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"Nur noch fünf Minuten!"

JUZ-GLOSSE: Strategien vom Schweinehund

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Der Deutschen liebstes Haustier ist weder Goldfisch, noch der Golden Retriever, noch gar die Giraffe, sondern eine kleine widerwärtige Kreuzung aus Hund und Schwein – besser bekannt als der innere Schweinehund. Jedes Mal, wenn eine unaufschiebbare, hochwichtige und lästige Sache zu erledigen ist, wackelt er anhänglich und ungerufen herein. Er ist ein Meister im Honig-ums-Maul-Schmieren und beherrscht die verschiedensten Strategien, sich die ungeteilte Aufmerksamkeit seines Herrchens zu sichern.

Schweinehunds erfolgreichste Strategie ist die berühmte Fünf-Minuten-Taktik, gefolgt von dem Morgen-ist-auch-noch-ein-Tag-Plan. "Nur noch fünf Minuten, dann legst du sofort los, nur noch fünf Minuten", wispert der Schweinehund in dein Ohr und klopft lockend auf den freien Platz neben sich auf dem Sofa. Nur zu bereitwillig lässt Herrchen sich darauf ein und neben ihm nieder. Die Frage ist sowieso, wer hier Herr und wer (Schweine-)Hund ist. Hat sich das kleine Vieh erst mal eingenistet, wird man es so schnell natürlich nicht mehr los. Im Gegenteil, mit jedem gelungenen Angriff scheint nicht nur Schweinehunds Einfluss, sondern auch er selbst zu wachsen. Das ganze Haus ist mittlerweile in seinen Besitz übergegangen. Seine beiden Kumpel Lethargie und Bequemlichkeit hat er ohne zu fragen gleich mitgebracht und auch die beiden haben im Wohnzimmer schon ihr komfortables Lager aufgeschlagen.

Herrchen steht mittlerweile völlig unter der Knute dieser drei und auf sämtliche Rauswurfversuche reagieren sie mit höhnischem Gelächter. Dagegen hilft nur noch eins: das Gegengift Disziplin. Das aber ist selten – und äußerst schwer zu bekommen. Und der Schweinehund, der innere, arbeitet kräftig dagegen an. Aber nicht verzweifeln: das schlechte Gewissen hilft jetzt mit!

"Hallo? Wo bleiben die Normalen?"

Großwerden ist gut, aber Castings sind bitter – zumal, wenn es um neue Mitbewohner für die eigene WG geht.  

"Wenn ich mal groß bin" – das war eine meiner Lieblingsvorstellungen als Achtjährige. "Groß", das begann in meiner Zeitrechnung irgendwann mit zwölf oder so. Dann würde ich nie mehr früh ins Bett gehen, den ganzen Tag Cola trinken und natürlich nie mehr Zähne putzen. Ganz so ist es leider nicht gekommen. Groß-werden ist irgendwie eher die "Zeit der ersten Male" als die "Zeit des ich-tue-was-ich-will". Das erste Mal zum Einwohnermeldeamt. Das erste Mal von der GEZ verfolgt werden. Oder eben das erste Mal Bewerbungsgespräch.

Diese Situation kommt meiner Vorstellung von der Hölle ziemlich nahe. Egal, ob man sich um einen Job, um ein Zimmer oder um einen Studienplatz bewirbt – immer sitzt man vor einer völlig fremden Person und soll sich ausziehen – seelenlebenmäßig, versteht sich. Und jedes Mal wünscht man sich doch insgeheim, malderjenige sein zu dürfen, der die doofen Fragen stellt. Und jetzt, endlich, war es soweit: ich durfte in die Rolle der Inquisiteurin schlüpfen und richtig fiese Fragen stellen – beim WG-Casting nämlich.

Ich hatte mir das ganze eigentlich ganz nett vorgestellt – mit Zimmerbewerbern freundlich plaudern und dabei Freunde fürs Leben gewinnen. Doch schon als ich den ersten Bewerber durch den Türspion sehe, schwant mir Übles. "Hallo, du kommst bestimmt wegen des Zimmers. Also, hier ist die Küche." Betram kann nichts dafür, aber aus uns beiden wird nichts. Chemie, oder so. Seit zwei Monaten sucht der arme Kerl schon ein Zimmer, obwohl er sich mit "allen so supi verstanden hat", kam der entscheidende Anruf noch nicht. Was er gar nicht verstehen kann. Ich dagegen schon.

Nach einer Viertelstunde weiß ich alles über Bertram und über Bertrams Exfreundin ("’ne ganz Süße, obwohl es mich schon enttäuscht hat, dass sie zwei Tage nach der Trennung mit meinem besten Freund..."), seine Mutter (Naja, Lörrach ist ja nicht so weit weg, sie kommt höchstens zwei, drei Mal die Woche), sein Sternzeichen ("Was bist du? Skorpion, hm, so, so, ja ich weiß nicht, ob sich das so gut Löwe verträgt..."). Nach einer Dreiviertelstunde kann er sich immer noch nicht entschließen zu gehen und macht ungefragt erste Pläne für diverse gemeinsame Freizeitaktivitäten. Erst die Frage, "sag mal, hast du nicht noch andere Besichtigungstermine?" lässt ihn erschrocken zusammenzucken. "Ups, ja stimmt - tschüss dann, bis hoffentlich bald." In solchen Momenten bereue ich es ein bisschen, in Freiburg zu leben: der Satz, man trifft sich immer zweimal im Leben, trifft leider immer zu.

"Mein Therapeut

hat gesagt, eine WG

sei gut für mich."

Es klingelt zum zweiten Mal: Sabine. Sie gehört – wie sich schnell herausstellt – zu der Sorte der militanten Vegetarier: "Wenn Schlachthäuser Glaswände hätten, würd’ niemand mehr Fleisch essen – ist ja auch total ungesund."Sabine starrt angewidert auf mein Schinkenbrötchen, aber trotzdem machen wir brav die Hausführung und sagen unseren Text auf: "So, das ist also die Küche." Es klingelt wieder, und wieder und wieder, Adrian, Stephan, Katharina. Mit dem dreizehnten Bewerber (Martin) zeigen sich bei mir erste Ausfallerscheinungen. Ich wiederhole die gleichen idiotischen Sätze und beginne irgendwann hysterisch zu kichern.

Es hat ein bisschen was von Folter: die selben Fragen, die selben Antworten, die selben Erwartungen, die selben Enttäuschungen, die dauernde Wiederholung hölt einen ein bisschen aus. Ich merke, wie allmählich meine Zunge bleischwer und unbeweglich wird.

Im Grunde lassen sich die Bewerber in drei Gruppen einteilen: diejenigen, die gar nichts sagen ("Und, was machst du?" "Ausbildung."), diejenigen, die alles erzählen und alles anbieten ("Klar, ich mach alles für euch! Ich mach’ den Wanddurchbruch und bepflanze den Garten und koche jeden Tag für alle.") und die Gruppe, die eigentlich nur das Merkmal "merkwürdig" gemeinsam hat ("Meine Frau und meine Kinder, könnten die hier auch ab und zu zu Besuch kommen?", "Mein Therapeut hat gesagt, eine WG sei gut für mich", "Stört’s euch, wenn ich meine zwei Babyalligatoren mitbringe?")

Hallo? Wo bleiben die ganz Normalen? Naja, wahrscheinlich soll auch diese Erfahrung mich etwas lehren. Nur was? Vielleicht, etwas toleranter zu sein? Das kann gar nicht sein. Ich doch nicht!

"Der Professor wendet sich gnädig von seinem Computerspiel ab"

Aller Anfang ist schwer – natürlich auch für die, die sich als Erstsemester durchschlagen: bei der Zimmersuche, auf der Party und in der Studienfachberatung.  

Das Studentenleben ist nicht nur an der Uni erstmal neu und manchmal auch kompliziert. Oder einfach merkwürdig. Und es dauert eine ganze Weile, bis man sich zurechtfindet. In der neuen Stadt, mit den neuen Leuten – und den jeweiligen Gepflogenheiten. Antonia Kurz hat für die JuZ einige dieser unvermeidbaren Selbsterfahrungen notiert.

Zimmersuche. Das schwarze Brett der Universität gleicht einem urzeitlichen Schuppentier, so bedeckt ist es mit Aushängen von Studenten, die ein Zimmer suchen oder anbieten. Ich habe keine WG-Erfahrung, ich bin Erstsemester, aber ich habe mir natürlich überlegt, wie ich mich verhalten soll. Vielleicht gilt es ja auch, ähnlich wie in Job-Bewerbungsgesprächen, aufzufallen? Ich beschließe, mich einfach individuell auf die Leute einzulassen. In der ersten Wohnung kleben lauter nackte Frauen am Kühlschrank. "Ich bin Vegetarierin", sage ich in der zweiten. "Ich esse viel Fleisch", sagt der blonde Biologiestudent, der mir die Wohnung zeigt, "richtig große, saftige Stücke." "Alright" ist das Lieblingswort vom blonden Biologiestudenten. Als ich mich verabschiede, muss ich das "Alright" das mir auf der Zunge liegt, runterschlucken. "Ich melde mich", sage ich bloß.

Die neue Wohnung. Meine Mitbewohnerin und mein neues Zimmer haben eines gemeinsam: An beide werde ich mich erst gewöhnen müssen. Ich weiß, dass sie mir irgendwann vertraut sein werden. Ich weiß, dass ich mich irgendwann nicht mehr schäme, Steffi in meinem Nachthemd mit aufgedruckten Pferdeköpfen auf dem Weg ins Bad zu begegnen. Ich weiß, dass ich irgendwann die neue Wohnung meine, wenn ich von "Zuhause" spreche. Doch nichts kann diesen Prozess beschleunigen, denn er ist – wie vieles im Leben – nur an die Zeit gekoppelt.

Die erste Party. "Was feiern die denn?", frage ich einen Freund und beobachte drei Studenten, die sich grölend in die Arme fallen. "Die Klausuren sind rum", antwortet er. "Ich dachte, viele seien durchgefallen.", sage ich. Es gibt keine Becher mehr. Das "Buffet" sieht aus, als hätten sich einige besoffene Studenten darauf geworfen. "Und was studierst du?" werde ich gefragt. "Welches Semester?", "Was willst du mal machen?". Ich überlege, ob ich zur Abwechslung mit "Wen würdest du ohne zu zögern töten?" in ein Gespräch einsteigen soll. Ein BWL-Student in Karottenhosen tanzt merkwürdig und selbstvergessen. "Hochbegabt" flüstert mir mein Freund zu. Später sehen ich den Hochbegabten mit einer Blondine knutschen, die langsam wie herunterlaufende Farbe an der Wand herabrutscht, und so aussieht, als wird sie am nächsten Morgen sagen: "Ich erinnere mich an gar nichts mehr." Während ihre Kommilitonen wissend kichern.

Mensa-Essen. Ja, ich bin verwöhnt. In dieser Hinsicht zumindest. Meine Mutter macht Spätzle und schwäbische Maultaschen nämlich selbst. Die Beziehung zu dem, was dann in der Mensa für schlappe 2,35 Euro auf meinem Teller liegt, lässt sich in ziemlich einfachen Worten beschreiben: es schmeckt mir nicht. Dabei sehen die "Penne mediterran" (Nudeln mit Olivenstückchen) harmlos aus, und nicht so, als hätten sie eine merkwürdige Metamorphose hinter sich, wie das, was mein Freund gerade stoisch isst. Er grinst und amüsiert sich sich offensichtlich über mein Jammern auf hohem Niveau. In einem Geschäft entdecke ich Handtücher, auf die "Hotel Mama" gestickt ist. Mirácoli soll schmecken, habe ich gehört. Und in der Werbung wird Mirácoli sogar von einem Kind zubereitet.

Studienfachberatung. Man muss sich an den kleinen Dingen freuen. So bin ich schon mal zufrieden, dass der Professor dieses Mal sogar anwesend ist, und ich nicht aufgrund eines Zettels ("Die Sprechstunde fällt heute wegen Krankheit aus") noch mal kommen muss. Der Professor wendet sich gnädig von seinem Computerspiel ab und lehnt sich bequem auf seinem Stuhl zurück. Mich beschleicht das Gefühl, dass es ihm scheißegal ist, ob sich das Fach Soziologie für mich eignet oder nicht. Launisch beantwortet er meine Fragen ("Mathe spielt schon eine Rolle", "Manche fallen durch, andere nicht. Woran das liegt weiß ich nicht."). Im Uni SPIEGEL wird eine Studentin zitiert: "Keiner interessiert sich am Campus für dich". Übrigens: Ich studiere jetzt Kunstgeschichte, nicht mehr Soziologie.

Ressort: Zisch

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