SC meets EHC
Kabinengespräch: Christian Streich trifft Leos Sulak
Es wurde höchste Zeit, dass die beiden sich mal kennenlernen: EHC-Coach Leos Sulak und SC-Trainer Christian Streich. Das große Doppelinterview über Umbrüche im Beruflichen und im Privaten.
Sa, 25. Jul 2015, 0:00 Uhr
SC Freiburg
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BZ: Herr Sulak, hätten Sie Freude daran, mit Ihrem Kollegen zu tauschen und für ein Spiel auf der SC-Trainerbank zu sitzen?
Sulak: Reizen würde es mich schon. Allerdings glaube ich, dass man als Fußballtrainer während des Spiels viel weniger Einfluss auf seine Spieler hat als im Eishockey. Wenn im Dortmunder Stadion 80 000 Fans schreien, wie soll da ein Spieler meine Anweisungen verstehen? In der Eishalle kann ich, auch wegen der vielen Unterbrechungen, die Fehler der Spieler direkt korrigieren. Davon abgesehen kenne ich mich viel zu wenig mit Fußball aus.
BZ: Herr Streich, können Sie sich vorstellen, den EHC zu trainieren?
Streich: Nein. Dafür verstehe ich zu wenig von diesem Sport. Außerdem habe ich nie Eishockey gespielt. Ich weiß nicht, wie sich das anfühlt. Natürlich sehe ich bestimmte taktische Abläufe, einfach, weil da mein Auge geschult ist. Aber mehr auch nicht.
BZ: Herr Sulak, Ihr Vorname lautet eigentlich gar nicht Leos, sondern Alexej. Warum haben Sie sich umbenannt?
Sulak: Aus politischen Gründen. Ich wuchs in der Tschechoslowakei auf. Meine Mutter, die noch die Nazis erlebt hatte, war überzeugte Kommunistin. Deshalb gab sie mir einen russischen Namen. Aber schon meine beiden älteren Geschwister waren damit nicht einverstanden, sie nannten mich nur Leos. Das hat sich so fortgesetzt. Nicht einmal meine Lehrer wussten, dass ich eigentlich Alexej heiße.
BZ: Am 21. August 1968, als Dubceks liberale Bewegung des Prager Frühlings niedergeschlagen wurde, waren Sie zwölf Jahre alt. Wie haben Sie diesen Tag in Erinnerung?
Sulak: Ich lebte in Brünn, der zweitgrößten Stadt des Landes. An diesem Augusttag spielte ich auf der Straße. Da stand plötzlich ein großer Panzer, der kräftig in die Luft schoss. Ich hatte eine Heidenangst und rannte heim. Für mich als Kind war das ein heftiges Erlebnis. Mein Vater war Soldat, dementsprechend regierungstreu war die Gesinnung in meinem Elternhaus. Natürlich hatte ich damals noch keine Meinung dazu.
Sulak: Mit dem Erwachsenwerden. Ich wollte frei sein. Das Regime aber war wie ein großes Gefängnis. Es gab keine Meinungsfreiheit. Das hat mich wahnsinnig gestört. Andererseits muss man sagen, dass die Bedingungen für Sportler paradiesisch waren – ich spielte ja schon damals Eishockey. Trotzdem hielt ich es mit 28 Jahren nicht mehr aus. Bereits als 24-Jähriger bekam ich ein Angebot vom Mannheimer ERC, damals war dort mein Landsmann Ladislav Olejnik Trainer. Ich stand in Verhandlungen, bekam aber kalte Füße und machte einen Rückzieher. Irgendein Spitzel erfuhr von meinen Absichten, was zur Folge hatte, dass ich vier Jahre lang nicht ausreisen durfte.
BZ: 1984 heuerten sie als Spieler beim Augsburger EV an. Wie kam es dazu?
Sulak: Längere Geschichte. Meine Schwester flüchtete als Erste, nach Konstanz. Sie schickte mir eine Einladung und nach dem Abkommen von Helsinki durfte ich sie besuchen. Ich packte also 1983 meine Tasche, stieg ins Auto und fuhr nach Deutschland. Allerdings kehrte ich nicht mehr in die Tschechoslowakei zurück. In meiner Abwesenheit wurde ich für meine Flucht zu 18 Monaten Knast verurteilt.
BZ: Wie waren die ersten Monate in der neuen Freiheit?
Sulak: Schlimm. Ich hatte Albträume und fand kaum Schlaf. Ich träumte, wie jemand auf mich schoss, obwohl ich das ja nie erlebt hatte. Wie ein Irrer trainierte ich auf dem Eis, um später überhaupt einschlafen zu können. Ich schlief von 20 Uhr bis Mitternacht, dann wachte ich verschwitzt auf und ging joggen, damit ich wieder müde wurde. Ich hatte eine Menge zu verarbeiten.
BZ: Welchen Stand hatten Sie als Spieler?
Sulak: Ich fing bei Null an. Wegen meiner Flucht hatte der Verband für ein Jahr eine Spielsperre verhängt. In der Tschechei genoss ich Renomee, in Deutschland war ich ein Niemand, der seine Habseligkeiten in Alditüten transportierte. Die ersten Monate in der Bundesrepublik glichen einer Odyssee, bei der ich mal hier und mal da mittrainierte. Durch einen Zufall kam der Deal mit Augsburg zustande. Mein Neustart war gesichert.
BZ: Was haben Ihre Eltern dazu gesagt?
Sulak: Mein Vater sprach mit mir ein Jahr lang kein Wort. Wenn ich zuhause anrief, reichte er mich gleich weiter: "Mutter, dein Emigrant ist am Telefon." Das Verhältnis entspannte sich aber mit der Zeit.
BZ: Haben Sie ausschließlich Eishockey gespielt?
Sulak: Nein, ich half in Augsburg auch in einem Sportgeschäft aus, zusammen mit Alfons Higl.
Streich: Echt? Der arbeitet jetzt bei uns als Scout.
Sulak: Wirklich? Grüßen Sie ihn von mir. Es waren lustige Vormittage mit Alfons. Wir haben in diesem Laden nicht gerade den Umsatz angekurbelt, weil wir die meiste Zeit Tischtennis spielten. Die Platte war ganz neu und für den Verkauf gedacht. Hinterher wollte sie niemand mehr, da wir sie ziemlich ramponiert hatten.
BZ: Herr Streich, zu jener Zeit wuchsen Sie im Markgräflerland auf, das ja nicht gerade als Unrechtsstaat bekannt ist. Wogegen haben Sie als Heranwachsender rebelliert?
Streich: Gegen die Eltern. Wobei das ja ganz normal ist, wenn man pubertiert. Und lang nicht so schwerwiegend und folgenreich wie das, was mein Kollege gerade erzählt hat. Allerdings: Die RAF hat auch in meinem Heimatdorf Eimeldingen damals einen rebellischen Zeitgeist entfacht. Die Baader-Meinhof-Gruppe, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe, die Schleyer-Entführung: Wir haben über nichts anderes mehr gesprochen. Weil wir an der Grenze im Dreiland lebten, fühlten wir uns im Zentrum des Geschehens. Die Leiche von Hanns Martin Schleyer zum Beispiel wurde im Oktober 1977 in Mulhouse gefunden, von uns aus gesehen gerade auf der anderen Rheinseite. Da gingen natürlich massig Gerüchte um. Ebenso gab es die regionale Nähe zu Christian Klar, der ja Schüler am Gymnasium in Lörrach war. Als Teenager fühlte ich mich damals zerrissen. Einerseits die Ideen dieser Leute. Andererseits waren das ja Killer, die Menschen entführten und erschossen. Dieser Widerspruch spaltete auch die Meinungen unter uns Schülern.
Streich: Ich ging auf die Hauptschule und eines Morgens zeigte uns der Geschichtslehrer einen Film über die Konzentrationslager der Nazis. Da saß ich also um halb elf und sah Bilder von riesigen Leichenbergen. Gnadenlos. Diese Aufnahmen sind bis heute in meinem Kopf präsent. Unauslöschbar. Der Lehrer ließ uns mit diesen Eindrücken ziemlich allein, seine Erklärung der Hintergründe war ungenügend. Mein Opa war im Krieg gefallen. Ich ging zu meiner Oma und fragte sie aus: "Wusstet Ihr denn nichts von der Judenvernichtung? Habt Ihr keine Zeitungen gelesen? Was ist mit den anderen alten Männern im Dorf – waren die an diesem Massenmord beteiligt?" Ich wollte alles wissen. Meine Oma war eine Frau mit reflektierten Ansichten und eine tolle Erzählerin obendrein. Das war für mich sehr hilfreich.
BZ: Wurden Sie eigentlich streng erzogen?
Streich: Hm, eher nicht. Ich hatte genug Freiheiten und durfte relativ früh viel ausprobieren. Meine Eltern hatten eine Metzgerei und arbeiteten viel, deshalb hatten sie mich nicht permanent im Blick.
BZ: Wie sah für Sie als Heranwachsender ein typischer Samstagabend aus?
Streich: 18 Uhr Sportschau, das war Gesetz. Das Problem: meine Schwester wollte gleichzeitig im Zweiten "Daktari" schauen.
Sulak: Mit Clarence, dem schielenden Löwen.
Streich: Genau. Nach dem Abendessen gingen meine Eltern zum Kegeln in den "Löwen". Das war das Gasthaus im Ort und mein Patenonkel war der Wirt. Währenddessen saßen meine Schwester und ich wieder vorm Fernseher und schauten "Am laufenden Band" mit Rudi Carrell. Mit den Gegenständen auf einem Förderband, die man sich merken musste: Waschmaschine, Toaster, Radio… wir fanden das toll. Unglaublich, wenn man sich das heute überlegt, oder? Danach kam Sportstudio. Da dachte ich: Super, 22.30 Uhr, bist erst 14 und darfst noch Sportstudio schauen.
BZ: Haben Sie sich auch für die Eishockey-Berichte interessiert?
Streich: Selbstverständlich. Sowjetunion gegen die Tschechoslowakei, das waren Länderkämpfe mit politischer Dimension. Diese Begegnungen hatten ja nach dem Prager Frühling 1968 eine brisante Vorgeschichte. Mein Vater und ich verfolgten diese Partien gespannt. Eishockey fasziniert mich bis heute.
BZ: Können Ihre Spieler etwas vom Eishockey lernen?
Streich: Manchmal trainieren wir, wie beim Eishockey, mit einer festen Abseitslinie. Normalerweise rennen wir Fußballer ja gegen eine lebendige Abseitslinie, die sich verschiebt. Die Abwehrspieler üben auf diese Weise das Ausrücken, die Stürmer Bewegungsabläufe am gegnerischen Strafraum.
BZ: Herr Sulak, am 26. April löste Ihr Team mit einem knappen 1:0-Heimsieg gegen Duisburg das Ticket zum Aufstieg in die DEL 2. Was war ausschlaggebend für den Erfolg?
Sulak: Der Wille, die mentale Stärke. Die Jungs hatten im Jahr zuvor den Aufstieg knapp verpasst. Das hat sie gewurmt. Dieses Mal wollten sie es durchziehen. Unbedingt.
BZ: Die Leistungsträger sind geblieben, Sie können mit einem gefestigten Team weiterarbeiten. Ist es für Sie überhaupt ein Neuanfang?
Sulak: Oh ja. Die zweite Liga ist vom Niveau her für uns alle eine Unbekannte. Außerdem ist nicht gesagt, dass ein Spieler, der in der Oberliga glänzte, dieses Level in der Zweiten Liga hält. Ein ebenso großes Fragezeichen: Wie integrieren sich die Neuzugänge? Für uns wird es von Anfang an um den Klassenerhalt gehen.
Streich: Du hast ein Jahr lang gearbeitet und am Ende siehst du ein, dass du es nicht geschafft hast. Das ist ein niederschmetterndes Gefühl, sowas hatte ich zuvor noch nie erlebt. Umso härter war für mich die Verarbeitung. Ich war nach der Saison erstmal erschöpft. Meine Energie, meine Emotionen, mein Wissen – all das habe ich ja täglich an die Spieler weiterzugeben versucht. Nach dem Abstieg spürte ich das Gefühl des Ausgebranntseins. Ich konnte darüber auch nicht mehr sprechen. Was sollte ich noch sprechen? Mit wem? Worüber? Es gab nichts mehr zu sagen. Du brauchst auch ein paar Tage, an denen du endlich schweigen kannst.
BZ: Haben Sie eine Antwort auf die Frage gefunden, warum diese talentierte Mannschaft abgestiegen ist?
Streich: Dafür gibt es verschiedene Gründe. Weil wir sechsmal in den letzten Spielminuten einen Gegentreffer kassierten. Weil wir jeweils beim Stand von 0:0 vier Elfmeter verschossen. Weil wir gegen die sechs Mannschaften, die mit uns hinten drin standen, nur einmal gewonnen haben. Dazu kamen ein paar unglückliche Schiedsrichter-Entscheidungen. Aber das sind Ausreden. Letztlich hat uns etwas Grundlegendes gefehlt. Ein Stück weit sicherlich auch jene Mentalität, die man im Abstiegskampf braucht.
BZ: SC-Präsident Fritz Keller meinte nach dem Abstieg, dass es im Verein vielleicht etwas zu harmonisch zugegangen sei.
Streich: Ich finde, dass wir durchaus kritisch miteinander umgegangen sind. Das sieht man zum Beispiel an der häufigen Rotation. Wir hatten für eine Position oftmals Spieler, die nahezu gleich stark waren. Da kam es auf Nuancen an. Wenn einer nach zwei Spielen einen Tick nachließ, bekam sein Kollege eine Chance. Leider führte dies auch zu einer Instabilität im Mannschaftsgefüge. Glauben Sie mir: es gab genug Reizthemen und Reibung unter unseren Spielern.
BZ: Das wird wohl erst mal so bleiben. In den Vorbereitungsspielen gegen ihre Zweitligakonkurrenten St. Pauli und Sandhausen hat der SC kein einziges Tor geschossen.
Streich: Stimmt. Das hat vielleicht dem Letzten die Illusion genommen, dass der Wiederaufstieg programmiert sei. Nein, das wird eine harte Nummer. Die Jungs wissen schon Bescheid.
BZ: Sowohl der EHC als auch der SC sind Ausbildungsvereine. Wie schaffen Sie es, dass die jungen Spieler auf der Erfolgswelle nicht abheben? Wie autoritär müssen Sie sein?
Sulak: Das ist schwer.
Streich: Autorität ist ein großer Begriff, den muss man erst mal definieren. Im Grunde geht es darum, dass ich dem Spieler fachlich etwas vermittele und dabei authentisch bleibe. Der Spieler muss sich mit seinem Können bei mir angenommen fühlen. Ob man da jetzt strenger ist oder nicht, ist glaube ich gar nicht so entscheidend.
Sulak: Ich versuche, den Jungs Aufrichtigkeit zu vermitteln. Und sie vor falschen Entscheidungen zu warnen.
BZ: Welchen Anspruch haben Sie an sich als Trainer?
Streich: Wir sind dazu verdammt, Erfolg zu haben. Das ist nun mal unser Job.
Sulak: So ist es. Wenn die Mannschaft schlecht spielt, ist der Trainer der Arsch. Und wenn wir damit nicht leben können, ist dieser Job für uns der falsche.
CHRISTIAN STREICH
Der 50-Jährige stammt aus Eimeldingen. Als Mittelfeldspieler kickte er in den Achtzigern für diverse Vereine. Seine Trainerkarriere begann er 1995 bei den A-Junioren des SC Freiburg, mit denen er mehrere Titel holte. Den Posten des Cheftrainers beim SC übernahm Streich Ende 2011. Er führte die Profis zum Klassenerhalt und schaffte mit ihnen in der Folgesaison den Einzug in die Europa League. Im Mai 2015 erlebte er mit dem SC erstmals einen Abstieg. Streich hat eine 20-jährige Tochter und einen fünfjährigen Sohn.
LEOS SULAK
Der 59-Jährige stammt aus Brünn (Tschechien). 1987/88 war er als Mittelstürmer maßgeblich am Aufstieg des EHC Freiburg in die erste Bundesliga beteiligt. Als Trainer absolvierte er diverse Stationen, bevor er 2013 als Coach zum EHC zurückkehrte. Sulak steht für das Konzept, mit talentierten Nachwuchsspielern aus der eigenen Jugend der Konkurrenz Paroli zu bieten. Sulak hat eine Tochter (15) und einen Sohn (21).
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