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"Nachts" kann so einiges passieren

Nina Rothermel gewann mit ihrer Geschichte "Sommernachtstod" den Schreibwettbewerb des Literatur Forums Südwest.  

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"Nachts" hieß dieses Jahr das Thema des Literaturwettbewerbs für junge Schreibtalente. Die 16-jährige Nina Rothermel gewann mit einer Geschichte, die eine Nacht aus zwei sehr unterschiedlichen Perspektiven erzählt.

Sommernachtstod

Erst als die Sonne vollständig untergegangen war, erwachte er. Er war hungrig. Seit zwei Nächten hatte er nichts mehr zu sich genommen. Wegen ihr. Er hatte neben ihr gesessen und ihre Hand gehalten. Hatte mit ihr gesprochen, sie getröstet. Nachts und sogar tagsüber. Nur ungern ließ er sie jetzt allein, doch es musste sein. Schließlich hatte er Hunger und sie sollte wieder gesund werden.
Mit einem unüberhörbar lauten Magenknurren verließ er sie, um sich auf die Jagd zu machen.

Es war ein milder Sommerabend. Ein leichter Wind wehte ums Haus und Nieselregen schenkte der trockenen Erde Feuchtigkeit. In regelmäßigen Abständen schlugen die Regentropfen gegen das gekippte Fenster. Clara lag in ihrem Bett, doch sie lauschte dem sanften Rauschen des Regens nicht. Sie hatte ihre Nachttischlampe angeknipst. Neben ihr lag die langersehnte Einladung zu Leos Geburtstagsparty. Sie hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und schaute an die Zimmerdecke. In Gedanken durchlebte sie bereits den morgigen Abend.

Er war schon lange ziellos durch die Gegend geflogen. Er wusste nicht mehr wohin er wollte und woher er kam. Der Wind peitschte ihm unerbittlich um die Ohren und schwere Regentropfen schlugen ihm hart ins Gesicht. Vorwärtskommen war schier unmöglich. Erschöpft ließ er sich auf einen Ast sinken. Schutzsuchend kroch er ihn entlang. Er lehnte sich müde gegen die kalte Rinde des Stammes. Die nassen Flügel klebten an seinem Körper. Die Kälte fraß sich langsam in ihn hinein. Er zitterte. Langsam sank sein Kopf zurück. Schnell richtete er sich wieder auf. Um nicht einzuschlafen flog er weiter.

Clara lag unverändert in ihrem Bett; die Arme hinter dem Kopf verschränkt, die Augen geschlossen. Sie schlief. Nur hin und wieder verließ ein undefinierbares Murmeln ihre Lippen.

Er war schon versucht aufzugeben, sich einfach fallen zu lassen, seiner Müdigkeit stattzugeben, doch da sah er es. Es war kaum erkennbar, nur ein leichter Schimmer, einen Hauch heller als das Mondlicht, doch sein geschultes Auge erkannte es sofort: Licht. Er wusste, nun war es nicht mehr weit und er würde bald am Ziel sein.
Etwa zwei Minuten später landete er auf einem Fenstersims. Er schüttelte seine nassen Flügel und presste sein Gesicht fest gegen die Fensterscheibe. Er befand sich vor einem schön eingerichteten Zimmer. An der Wand ihm gegenüber stand ein großes Regal, prall gefüllt mit allem Möglichen. Schnell ließ er seinen Blick weitergleiten. Vorbei an dem hölzernen Kleiderschrank und dem dazu passenden Schreibtisch. Es dauerte einige Sekunden bis er die Lichtquelle ausgemacht hatte. Eine blaue Nachttischlampe auf einem blauen Schränkchen neben einem blauen Bett. Er leckte sich die Lippen.

Mit einem zufriedenem Seufzen drehte sich Clara auf die Seite. Ihr rechter Fuß rutschte dabei unter der Bettdecke hervor, doch sie schlief immer noch tief und fest.

Das Fenster war gekippt. Der Spalt war schmal, aber er konnte mühelos hindurchschlüpfen. Ein angenehmer, ihm wohl bekannter Geruch nach frischem Blut schlug ihm entgegen, als er lautlos auf der Innenseite des Fensters ankam. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen, als er das schlafende Mädchen ausführlich betrachtete. Es sah lecker aus. Sein Fuß lugte verführerisch unter der Bettdecke hervor. Zum Anbeißen! Sein Magen machte sich mit einem Knurren bemerkbar und er schwang sich in die Luft um zum Bett zu fliegen.

Sie konnte nichts erkennen und doch wusste sie, dass sie nicht allein war

Clara erwachte. Schlaftrunken rieb sie sich die Augen und horchte angestrengt. Verwundert stellte sie fest, dass die Nachttischlampe noch brannte. Sie knipste sie aus, weil sie sich einbildete im Dunkeln besser sehen zu können. Das Schwarz der Nacht umhüllte sie. Langsam richtete sie sich auf und drehte den Kopf nach allen Seiten. Sie kniff die Augen zu schmalen Spalten zusammen und starrte angespannt in alle Ecken ihres Zimmers. Sie konnte nichts erkennen und doch wusste sie, dass sie nicht alleine war.

Er zögerte einen Augenblick. Das Licht war gelöscht worden und irgendwie war Unruhe aufgekommen. Seine Erfahrung und sein Verstand rieten ihm noch geraume Zeit zu warten, bis wieder Stille eingekehrt sein würde, doch sein Magen forderte sein natürliches Recht auf etwas zu essen ein. Mit regelmäßigem Knurren drängte er ihn so lange, bis er, trotz Mahnungen von Verstand und Erfahrung, weiter flog.

Clara lauschte gebannt in die Dunkelheit hinein und plötzlich vernahm sie etwas. Ein ihr wohl bekanntes und tief verhasstes Geräusch durchbrach die sie umgebende Stille.

Es war wieder ruhig, fast schon zu ruhig, als er auf der Bettkante landete. Seine Intuition warnte ihn. Wovor wusste er nicht und irgendwie war es ihm auch egal. Ein einziger Gedanke bestimmte sein Handeln: Blut! Der rechte Fuß lag unverändert da. Keine Bettdecke, die ihn bedeckte. Absolut frei. Und schutzlos. Er fuhr langsam mit der Zunge über die trocken gewordenen Lippen. Gleich würde es soweit sein! –Jedenfalls dachte er das...

Es war wieder ruhig, fast schon zu ruhig. Clara wurde misstrauisch und starrte noch konzentrierter in das sie einhüllende Schwarz.

Die beste Stelle befindet sich an der Außenseite des Fußes, zwischen Achillessehne und Knöchel. Dort, wo die Haut besonders dünn ist. Er war Profi, er wusste das. Er kniete sich nieder und stach zu.

Clara setzte sich kerzengrade auf und starrte auf ihren rechten Fuß. Wut kam in ihr hoch.

Gierig trank er in großen Schlücken von dem Blut. Es schmeckte köstlich und er spürte wie seine Lebensgeister langsam zurückkehrten.

Mit der rechten Hand holte Clara aus und schlug zu.

In einer Wahnsinnsgeschwindigkeit sah er die flache Hand auf sich niedersausen. Er drehte den Kopf ungläubig nach oben und beobachtete das nahende Unglück. Er war zu verblüfft, um sich bewegen zu können.

Mit einem lauten Klatschen kam Claras Hand auf ihrem Fuß auf. Erwischt! Mit dem linken Zeigefinger schaltete sie die Nachttischlampe wieder an.

Der Schmerz kam plötzlich und von allen Seiten gleichzeitig. Er wollte davonfliegen, doch seine Flügel waren ein einziger Trümmerhaufen, unmöglich, sie auch nur ein kleines Stückchen zu bewegen, geschweige denn mit ihnen zu fliegen. In allen Gliedern spürte er Feuer. Am liebsten hätte er geschrien, doch dazu fehlte ihm die Kraft. Als ein großes dunkles Etwas nach ihm greifen wollte, sparte er sich den Versuch es abzuwehren, weil er wusste, dass es sowieso bald vorbei sein würde.

Angewidert betrachtete Clara den Blutfleck auf ihrem Bettlaken und die blutverschmierten Finger mit den Überresten des ungebetenen Besuchers.
Erst wurde sie um ihren Schlaf und den schönen Traum gebracht, dann wurde sie hinterhältig gestochen und jetzt konnte sie morgen auch noch ihr Bett frisch überziehen.
"Scheiß Moskitos!", schimpfte sie und stapfte wütend ins Bad, um sich die Hände zu waschen.

Sanft wurde er hochgehoben. "Bestimmt ein Engel", dachte er. Ein paar Worte in einer ihm fremden Sprache drangen an sein Ohr. Er vermochte sie nicht zu verstehen, doch er war sich sicher den Inhalt trotzdem zu kennen. Du hast es geschafft. Jetzt wird alles gut. Vielleicht bedeuteten sie auch einfach Herzlich Willkommen. Er lächelte und murmelte ein leises "Danke." Eine angenehme Welle warmen Wassers rollte über ihn hinweg, dann fiel er in einen dunklen Gang und alles war vorüber.

Zufrieden beobachtete Clara wie das zerquetschte Moskito im Abflussrohr verschwand. Sie drehte den Wasserhahn wieder zu und ging zurück ins Bett.

Als die Morgendämmerung das Ende der Nacht verkündete, wusste sie, dass er nicht zurückkehren würde. Der Trotz, der sie all die Zeit am Leben erhalten hatte, war in Sekundenschnelle verschwunden. Erschöpft und müde ließ sie sich in die Kissen zurücksinken. Als das Sonnenlicht kurze Zeit später ihr Versteck durchflutete, war sie tot.

Ressort: Zisch

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