"Natürlich wird gejodelt"
BZ-INTERVIEW mit dem Regisseur Leon Wierer über sein multikulturelles Freiburger Theaterprojekt "Made in Germany".
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"Made in Germany" – so der Titel des neuen, interkulturellen Projekts vom Freiburger Cargo-Theater, das vom Innovationsfonds Kunst Baden-Württemberg gefördert wurde und am 2. Oktober im Rahmen der Veranstaltung "Tag der deutschen Vielfalt" im E-Werk Premiere feiert. Marion Klötzer sprach mit dem Regisseur Leon Wierer über eine ethnologische Forschungsreise quer durch die Republik auf der Suche nach deutscher Identität.
Wierer: Wir sind zu siebt, Darsteller und Darstellerinnen mit Wurzeln in Syrien, Gambia, der Dominikanischen Republik, der Türkei und Deutschland. Menschen zwischen 19 und Anfang 40, von denen die einen schon lange, die anderen erst seit kurzer Zeit in Freiburg leben. Unsere Sicht auf Deutschland und hiesige kulturelle Praktiken unterscheidet sich sehr. Diese divergenten Wahrnehmungen und den Grund dafür zu verstehen, verlangt einen Perspektivwechsel aller Beteiligten. Das macht eine Bestandsaufnahme sehr spannend.
BZ: Und deswegen reisen Sie gemeinsam ins Allgäu zum Jodeln, zum VW-Werk nach Wolfsburg oder zum Camping an den Rhein?
Wierer: Wir könnten genauso gut einen Dackelverein oder die Rüstungsindustrie besuchen – die Definition einer deutschen Identität ist ja von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Die Konzeptphase fiel genau in die Anfänge der Pegida-Bewegung. Wir fragten uns: Vor was haben die Leute Angst? Was muss hier vor wem verteidigt werden? Was lohnt vielleicht sogar, verteidigt zu werden? Anderseits haben wir natürlich überhaupt keine Lust, ein Stück darüber zu machen, wie toll Deutschland ist.
BZ: Deutsche sind pünktlich, ordentlich und effizient – bekommen diese Klischees bei den Ausflügen Risse?
Wierer: Deutschland präsentiert sich im Ausland ja sehr gern über seine Produkte. Hinter "Made in Germany" steckt eine ganze Philosophie. Unser VW-Werkführer war ein integrierter Italiener, sein Lieblingswort war "Effizienz". Klar ist es sehr beeindruckend, wenn man dann die Hightech-Roboter in diesen riesigen sauberen Hallen sieht, aber die schmutzigen Arbeiten werden im Ausland gemacht. Das beschäftigte viele aus unserer Gruppe – genauso wie die gigantischen Euter der Allgäu-Kühe: Tiere als Hochleistungsmaschinen – auch so eine zweifelhafte Effizienz.
BZ: Und wie arbeiten Sie konkret mit dieser Multiperspektivität?
Wierer: Indem jeder auf und nach den Ausflügen ein Reisetagebuch führt. Dabei geht es nicht nur darum, was das Erlebte mit dem eigenen Deutschlandbild macht, sondern auch um die Gruppendynamik. Ich habe alle dazu ermutigt, sich gegenseitig zu beobachten, Macken und Gewohnheitsmuster der anderen herauszufinden.
BZ: Was steht in diesen Reiseberichten?
Wierer: Das ist ganz unterschiedlich: Manche sind poetisch, dichten dazu, schmücken aus, manche berichten sehr sachlich. Vor allem aber sind sie überraschend, weil jeden ganz andere Dinge interessieren.
BZ: Zum Beispiel?
Wierer: Wir haben eine Führung mit einem Ornithologen im Markgräflerland gemacht, der zeigte uns typisch deutsche und eingewanderte Vögel. Am Ende wollte jemand wissen, ob man die auch essen kann. Beim Jodeln im Allgäu fühlte sich vor allem die in Deutschland geborene Teilnehmerin wie auf einem exotischen Kostümfest, während ein syrischer Teilnehmer mit der Legitimität des Ausflugs rang: Darf ich hier in wunderschöner Landschaft fröhlich rumjodeln, während bei meiner Familie Krieg ist?
BZ: Und wie kommt das auf die Bühne?
Wierer: Wir sind ganz am Anfang unserer Probephase. Aber es wird so eine Art Roadmovie auf Grundlage der Reiseberichte, die wir immer wieder mit Geschichten aus den Heimatländern zu etwas Fantastischen, Absurden verquicken wollen. Und natürlich wird gejodelt.
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