfliegern in Kirchzarten und hoch über dem Schwarzwald / Erst ein großes Bibbern, dann aber unglaublich viel Spaß.
JuZ-Mitarbeiterin Julia Becker
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Die selbständige Mithilfe der Flieger verwundert mich und so setze ich mich, um nicht im Weg zu stehen, in einen umgebauten Käfer und sehe dem Ganzen erstmal interessiert zu. Anscheinend, und das wird mir auch später bestätigt, weiß jeder was er tut und wofür er zuständig ist. Nach kurzer Zeit sind die sechs Segelflugzeuge zusammengebaut und auf ihre Sicherheit überprüft, die Hallentüren werden geschlossen und die Flugzeuge mit den Autos auf den Startplatz gebracht.
Dort versammeln sich alle Flieger, um den Ablauf zu besprechen und die Reihenfolge der Aufgaben abzusprechen. Und dann, ohne dass ich wirklich etwas davon mitbekomme, ist der erste schon oben, gewinnt an Höhe und dreht behände eine Kurve bis er immer kleiner wird und schließlich über den Bergen des Schwarzwaldes verschwindet.
Zehn Minuten später ist er wieder gelandet. Zehn Minuten? So kurz? Während die nächsten Flugzeuge in die warmen Sommerlüfte starten und die Betreuer und ich auf dem Rücken in der Sonne liegen und ihnen zusehen, bekomme ich alles erklärt: Am Anfang starten meistens die Flugschüler mit dem Fluglehrer. Sie fliegen recht kurz, weil das Fliegen selbst das Leichteste ist und Start und Landung am meisten geübt werden müssen. Fliegen darf man bereits mit 14 Jahren, (eine Alternative zum Führerschein?). Den Flugschein, der einem erlaubt alleine zu Fliegen, kann man mit 16 machen.
Der Segelflugverein "Meerwein" hat auf dem Kichzartener Flugplatz vier Segelflieger (drei Einsitzer- und einen Doppelsitzer), ein Ultraleichtflugzeug, und in einer Haltergemeinschaft mit einem anderen Segelsportverein noch einen Motorsegler und eine Schleppmaschine. Außerdem gibt es noch drei Autos, über die sich besonders die unter 17-Jährigen freuen, da sie auf dem vereinseigenen Gelände ohne Führerschein Auto fahren dürfen. Der Verein hat insgesamt 70 Mitglieder, besonderer Wert wird auf die Ausbildung der Jugendlichen (14 bis 25 Jahre) gelegt, die in dieser entspannten und freundlichen Atmosphäre "ein schönes und ungefährliches Hobby" genießen, wie ich erfahre. Ein Jahresbeitrag für Jugendliche beträgt 650 Euro (Erwachsene 850 Euro), dafür kann man so oft und so lange man möchte fliegen.
Hochgezogen werden die Flugzeuge (da sie keinen eigenen Antrieb haben) mit einer Seilwinde – oben bleiben sie nicht nur durch den Wind, sondern eher wegen der Thermik. Wenn der Segelflieger eine Höhe von 350 Metern erreicht, klinkt sich das Seil aus und das Flugzeug ist frei in den Lüften.
So langsam haben sich neben einigen Schaulustigen auch zwei Erstflieger versammelt, die aufgeregt auf dem kleinen Bänkchen hin und her rutschen. Etwas später kommt noch eine vierköpfige Familie, die ihren Sohn auf seinem ersten Flug, den er von seinen Eltern zum 14. Geburtstag bekommen hatte, begleitet, hinzu. Und dann heißt es plötzlich: "Nach diesen Dreien kommst du an die Reihe, Julia!"
Mein Herz sucht sich spontan einen Weg nach unten, meine Knie beginnen zu zittern, und wenn ich nicht schon sitzen würde, wäre ich auf dem Boden gelandet vor Schreck. "Nie im Leben traue ich mich da rein zu sitzen! Ich hab doch schon panische Angst vor Achterbahnen!" Auch nachdem ich mit einem der jungen Segelflieger Probe sitzen in einem der Cockpits darf, ändert sich nichts an meinem schnellen Herzschlag. Allerdings, überlege ich, wann bekommt man schon so eine Chance geboten?
Während das Geburtstagskind seinen Flug kaum erwarten kann, sitze ich bibbernd am Wegrand und kämpfe mit den Gefühlen. Die Schlange der Wartenden schrumpft. Viel zu schnell startet und landet der Doppelsitzer mit den Gastfliegern und nachdem der Junge vor mir freudestrahlend aus dem Cockpit steigt und seinen Eltern verkündet, dass er nach mir noch einmal fliegen wird, bin ich an der Reihe.
Geduldig und verständnisvoll wird mir von Fluglehrer Markus alles erklärt: Bei Start und Landung wird es etwas hoppeln, wenn das Seil abgeworfen wird, klackt es etwas und sonst soll ich mich einfach zurücklehnen und genießen.
Dann geht es los. Mit rasender Geschwindigkeit gewinnt "mein" Segelflieger an Höhe. Komischerweise bin ich nun ganz ruhig und komme aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Dieses unbeschreibliche Gefühl in der Luft zu sein! Plötzlich macht es "klack", wir sinken etwas ab und sind frei.
Richtig frei. Schweben in der Luft, unter uns ist alles modelleisenbahnklein. Markus, der vor mir sitzt, erkundigt sich nach meinem Befinden und bekommt ein lautes, juchzendes "Wow!" zur Antwort. Meine Ängste sind vollkommen verpufft (ich habe gar keine Zeit daran zu denken). Ich kann mich nicht satt sehen von der Welt unter mir, versuche mit meinem Fotoapparat Bilder zu machen, doch vergesse es bald vor lauter Schönheit, die unter uns vorbeifliegt und drücke mehr oder weniger wahllos auf den Auslöser.
Leider vergeht die Zeit viel zu schnell, und da es bereits Abend ist und die Thermik das Weite sucht, sind wir viel zu schnell wieder unten. Obwohl die Landung für den bodenständigen Beobachter ziemlich hoppelnd aussieht, landen wir sanft und kaum mit Erschütterungen. Eigentlich will ich gar nicht aussteigen, sondern diese Erfahrung in meinem Gedächtnis unter der Rubrik "Unvergessliche Erlebnisse, mindestens einmal am Tag daran denken!" speichern. Das tue ich auch.
Stolz auf mich und meinen Mut, und voller Dank an diejenigen, die mich davon überzeugt haben mitzufliegen, beschließe ich, dass dies auf keinen Fall mein letzter Segelflug war. Schon bald werde ich wieder in die Luft gehen, ganz bestimmt, da freue ich mich schon heute darauf.
http://www.meerwein.de
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