Kino
Der Oscar-Sieger"Moonlight" ist berührend und poetisch
Bei den Oscars wurde "Moonlight" eben zum Film des Jahres gekürt: Barry Jenkins hat ein bewegendes Liebesdrama geschaffen. Der Film ist ein absolutes Muss für Cineasten.
Mi, 8. Mär 2017, 0:01 Uhr
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Von wegen: "Moonlight" von Barry Jenkins (BZ-Interview vom 1. März), eben bei den Oscars zum Film des Jahres gekürt, ist ein poetisches Liebesdrama in drei Akten, die die Hauptfigur als Kind, Jugendlichen und Erwachsenen zeigen. Es ist stilsicher inszeniert, mit einer opulenten Optik in Cinemascope (Kamera: James Laxton), gefühlvoller Musik (Nicholas Britell) und großartigen Schauspielerleistungen. Dieser Film ist ein Muss für Cineasten, egal welchen Alters, welcher Hautfarbe oder sexuellen Orientierung: Sie werden das Kino beglückt verlassen.
Das Drehbuch (auch dafür gab es einen Oscar) entwickelte Jenkins mit Tarell Alvin McCraney aus dessen Theaterstück "In Moonlight Black Boys Look Blue". Beide sind Afroamerikaner, geboren 1980 und 1979, aufgewachsen im Viertel Liberty City von Miami wie ihr Protagonist, beide mit einer drogenabhängigen Mutter, beide hatten eine harte Jugend. Die sie aber nicht Aggressivität lehrte, sondern einen wachen Blick für die Conditio Humana, für Leid und die tiefe Sehnsucht nach Zugehörigkeit, Zuwendung, Liebe.
Glück und Geborgenheit hat der zehnjährige Chiron (Alex Hibbert), genannt "Little", noch nie erfahren. Ja, die Mutter (Naomie Harris) hängt an ihm, aber wenn sie einen Freier empfängt, muss er die Wohnung räumen. Eines Tages flieht er vor den Drangsalierungen der Mitschüler – und begegnet Juan (hochverdient auch sein Oscar: Mahershala Ali). Der ist eine Institution im Viertel, angesehen und gefürchtet, aber für das Kind ein Segen. Er will Chiron so etwas wie ein Zuhause geben: ein warmes Essen, ein gemachtes Bett, einen Tisch zum Reden. Der Junge aber schweigt, und als er endlich doch den Mund aufbekommt, ist seine erste Frage: Was ist eine Schwuchtel? Das sagen die Leute, wenn sie schwule Männer beleidigen wollen, entgegnet Juan sanft. Und woher weiß ich, ob ich eine bin? Irgendwann weißt du es, aber jetzt musst du es noch nicht wissen. So viel Herzenswärme mag man einem Drogenboss kaum abnehmen, aber in der Welt, wie sie Jenkins als Kind erfahren hat, ist Dealen ein Job wie jeder andere auch, und Ali macht seine Figur absolut glaubwürdig.
Erst recht Alex Hibbert. Der Junge aus Miami, dessen Kopf den schmalen Hals schier zu knicken droht, gibt Little als verlorenes Kind, das allein mit den Augen spricht und zaghaft aufblüht, als ihn allen Ernstes einer von der glitzernden Gewinnerseite des Prekariats unter die Fittiche nimmt. Ali und Hibbert machen das erste Drittel des Films zum stärksten. In schmerzlichen Szenen wie der, in der das Kind erkennen muss, dass sein Ersatzvater Drogen vertickt – auch an die Mutter.
Juan nennt sich Blue, denn, wie er Chiron (mit dem Titel von McCraneys Theaterstück) erklärt: Im Mondlicht sehen schwarze Jungs blau aus. Blue bedeutet aber auch traurig, und gerade als Chirons Leben blue ist wie nie, hat er den starken Beschützer Blue nicht mehr. Im zweiten Akt, da ist er 16 und wird von Ashton Sanders verkörpert, heißt es beiläufig, Juan sei tot, es scheint niemanden zu wundern bei seinem Job. Chiron aber ist einsamer und verunsicherter denn je, die Mutter ein Drogenwrack, er selbst wird gnadenlos gemobbt. Zum Glück blieb ihm der einzige Freund aus Kindertagen: Kevin (jetzt: Jharrel Jerome) nimmt sich einfach, was das Leben ihm zu bieten hat an Spaß und Mädchen. Aber er ist auch mitfühlend gegenüber dem sensiblen Freund, und in einer Mondnacht am Meer wird er Chirons erster Liebespartner. Es ist eine dieser Szenen, die "Moonlight" so unvergesslich machen: still, emotional, intim und diskret zugleich. Die Nacht mit Kevin ist aber nicht der Beginn eines freien schwulen Lebens: Der Freund wird ihn verraten, um sein Gesicht zu wahren vor den Kumpels, Miami ist kein Ponyhof.
Im dritten Teil ist Chiron (Trevante Rhodes) um die 30 und trägt eine schwere Rüstung aus Muskeln, Geld und Gold. Man würde ihn kaum wiedererkennen, wären da nicht die seelenvollen Augen und die Schweigsamkeit, die alle drei Chiron-Darsteller zu einer einzigen Figur machen. Zu Kevin hat er keinen Kontakt mehr, aber als der eines Tages anruft, ist die Nacht am Meer wieder präsent, und Chiron setzt sich ins Auto. Kevin (André Holland) hat inzwischen einen Diner und eine bürgerliche Existenz, beide schweigen lange, aber wann war das Schweigen je so sprechend wie in diesem Film? Jenkins braucht nicht viele Worte, um viel zu erzählen, er verlässt sich ganz auf seine Komposition, auf die Kraft der Bilder und seiner fulminanten Schauspieler.
Am Ende der nachhaltig berührenden zwei Kinostunden hat Chiron den Schutzpanzer abgelegt, doch wie sein Weg nun weitergeht, bleibt offen. Eins aber ist klar: Der Gardiner-Song "Every Nigger is a Star", der in der ersten Szene aus Juans Autoradio dröhnte, war nicht bloß Ausdruck seines Drogenmacker- Stolzes, sondern Motto dieses Films. Jeder Schwarze ist ein Star.
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