Podiumsdiskussion
Lahrer Gymnasiasten stellen das TV-Duell in den Schatten
Bei der Veranstaltung des Gemeinschaftskunde-LK gab es hervorragend vorbereitete Moderatoren, angriffslustige Kandidaten – und ein überraschendes Abstimmungsergebnis.
Fr, 15. Sep 2017, 0:03 Uhr
Lahr
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Nur 15 Prozent der Wähler bei der kommenden Bundestagswahl am 24. September sind unter 30 Jahren alt. Hat die Jugend keine Lobby und ist als Wählergruppe uninteressant? Mit dieser Einstiegsfrage konfrontierte die 17-jährige Sonia Meehan zum Beginn der Veranstaltung im Schlachthof die Kandidaten. Diese beteuerten natürlich, dass dem nicht so sei, und erläuterten erwartungsgemäß, dass gerade ihre Partei besonders attraktiv für junge Wählerinnen und Wähler sei.
Schon dass alle sechs Direktkandidaten von Linkspartei bis AfD persönlich erschienen waren, zeigte, dass es ihnen durchaus auch auf deren Stimmen ankommt. Hinterher lobten sie einhellig, wie gut das Moderatorenteam vorbereitet war: Besser, als bei anderen Veranstaltungen, und sogar "besser als die vier Moderatoren beim TV-Duell", konstatierte CDU-Kandidat Peter Weiß.
In der Tat: Der Gemeinschaftskunde-Leistungskurs hatte ganze Arbeit geleistet. Die Fragenauswahl basierte auf einer repräsentativen Umfrage unter den Schülerinnen und Schülern, bei jedem Thema hatten sie individuelle Fragen an die einzelnen Kandidaten vorbereitet, jeweils mit einleitenden Fakten unterfüttert.
Auch wenn es für beide das erste Mal auf der Bühne war, wirkten die Moderatoren Lorenz von Haas und Sonia Meehan nicht nur souverän, sondern aufeinander eingespielt. "Ich war weniger nervös, als ich vorher dachte", sagte von Haas, als er nach der gut einstündigen Fragerunde von der Bühne stieg. Das vorbereitete Konzept habe wie erwartet funktioniert. Die Politiker bekamen viel Raum für ihre Antworten. Auch wenn gelegentlich einem zu vervollständigenden Satz noch mehrere weitere folgten, gab es kaum eine Unterbrechung. Insgesamt herrschte auf der Bühne eine faire Atmosphäre, die man sich für so manche Fernsehtalkshow wünschen würde.
Die Politiker machten keine Abstriche bei der Tiefe, in der sie ihre Positionen vertraten – dafür wären die Fragen auch viel zu präzise gewesen. Sie ließen sich aber auch Gelegenheiten zum Wortgefecht nicht entgehen, etwa als Weiß erläuterte, wann die CDU den Solidaritätszuschlag abschaffen wolle. "Warum macht Ihr’s nicht gleich?" fuhr ihn Johannes Fechner (SPD) von der Seite an. "Ihr seid doch in der selben Koalition!", pampte Weiß zurück.
Eine Überraschung gab es bei der Frage nach der Legalisierung von Marihuana, als Thomas Seitz (AfD) gegen die klare Linie seiner Partei angab, er würde für eine Legalisierung stimmen. Steuerfreibetrag, Eigenheimförderung, Vermögenssteuer, Rentenreform, Bildungspolitik. All das sind auch Jugendthemen, wenn man es richtig dreht – und das gelang der Moderation, so dass die Kandidaten kaum Gelegenheit hatten, eigene Themen zu setzen. Felix Fischer von der FDP erreichte das noch am ehesten, als er die in Deutschland mangelhafte Mobilfunkinfrastruktur ansprach.
Er war mit seinen 26 Jahren der einzige, der sich nicht künstlich jugendlich geben musste. Dass das ohnehin nichts bringe, sagte auch Peter Weiß – und mehrere Zuhörer, die lieber nicht mit Namen in der Zeitung stehen wollen. Für sie habe die Diskussionsrunde einen echten Mehrwert gebracht und ihre Wahlentscheidung verändert oder erst ermöglicht. Das zeigen auch die Daten einer Onlineabstimmung vor und nach der Diskussion.
Die Schülerinnen und Schüler diskutierten eifrig miteinander, bevor sie per Smartphone abstimmten. SPD-Mann Fechner schoss von Platz vier mit 17 Prozent an die Spitze mit 46 Prozent – vorbei an Spitzenreiter Fischer, der sich bei gut einem Drittel hielt. Thomas Seitz (AfD) und Peter Weiß (CDU) stürzten dramatisch ab. Grüne und Linke spielten für die jungen Leute kaum eine Rolle. Alexander Kauz bekam in der zweiten Abstimmung keine einzige Stimme.
Weiß sieht einen klaren Zusammenhang mit dem Alter, Seitz ist das Ergebnis von solchen Veranstaltungen bereits gewohnt. Fischer glaubt an eine Mischung aus Alter und Programm, sowohl er selbst als auch seine Partei seien am nächsten an der jungen Generation dran. Fechner ist den Abstimmungsverlauf ebenfalls gewohnt. Die Leute nähmen die SPD zunächst als "vernünftig, aber langweilig" wahr, und er könne das Bild immer drehen, sei hinterher Erster oder Zweiter, weil er konkrete Angebote mache.
Er war es aber auch, der immer wieder und als Erster anderen Kandidaten Kontra bot, etwa als AfD-Kandidat Thomas Seitz das Thema Flüchtlinge und Steuererhöhungen verknüpfte. "Quatsch!", entfuhr es Fechner, bevor Kauz ruhig und sachlich, fast wie ein routinierter Lehrer, Seitz’ Argumentation unredlich nannte. Mit einer scheunentorweit offenen Frage zur Flüchtlingspolitik gelang es der Moderation, dass Seitz sich zu dem Satz "Jedem von Ihnen wird es schlechter gehen" hinreißen ließ, was zu Raunen im Saal führte – und nicht zum einzigen Mal zu deutlichen Widerworten der anderen Kandidaten.
Das Abstimmungsergebnis spiegelte sich auch in dem Andrang wieder, der an den Stehtischen herrschte, an denen die Kandidaten nach der Podiumsdiskussion persönlich für Fragen und Gespräche zur Verfügung standen: Menschentrauben bildeten sich nur bei Fechner und Fischer.
Überzeugend und bereichernd fanden auch Lena Treptow und ihre Freundinnen die Veranstaltung. Sie habe ihre Wahlentscheidung weiter festigen können, sagte sie hinterher – und ärgere sich nun noch mehr, dass sie mit 17 noch nicht wählen darf.