Zeitung in der Schule
Mann mit Beeinträchtigung: "Ich bin nicht krank, ich bin behindert"
Wie bestreitet man mit Beeinträchtigung den Alltag? Diese und weitere Fragen haben die Schüler der Grundschule Salzert einem Mann gestellt, dessen Kopf etwas langsamer arbeitet.
Mila Malik, Heidi Flothmann, Alvin Sula, Marc Sedelmeier, Ivan Ciarmela, Leonard Muttenhammer,Annabela Schwanz, Betül Inan, Yaren Calkici, Amen Akakpo, Anna Griethe, Medina Fisek, Alessio Parasiliti,Klasse 4, Grundschule Salzert (Lörrach)
Fr, 24. Nov 2023, 7:56 Uhr
Zisch-Texte
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Zisch: Wie heißt du und wie alt bist du?
Mattern: Ich heiße Stephan Mattern und bin 1983 in Lörrach geboren.
Zisch: Warst du schon immer behindert und wie heißt deine Beeinträchtigung?
Mattern: Ich wurde mit einer Behinderung geboren. Meine Beeinträchtigung heißt ICP – das bedeutet Infantile Cerebralparese, ein schwieriges Wort. Deswegen habe ich Krampfanfälle.
Zisch: Wie ist es zu deiner Beeinträchtigung gekommen?
Mattern: Durch Sauerstoffmangel während der Geburt, im Bauch meiner Mama. Da habe ich zu wenig Luft gekriegt und dadurch sind bei mir im Kopf Gehirnzellen abgestorben. Mein Gehirn ist wie ein Wackelpudding.
Zisch: Kann dein Gehirn jetzt also etwas langsamer denken als früher?
Mattern: Genau. Es arbeitet, aber langsamer als alle anderen.
Zisch: Kann es auch sein, dass man zuerst ganz gesund geboren wird und dann eine Beeinträchtigung bekommt?
Mattern: Ja, das kann sein.
Zisch: Was ist dein Job?
Mattern: Ich arbeite seit 20 Jahren in der Lebenshilfe, also einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen.
Zisch: Was baust du in der Werkstatt?
Mattern: Ich baue nicht, ich verpacke Rotwein und Weißwein auf Bestellung.
Zisch: Hat sich deine Beeinträchtigung verschlechtert?
Mattern: Es ist immer gleich. Ich spüre aber das Wetter – bei Regen spüre ich meine Beine mehr, als wenn die Sonne scheint.
Zisch: Wie war deine Kindheit mit deiner Beeinträchtigung?
Mattern: Ich konnte nicht auf eine normale Schule gehen. Ich habe erst mit zwölf Jahren laufen gelernt, nach zwei Operationen. Erst war ich auf der Helen-Keller-Schule von der ersten bis zur vierten Klasse. Später war ich auf einer Extraschule mit Internat für Körperbeeinträchtigte in Emmendingen-Wasser – 18 Jahre lang. Das war die beste Zeit meines Lebens. Ich hatte viel Spaß und viele Freunde. Danach kam ich in die Werkstatt.
Zisch: Wie hast du dich vorher bewegt, bevor du Laufen gelernt hast?
Mattern: Ich bin auf den Knien auf dem Boden gekrabbelt. Hätten die Ärzte mich früher operiert, könnte ich laufen.
Zisch: Stört dich deine Beeinträchtigung?
Mattern: Manchmal. Es stört mich, wenn man mich anguckt. Kinder dürfen mich angucken. Aber es gibt erwachsene Menschen, die richtig beleidigend sein können.
Zisch: Hast du vielleicht mal geweint als Kind, als du gemerkt hast, dass du nicht laufen kannst?
Mattern: Ich war lange Zeit traurig. Als Kind habe ich mich in eine Ecke zurückgezogen und hab gesagt, jetzt möchte ich mit niemandem mehr was machen. Weil die mich alle nicht akzeptiert haben am Anfang.
Zisch: Wurdest du früher gemobbt?
Mattern: Ja. Auch von den Schülern, die dieselbe Beeinträchtigung haben wie ich.
Zisch: Häää?
Mattern: Mobbing ist nichts Gutes. Da gibt es auch keinen positiven Aspekt.
Zisch: Aber dann hast du Freunde gefunden, oder?
Mattern: Ich hatte auch schon Freunde vorher und ich habe auch jetzt noch Freunde.
Zisch: Sind deine Freunde auch alle beeinträchtigt?
Mattern: Ja, fast alle. Alle Leute, mit denen ich zusammenarbeite und alle von der Schule, mit denen ich befreundet bin, haben eine Beeinträchtigung.
Zisch: Kannst du dich selbst duschen?
Mattern: Ja, ich habe einen Duschstuhl in der Wohnung. Ich lebe dort zusammen mit meiner Freundin.
Zisch: Hat deine Freundin auch eine Behinderung?
Mattern: Ja. Sie ist taub, also gehörlos.
Zisch: Kann man eigentlich, wenn man gehörlos ist, Auto fahren?
Mattern: Ja, das kann man. Meine Freundin fährt Auto, obwohl sie taub ist. Sie fährt mit Lichtsignalen und akustischen Signalen. Das Auto wird von der Innenausstattung noch ein bisschen modifiziert, das ist teuer, aber so gibt es die Möglichkeit, dass auch ein Mensch mit Beeinträchtigung Auto fahren kann. Und man muss vorher eine medizinische Untersuchung machen.
Zisch: Darfst du Auto fahren?
Mattern: Nein, mein Kopf ist zu langsam. Wenn der vor mir bremst, würde ich hintendrauf fahren.
Zisch: Fährst du auch mal Rollstuhl?
Mattern: Ich fahre täglich Rollstuhl, weil ich ja nicht mehr so weit laufen kann. Früher ging das besser.
Zisch: Brauchtest du früher, als du ein Kind warst, auch eine Therapie?
Mattern: Ja, die brauchte ich. Das brauche ich auch heute noch. Zum Beispiel Oberkörperkräftigung, Muskulaturdehnung, dass alles so geschmeidig wie möglich bleibt. Es gibt Leute, die mir dabei helfen. Einmal die Woche 45 Minuten mache ich das.
Zisch: Würdest du dir wünschen, dass du keine Behinderung mehr hättest?
Mattern: Ich wünsche mir das täglich. Aber es geht halt nicht. Ich habe schon einige Wünsche, die aber nicht machbar sind, wegen meiner Beeinträchtigung.
Zisch: Wenn du drei Wünsche frei hättest, was würdest du dir wünschen?
Mattern: Dann würde ich ein eigenes Haus kaufen, eine Familie gründen und die Behinderung wegmachen.
Zisch: Können Menschen mit Beeinträchtigung Kinder bekommen?
Mattern: Ja. Bei meiner Behinderung ist es so gut wie ausgeschlossen, dass mein Kind meine Behinderung weitervererbt bekommen würde, weil ich eine sehr seltene Behinderung habe. Wenn meine Freundin gesund wäre, dann hätte ich ganz gesunde Kinder.
Cetintas: Ich habe jetzt gerade das Gefühl, dass hier ein bisschen Trauer herrscht, oder Mitleid oder so.
Zisch: Jaaaaa.
Mattern: Braucht ihr nicht. Ihr braucht kein Mitleid mit mir haben. Ich habe auch schon viele, viele Erwachsene gesehen, die sagen: "Oh, du kannst ja nicht laufen" oder "Oh, der ist ja krank". Dann sage ich: Ich bin nicht krank, ich bin behindert. Und dann ist meistens Ruhe.
Zisch: Lieber Herr Mattern, vielen Dank für das Interview und die schöne Zeit!
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