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Stuttgart

Land zeigt sich offen für Homosexuelle – und erntet Kritik

Lobby für sexuelle Orientierungen: Homosexuelle haben ihre Anliegen mit Erfolg in die Landespolitik getragen. Nun werden kritische Stimmen laut. Doch wer steckt hinter der LSBTTIQ-Community ?  

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Die Regenbogenfahne der Homosexuellenbewegung über dem Neuen Schloss in Stuttgart. Foto: dpa
Montagabend im Neuen Schloss: Die Aktivisten der Schwulen- und Lesbenbewegung stoßen mit der Sozialministerin an, sie feiern erneut einen Sieg. Oben auf dem Dach wird demnächst wieder die Regenbogenfahne wehen, drunten auf den Tischen trocknet soeben die Tinte unter einer sogenannten Zielvereinbarung. Damit, so Katrin Altpeter (SPD), sichere man "der LSBTTIQ-Community auch über die laufende Legislaturperiode hinaus die Zusammenarbeit zu".

Erst vor einer Woche hatte sie einen Aktionsplan durchs Kabinett gebracht, der Lesben und Schwulen mehr Akzeptanz verspricht. Und damit es jeder gleich versteht, wie freundlich gesonnen die grün-rote Landesregierung Minderheiten gegenüber auftritt, trägt sogar der kleine Landeswappenlöwe auf der Einladungskarte die Regenbogenfarben.

Wer aber ist die "Community"?

Hinter dem Lesbisch-Schwul-Bisexuell-Transsexuell-Transgender-Intersexuell-Queer-Netzwerk stehen rund 70 (häufig lokale) Gruppen, Vereine und Organisationen. Von A wie "Aktivista", einem erst 2012 gegründeten Karlsruher Zusammenschluss von Asexuellen, die nach eigenen Angaben kein Verlangen nach sexueller Interaktion zeigen, ("was weder beachtet noch verstanden wird") bis W, der "schwulen Welle" auf Radio Dreyeckland ("informieren, kritisieren, provozieren ist unser Motto"). Viele Links auf der Webseite des Netzwerks im Internet führen freilich ins Leere, die wahre Zahl Betroffener, die hinter diesen Aktivisten steckt, ist deshalb unklar.

Das Sozialministerium beruft sich auf Zahlen des Statistischen Landesamts: Dort geht man von 700.000 bis einer Million Menschen im Land aus, die sich außerhalb des klassischen heterosexuellen Musters bewegen. Eine Minderheit, aber eben auch eine große Wählerschar, der man sich nicht nur mit einem Passus im Koalitionsvertrag, sondern auch sprachlich anzunähern versucht vom "Sprechendenrat" bis hin zum englischen Wort "queer" für sexuelle Orientierungen, die in kein Raster passen.

Hohes Potenzial an Diskriminierung

Alles scheint von hoher Symbolik, selbst der Männerchor "Rosa Note", der den Staatsempfang zum Christopher Street Day, den Straßenkarneval der LSBTTIQ-Bewegung, einläutet. Doch so lustig ist es nicht: Es gebe ein sehr hohes Potenzial an Diskriminierung "und deshalb Handlungsbedarf", sagt Altpeters Sprecher. Der reicht bis zu einer Geschäftsstelle, die aus Landesmitteln finanziert und beratend tätig werden soll. Die Summe ist überschaubar: Eine Million Euro stehen bis Ende kommenden Jahres bereit.

Das federführende Sozialministerium, aber auch das Kultusressort des SPD-Kollegen Andreas Stoch gelten als Keimzellen, in denen die LSBTTIQ-Lobby sich besonders zu entfalten wusste. Doch beide wehren ab: "Mitten im Leben stehende, verheiratete Mütter von Kindern" hätten im Altpeter-Ressort "unbeschwert" an den Papieren gearbeitet, heißt es. Immer wieder habe man im Beteiligungsprozess (an dem zwar die kommunalen Landesverbände, nicht aber Kirchen beteiligt wurden) den Aktivisten Grenzen aufgezeigt und bedeutet, dass die Politik eben nicht eins zu eins übernehme, was man ihr an Forderungen auf den Tisch legte, beispielsweise staatliche Unterstützung für Szene-Partys oder einen eigenen LSBTTIQ-Lehrstuhl.

Auch Stoch, in dessen Haus der hochumstrittene Bildungsplan erarbeitet wird, der unterschiedliche Formen der Sexualität im Querschnittsthema "Toleranz" zusammenfasst, widerspricht: "Es gibt keine Maulwürfe im Kultusministerium." In beiden Häusern verweist man überdies gerne darauf, dass das Thema eher von den Grünen als der SPD getragen werde – Stoch: "Das ist ein grünes Pflänzchen" – dessen rasantes Wachstum längst nicht jedem geheuer ist.

Schon kurz nach der Wahl öffnete Grün-Rot gleichgeschlechtlichen Partnern die Standesämter, aber von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ist mittlerweile bekannt, dass er vieles unter den LSBTTIQ-Aktivitäten für Sektierertum hält. Nicht zuletzt, weil es wichtigere Themen überdeckt, wiederholt Straßenproteste wie am vergangenen Sonntag provoziert und der Opposition vermehrt Angriffsflächen bietet. Sein Staatsministerium hatte denn auch prompt dafür gesorgt, dass Altpeter ihren Aktionsplan allein und nicht im Rahmen einer großen Regierungspressekonferenz vorstellen musste.

Obwohl Mitglieder der CDU ebenfalls im Netzwerk mitmischen, wächst in den Reihen der Partei die Empörung. Die Regierung habe abgehoben und "ereifert sich in der Gender-Ideologie", klagt Fraktionsvize Winfried Mack. Sein Chef, Kretschmann-Herausforderer Guido Wolf, fürchtet eine "Überbetonung einzelner Minderheiten".

Bindende Wirkung über die Legislaturperiode hinaus hat die jetzige Zielvereinbarung allerdings kaum: Jede künftige Landesregierung könnte diese Absichtserklärung kündigen oder mit neuen, eigenen Inhalten füllen. So sieht es der frühere Verkehrsminister Ulrich Müller (CDU): Er wertet den Vertrag als bloßes politisches Versprechen und kündigt an, seine Partei werde sicher andere Schwerpunkte setzen. Härter urteilt Jutta Pagel-Steidl, Geschäftsführerin des Landesbehindertenverbands, der wie die Kirchen erst später in die Umsetzung des Aktionsplanes eingebunden werden soll: Das Papier "besteht ja ohnehin aus 250 Seiten heißer Luft".
Was bedeutet LSBTTIQ?

Die Abkürzung steht für:

Lesben: Frauen, die Frauen lieben;

Schwule: Männer, die Männer lieben;

Bisexuelle: Frauen und Männer, die Frauen und Männer lieben;

Transsexuelle: Männer oder Frauen, die das Geschlecht gewechselt haben; Transgender: Männer oder Frauen, die in die jeweils andere Rolle wechseln;

Intersexuelle: Menschen, die nicht eindeutig einem der beiden Geschlechter zugeordnet werden können;

Queer: Menschen, die vom heterosexuellen Muster abweichen.

Mehr zum Thema:

Ressort: Südwest

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