Account/Login

Mit einem Orchester in der Stimme

  • Katharina Gross & David Arnsperger

  • Di, 10. Juli 2001
    Zisch

     

Beim Zeltmusikfestival heizte Stimm-Genie Al Jarreau dem Publikum ein - und ging auch auf Tuchfühlung mit dem jüngsten Fan.

Der Vokalakrobat Al Jarreau gastierte kürzlich im Zirkuszelt des Freiburger Zeltmusikfestivals und überzeugte nicht nur als einer der legendärsten Jazzsänger unserer Zeit sondern auch als Situationskomiker und Entertainer. Er kommt ganz ohne Vor-Band, der inzwischen 61jährige Priestersohn aus Milwaukee, denn niemand versteht es besser sein Publikum auf ihn vorzubereiten, als er selbst. Immerhin wollte er eigentlich Psychologe werden, bevor er sich schließlich doch für die Musik entschied.

Mittlerweile hat er zu Hause einige Grammies im Schrank stehen - unter anderem den ersten für den besten Jazzvokalisten - und er hat seinen eigenen Stern auf dem Walk of Fame in Hollywood. Einige seiner Songs sind jetzt schon Jazzstandards. Er, der einst "der Mann mit dem Orchester in der Stimme" genannt wurde, hat sich also damit seine private Ecke in den meisten Büchern über Jazzhistorie gesichert.

Im Zirkusrund wird er schon im Voraus mit einem kräftigen Applaus begrüßt - vorwiegend ist das "Mittelalter" vertreten, aber auch Studenten und etliche Musiker der Freiburger Jazzszene. Jarreau kommt gleich mit seiner Band auf die Bühne und bleibt unbeleuchtet eine Weile im Hintergrund, bevor alle zusammen ungewöhnlich leise zu Chick Corea's "Spain" ansetzen.

Jarreau ist ein Phänomen. Er verwendet das Mikrophon wie ein Instrument. Mit der freien Hand malt er die Lebhaftigkeit der Bewegung seiner praktisch endlosen Vokalimprovisationen in die Luft. Dazu hat er die Augen wie in Trance halb geschlossen und bewegt sich manchmal fast froschig, völlig eigen wandelnd in seiner "Jarreau-Music". Bisweilen ist er wieder voll da, fegt über die Bühne und tanzt mit den Musikern. Die Band ist unglaublich leise und kontrolliert, ohne dabei an Groove und Ausdruckstärke zu verlieren, die Abstimmung ist lebhaft.

Auffällig ist, dass das Percussion-Set zentral im Bandbild liegt und die Größe des vorgelagerten Schlagzeug-Sets allein optisch trumpft. Es wird von Vornherein klar, dass da ein Kreativling am Werk ist, dem Aufmerksamkeit gezollt werden sollte. Der Saxophonist mit der gelben Weste wandert von Stück zu Stück über die Bühne. Je nachdem, ob er mit weichen Sopransaxophon-Klängen untermalt, mit passionierten Salsa-Riffs eine ganze kubanische Brass-Section ersetzt, oder ob ihn ein freches Solo in den höchsten Tönen für eine Weile zum Hauptakteur ernennen soll. Der Bassist spielt einen kopflosen E-Bass, der gleich zu Beginn mit einer Daumenattacke bearbeitet wird - was wäre ein Jarreau-Konzert ohne komplexe Funkbasslinien? Die einzige Backgroundsängerin hat auf ihrem Barhocker in der Ecke links neben dem "Percussion-Dschungel" die eher unscheinbare, aber tragende Rolle. Sie untermalt Jarreaus rhythmische Verspinnungen so perfekt unisono, dass man sie in einigen Passagen kaum von Jarreaus Stimme unterscheiden kann. Der Gitarrist kommt voll auf seine Kosten, wenn er die berühmten Soft-Singlenotes in den Pop-Balladen oder die funkigen Wahwah-Soli aufs Griffbrett hackt. Der Keyboarder unterstützt den Gitarristen mit abgefahrenen Sounds und spacigen Klangteppichen, die der immer wieder hinter dem Percussion-Set hervorhuschende Percussionist mit virtuosen Glöckchenklängen und einer siebenteiligen Triangel unterstreicht. Der Trommler wechselt zwischen James Browns "Funkdrummer-Style", Afro-kubanischen 6/8-Rhythmen und Samba. So erweckt die Band Hits wie "Black and Blues" und Balladen wie "I'll be here for you" zu neuem Leben. Der Höhepunkt des Abends ist unbestritten Brubecks "Take Five" in der Al-Jarreau-Freiburg-Mix-2001-Version. Erst mit flamenco-artigen Klatschmustern und Jarreaus gesprochenen Soli-Chorussen eingeleitet, nutzte Jarreau den jazzigen Gassenhauer für eine spontane Show-Einlage der absoluten Extraklasse.

"Ja, ich bin schon ein bisschen verrückt." Al Jarreau (Sänger)

In der ersten Reihe staunt ein kleiner Junge über einen ekstatisch tanzenden weiblichen Fan. Jarreau nimmt ihn spontan auf die Bühne und erkundigt sich nach seinem Namen. In seinem Vokalsolo über die Take-Five-Rhythmik baut er die Silben dieses Namens ein: "Mi-ka". Das Publikum ist begeistert über diesen Einfall. Darauf springt Jarreau ins Publikum und führt den verstörten Kleinen zu seiner Mutter zurück. "Thank you, Mikka, bye bye."

Die Fans jubeln und Jarreau scherzt: "Jetzt gehe ich aber besser wieder zurück auf die Bühne, wo ich sicher bin!" Dort lässt er es sich nicht nehmen, weiter mit der ekstatischen Frau zu tanzen und holt zum Schluss sogar noch einen weiteren Fan auf die Bühne. Jarreaus Kommentar zu der Aktion: "Ja, ich bin schon ein bisschen verrückt!" Die Band spielt halbtonig aufwärts und steigert die Melodie des Stückes voll heraus.

Plötzlich springt mit einem Satz der Percussionist mit einer riesigen Shekere aus dem Hintergrund und tanzt vor Jarreau. Die Backgroundsängerin stimmt zum "Turn Around" einen wilden Kehlkopf-Gesang an und die anderen Musiker - bis auf Keyboard und Schlagzeug - singen jeder ein anderes, sich zu einer Melodie ergänzendes, Muster. Zum Showdown stehen alle Musiker am Rand der Bühne und beenden das Konzert mit einer gesungenen und getanzten Choreographie. Standing Ovations - und Jarreau muss zwei Zugaben spielen, bevor ihn die Zuschauer gehen lassen.

Ressort: Zisch

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare


Weitere Artikel