Wahl in Frankreich

Marine Le Pen: Ein bisschen wie ein Racheengel

Die rechtspopulistische französische Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen rebelliert im Namen der Franzosen gegen "die da oben". Mit ihrem Zorn pariert sie gekonnt alle Gegenangriffe.  

Zu den Kommentaren
Mail

Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen

Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.

Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.

Akzeptieren
Mehr Informationen
1/7
Marine Le Pen Foto: AFP
So kann doch nur jemand reden, dem bitter Unrecht geschehen ist. Jemand, der immer nur eingesteckt, immer nur geschluckt hat. Bis es eben irgendwann zu viel, der innere Druck zu groß geworden ist. Bis zurückgehaltener Zorn hochkocht, Unzuträgliches emporschießt, sich Bahn bricht. Im Fall Marine Le Pens muss besonders viel Unzuträgliches zusammengekommen sein. Seit Wochen ergeht sich die Chefin des rechtspopulistischen Front National (FN) in Zorntiraden. Die Präsidentschaftskandidatin redet sich von der Seele, was sie "nicht mehr länger ertragen kann und will", wie sie sagt.



Die Stimme rau, die Miene resolut, nennt Le Pen Missstände und Schuldige. Sie stellt Konservative und Sozialisten an den Pranger, die einander seit Jahrzehnten an der Regierung ablösen. Einem blonden Racheengel gleich hat die Wahlkämpferin kürzlich in Metz wieder "die da oben" der Verkommenheit bezichtigt, ihnen vorgeworfen, das Vaterland EU-Bürokraten, Ausländern, Kriminellen, Terroristen ausgeliefert zu haben. Der Zornesfunke sprang über. "Kein Islam, Frankreich den Franzosen, Raus mit der Burka, Grenzen dicht", schallte es tausendfach aus dem Saal zurück.

Gewiss, das eigene Seelenheil ist der 48-Jährigen kein Thema. Europas mächtigste Rechtspopulistin, die laut Umfragen am 23. April in die Stichwahl vordringen und sich am 7. Mai mit dem sozialliberalen Ex-Wirtschaftsminister Emmanuel Macron ein Duell um den Einzug in den Elyséepalast liefern wird, zeigt sich allein um das Wohl des Volkes besorgt.

Aber die im Namen des Volkes bekundete Empörung ist eben auch die eigene. Sie ist echt. Und sie wurzelt tief. Wie bei in Äquatornähe tobenden Gewittern, wo die Schwüle nach einem Regenguss nicht weichen will, bleibt die Atmosphäre nach einem Zornesausbruch spannungsgeladen. Und Le Pen hat ja auch selbst von Leuten, die größer, die mächtiger waren als sie, viel eingesteckt, zu viel vermutlich.

Fünf Jahre alt ist sie, als der Vater und Parteigründer Jean-Marie Le Pen mit ihr erstmals demonstrieren geht. Drei Jahre nach der frühkindlichen Einführung in die politische Praxis wird sie Opfer politischer Gewalt. Vor dem Domizil der Le Pens explodiert des Nachts eine Bombe. Marine wird körperlich unversehrt aus den Trümmern geborgen.

Seelisch ist sie weniger glimpflich davongekommen. Die Ärzte diagnostizieren einen Schock. Wer die Attentäter waren, die dem rechtsextremistischen Vater nach dem Leben getrachtet haben dürften, sollte das Mädchen nie erfahren. Aber dass er Aggression und Hass auf sich zieht, das begreift es.

Die Familie hat Glück im Unglück. Sie findet ein neues Domizil. Ein dem Front National zugetaner Zementunternehmer hinterlässt den Le Pens im noblen Pariser Vorort Saint-Cloud eine imposante Villa, Park und Blick auf den Eiffelturm inklusive. Geborgenheit will sich freilich auch dort nicht einstellen. Marine und ihre beiden älteren Geschwister Yann und Marie-Caroline wachsen in einer separaten Wohnung auf, betreut von einem Kindermädchen.

Die Mädchen bekommen die reiselustigen Eltern oft lange Zeit nicht zu Gesicht. In der Schule erweist sich der Name Le Pen als Stigma. Marine schlägt Verachtung entgegen. Ein Lehrer lässt sie unter Aufsicht ein gegen den Vater ergangenes Urteil studieren: Der Verherrlichung von Kriegsverbrechen war der FN-Chef schuldig gesprochen worden. Der Pfarrer weigert sich, dem Kind die Hand zu geben.

Ihre Mutter brennt mit einem Liebhaber durch

Als Marine 16 ist, brennt Mutter Pierrette mit ihrem Liebhaber durch, dem Biografen des Vaters. Der hintergangene Gatte dreht der Treulosen den Geldhahn zu, quittiert Unterhaltsforderungen mit der Aufforderung, Pierrette könne sich doch als Putzfrau verdingen. Das ehemalige Pin-up-Girl geht dann tatsächlich putzen, aber nicht so, wie der gehörnte Ehemann und sittenstrenge Front-National-Gründer sich das vorgestellt hatte.

Für Playboy-Fotografen schwingt sie lasziv den Besen, am Leib kaum mehr als das Haushaltshilfen einst zugedachte Häubchen. Marine übergibt sich, täglich, fast anderthalb Monate lang, wird berichtet. Doch das hilft ihr wenig. Sie wird die Mutter 15 Jahre nicht mehr zu sehen bekommen.

Sie schöpft die Kraft

aus Verletzungen

Als sie später selbst Mutter wird, erweisen sich die Bande zu den Lebensgefährten ebenfalls als brüchig. Aus zwei Ehen gehen drei Kinder hervor, die Marine Le Pen, zweifach geschieden, letztlich alleine großzieht. Was nicht heißt, dass sie verbittert wäre. Wenn es etwas zu feiern gibt, dann erinnert sie an die Wirtin eines Landgasthofs: derb im Umgang, aber das Herz auf dem rechten Fleck.

Und es gibt in letzter Zeit viel zu feiern. Der Front National legt kontinuierlich zu. Bei den Europawahlen 2014 mit 25 und im Jahr darauf bei den Regionalwahlen mit 27 Prozent der Stimmen bedacht, ist er zur stärksten politischen Kraft avanciert.

Auch wenn die Politikerin sich hütet, dies im Präsidentschaftswahlkampf zu offenbaren: Manchmal wird sie schwach. Wie ein kleines Mädchen, das an Verbotenem nascht, gönnt sie sich dann die Freuden des bei klarem Kopf zutiefst verdammten Elitedaseins.

So ist sie, vom US-Magazin Time zu einer der hundert einflussreichsten Persönlichkeiten der Erde gekürt, im Frühjahr 2015 zum Galaempfang nach New York gereist. Mit dem Rapper Kanye West, seiner Gefährtin Kim Kardashian, der Oskar-Preisträgerin Julianne Moore und anderen Promis marschierte sie im marineblauen Kleid über den roten Teppich, lachte ins Blitzlichtgewitter. Aber auch wenn sich Le Pen den Freuden des Lebens nicht gänzlich verschließt, ihre Kraft schöpft sie aus den Verletzungen, die es ihr zugefügt hat. Wenn sie ihrem Zorn freien Lauf lässt, bersten vom Gegner errichtete Dämme.

Im Frühprogramm von France Info war das kürzlich zu erleben. Der Nachrichtensender hatte drei seiner besten Leute aufgeboten, die Le Pen in ihre Schranken weisen sollten: Angeführt von der prominenten Moderatorin Fabienne Sintes bringt das Trio zur Sprache, was es in der Rede der Rechtspopulistin als nicht stimmig ausgemacht hat. Die Journalisten konfrontieren die Politikerin damit, dass sie den Anteil der an Ausländer vergebenen Sozialwohnungen mit 50 Prozent beziffert hat, der laut Statistik doch nur zwölf Prozent beträgt.

Die drei erkundigen sich, ob sich die vom Studiogast beklagte politische Fäulnis nicht im Front National ausbreite, wo sich Frédéric Chatillon wegen illegaler Parteienfinanzierung zu verantworten hat, der frühere Chef der rechtsextremen Studentenverbindung GUD und Studienfreund Le Pens. Die Wucht der Widerrede ist zu groß, der Ausstoß aus altbewährten Argumentationskanälen zu heftig, als dass die Fragesteller standhalten könnten.

"Man sieht, dass Sie Ihr Studio nie verlassen und noch nie draußen in den Vorstädten waren, wo der Sozialwohnungsbestand durchaus zur Hälfte in ausländischer Hand ist", beginnt Le Pen. Die Interviewer kommen fortan kaum noch zu Wort. Zurück bleibt der Eindruck, dass Sintes und Konsorten Kleinkrämer sind, dass es für die Franzosen Wichtigeres gibt als statistische Details und Parteienfinanzierungsfragen. Ungeheuer routiniert pariert diese Frau die ihr seit Jahrzehnten entgegenschlagenden Angriffe.

Die Botschaft des Front National ist im Kern ja auch dieselbe geblieben, Kritik und Replik folgen altbekannten Mustern. Wobei sich Marine Le Pen zugutehalten kann, das Parteiprogramm von Ewiggestrigem befreit und zeitgemäß verpackt zu haben. Was der Vater und Gründer des Front National als offen rassistische, antisemitische Protestbewegung ins Leben gerufen hatte, ist unter der Führung der Tochter, die ihn 2011 politisch beerbte, zu einer weithin salonfähigen Volkspartei mutiert.

Anders als der Vater will die Tochter nicht genüsslich provozieren. Sie will die Macht. Die Fremdenfeindlichkeit ist mittlerweile gefällig verpackt. Nationalisten nennen sich Patrioten. Misstrauen gegenüber Muslimen kommt als Sorge um Frankreichs weltliche Staatsordnung daher. Wenn der Anhang "Wir sind bei uns zu Haus" brüllt oder "Die Franzosen zuerst", wissen Einheimische wie Fremde auch so, was gemeint ist.

Der Fortschritt ist Marine Le Pen freilich teuer zu stehen gekommen. Wieder einmal hat sie schwere Blessuren davongetragen. Mit dem Vater hat sie sich überworfen, der den Wandel des FN von der Protest- zur Volkspartei nicht mittragen wollte. Mit dem Mann also, der nach dem Verlust der Mutter doppelt wichtig geworden war, dem sie vom Äußeren wie auch charakterlich ähnlicher ist als die Geschwister. "Sie ist wie ich, nur mit Brüsten", hat der Erzeuger einmal voller Stolz gesagt. Um ihm nahe zu sein, sei die Juristin überhaupt erst in die Politik gewechselt, versichert David Doucet, Co-Autor eines Anfang des Jahres erschienenen Buches über die Jugend Marine Le Pens.

Zum Bruch kommt es, als der Vater 2015 rückfällig wird, sich in antisemitischen Anspielungen ergeht, die Gaskammern der Nazis wieder einmal als "Detail der Geschichte" verharmlost. Die Tochter, die ihr politisches Lebenswerk in Gefahr sieht, lässt ihn aus der Partei ausschließen. Selbst den Familiennamen Le Pen scheint die Präsidentschaftskandidatin mittlerweile tilgen zu wollen. Was dem Vater Gütesiegel war, ist ihr ein Makel, an dem die umworbene bürgerliche Mittelschicht Anstoß nehmen mag, deren Voten sie braucht, will sie es auf die absolute Mehrheit bringen und in den Elyséepalast einziehen.

Viele lassen sich von Marine

Le Pens Tiraden mitreißen

"Marine 2017" steht auf den Wahlkampfplakaten oder auch "Rassemblement bleu marine", marineblaue Sammlungsbewegung. Der Nachname fehlt. Das von offen rechtsradikalen Inhalten befreite Restprogramm birgt freilich noch immer jede Menge Sprengstoff: den Ausstieg aus dem Euro zumal. Wirtschaftsexperten glauben, dass gerade die von Le Pen umworbenen einkommensschwachen Schichten darunter zu leiden hätten. Für den Fall einer Rückkehr zum Franc prophezeien die Fachleute den Franzosen schwindende Kaufkraft und steigende Kreditzinsen.

Arbeiter und einfache Angestellte, bei denen Le Pen es auf 50 Prozent Zustimmung gebracht hat, seien die Hauptleidtragenden. Die Warnungen scheinen ungehört zu verhallen. Wer für die Botschaft Le Pens empfänglich ist, sich von ihren Zornestiraden mitreißen lässt, gibt nicht viel auf das Wort den Eliten nahestehender Sachverständiger.

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare


Weitere Artikel