Jim Knopfs Bruder
Jan Peter Tripp, der Sohn des Illustrators, ist als Künstler eigene Wege gegangen. Zum 50. Geburtstag des Kultbuchs bekennt er Farbe.
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50 Jahre ist das jetzt her. Im August 1960 erschien der Debütroman des damals 30-jährigen Nobodys Michael Ende, der bis dahin dies und das ohne Erfolg ausprobiert hatte, unter anderem die Schauspielerei. Und F. J. Tripp, wie es in bescheidenen kleinen Lettern unter dem Titel steht, hatte auf Anregung der hellsichtigen Verlegerin Lotte Weitbrecht die Schwarz-Weiß-Zeichnungen für diese menschenfreundliche, phantastisch zwischen Tiefsee, Erde und Himmel schweifende Abenteuergeschichte angefertigt; für das Eisenbahnmovie von zwei furchtlosen Lokomotivführern, die von der kleinsten Insel der Welt ausziehen, eine chinesische Prinzessin aus den Fängen eines sehr bösen Drachen zu retten. Seitdem haben sich Franz Josef Tripp Bildfindungen ins visuelle Gedächtnis von Kindergenerationen (und in das der vorlesenden Eltern) eingeschrieben – unterstützt durch das sich verblüffend eng an seine Illustrationen anlehnende Marionettenspiel der Augsburger Puppenkiste. "Linientreu" nennt das der Sohn respektvoll.
Damals allerdings, erinnert sich der Jan Peter Tripp, maß man den Illustratoren weitaus weniger Bedeutung zu als in der so viel stärker vom Bild geprägten – und vom Comic eroberten – Wahrnehmungskultur von heute. Von dem beispiellosen Erfolg des Buchs, der nach dem 1961 verliehenen Deutschen Jugendliteraturpreis sofort einsetzte und bis heute zu einer verkauften Auflage von über 4 Millionen Exemplaren in 33 Ländern geführt hat, konnte "Jupp", wie er den im Ruhrgebiet geborenen Vater nennt, finanziell nur in Maßen profitieren. Immerhin wurde der Autodidakt, der bis dahin für Ergee-Strümpfe und ähnliche Wirtschaftswunderlandprodukte Werbung gemacht hatte und – das war sein Glück – beim renommierten Thienemann-Verlag ein nicht sonderlich beachtetes eigenes Bilderbuch ("Marco und der Hai") herausgebracht hatte, so bekannt, dass er auch Otfried Preußlers Bestseller "Das kleine Gespenst" und "Der Räuber Hotzenplotz" mit seiner frischen Zeichensprache begleiten durfte. Und es ist ja so, dass man sich alle diese Bücher ohne Tripps unbekümmert erfinderischen Strich nicht vorstellen kann. "Die Zeichnungen funktionieren heute noch", sagt der Sohn. Sein Vater sei immer ganz nah beim Kind geblieben – und das liege vielleicht gerade daran, dass er kein ausgebildeter Künstler gewesen sei.
Zu einer Ausstellung im Literaturhaus Stuttgart, die vor vier Jahren "Vater & Sohn", den Zeichner und den Maler, "über 40 Jahre hinweg" zusammenbrachte, hat sich Jan Peter mit der Biographie Franz Josefs beschäftigt: "Querfeldein – auf der Suche nach Jupp" heißt das im Warmbronner Verlag Ulrich Keicher erschienene Heft mit handschriftlichen Aufzeichnungen. Der Künstler schreibt nie maschinell. Zu dem Ort, an dem Tripp junior – wenn man einen 65-Jährigen so nennen darf – seit über 30 Jahren lebt, passt dieses altmodische Beharren auf dem Handwerklichen. In Mittelbergheim, einem in die Stille verliebten Winzerdorf im nördlichen Elsass, hat sich Jan Peter Tripp ein Gartenreich geschaffen; hat ein Haus zu einem Baum gekauft. Eine solche Blutbuche sieht man selten. 300 Jahre mag sie alt sein, sie ist die schweigende Herrin über Haus, Hof und geschätzte 3000 Quadratmeter parkähnliches Grün.
Der Vater, der Jim-Knopf-Zeichner, ist aus dem Allgäu nicht hinausgekommen. Obwohl er aus Essen stammte. Im Krieg war er Gebirgsjäger und am Ende stolz, dass er es nicht weiter gebracht hatte als bis zum Gefreiten. Dass er im Kaukasus für die Soldatenzeitung schrieb – und später, als der Kamerad gefallen war, auch zeichnete, davon berichtet der Sohn in seiner Skizze. Und erzählt im Schatten der Blutbuche, dass er den Vater immer zeichnend, kritzelnd erlebt hat, mitten in der Wohnung. Er hatte kein Atelier wie der Sohn, der sich, im Gegensatz zum improvisierenden Vater, der nur ein paar Stifte brauchte, als Schüler des Wiener phantastischem Realisten Rudolf Hausner dem altmeisterlichen Malstil anvertraut hat. Bis zu 40 Schichten übereinander – früher in Eitempera und Öl, heute in Acryl – führen zu einer Überschärfe beim realistisch gemalten Gegenstand. Meistens sind es Menschen. Mit Anstaltsinsassen, Irre, wie Tripp sie nennt, fing es an, in den siebziger Jahren, es folgten Dichterporträts, später auch Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die sich gern in altmeisterlicher Manier porträtieren lassen, Leute wie Dieter Hundt, der Arbeitgeberpräsident, ein Sammler von Tripps Arbeiten, oder der Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking. Leute, die sehr wenig Zeit haben für ein Bild, dessen Herstellung auf der Grundlage von Fotos sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. In vierzig Jahren hat Jan Peter Tripp nicht mehr als 240 Bilder gemalt.
Tripp, Vater & Sohn: Ein problemloses Verhältnis ist das nicht gewesen. Jupp, der Vater, introvertiert, fast klösterlich zurückgezogen, verwurzelt in einem kleinen Weiler bei Obersdorf, den er kaum je verließ, Jan, der Sohn, als Heranwachsender alles andere als feingeistig gestimmt, Sport und Mädchen im Kopf und einen Job in einer Bar: Das hat dem Vater höchst missfallen. Erst als der Sohn, der manches probiert hat, auch das Bildhauen in Stein, der Künstler wurde, der der Vater gern gewesen wäre, schlug die Verachtung in Verehrung um. Weder das eine noch das andere, weder Verdammnis noch Anbetung, sagt Jan Peter Tripp, hat gestimmt.
Franz Josef Tripp, so hat es im Gespräch den Anschein, ist ihm in mancher Hinsicht ein Fremder geblieben. Aber er hat ihm dieses wunderbare Erbe hinterlassen. Dutzende von Federzeichnungen für ein Kultbuch, das wie kaum ein anderes das Heranwachsen deutscher Kinder in der Nachkriegszeit beflügelt hat – mit dem sanften, aber unerschütterlichen Glauben an die Macht der Phantasie, kraft derer Inseln aus dem Meer auftauchen, Lokomotiven fliegen können und reinrassige Drachen, die Kinder böse quälen, zur Kapitulation gebracht werden. Wie Julia Voss in ihrer intelligenten Untersuchung "Darwins Jim Knopf" einleuchtend darlegt, ist Michael Endes Buch auch ein Gegenentwurf zur Rassenpolitik der Nationalsozialisten, mit der der 1929 geborene Sohn des unter den Nazis verbotenen Malers Edgar Ende in der Schule malträtiert wurde.
Maler geworden.
Der Mischlingsdrache Nepomuk, der mit wegen seiner Nilpferdmutter nicht richtig Feuer speien kann und deshalb aus der Volksgemeinschaft der Drachen ausgeschlossen ist, gehört mit seinen fast abgründig traurigen runden Augen zu Franz Josef Tripps rührendsten Figuren. Auch Nepomuk ist der Sohn noch einmal neu begegnet, als er im vergangenen Jahr Zeichnungen seines Vaters für den laut Gemeinde "größten Adventskalender der Welt" am Gengenbacher Rathaus auswählte – und für die plakative Präsentation kolorierte. Sein malerisches Wissen, sagt Jan Peter Tripp bescheiden, habe er in den Dienst der Zeichnungen gestellt. Das sieht im Ergebnis einfacher aus, als es ist. Es musste ja, erklärt der Künstler, jeder einzelne Strich der sehr detaillierten Federzeichnungen erhalten bleiben. Die aquarellistische Lösung, die er gefunden hat, überzeugt. Behutsam hat der Künstler mit der Farbe modelliert und, wie er findet, die Vorlagen des Vaters übersichtlicher gestaltet. Aus dem postumen künstlerischen Zusammentreffen von Vater & Sohn ist ein wunderschöner großformatiger Kalender entstanden – gedacht eigentlich für das Jubiläumsjahr. Wegen Copyright-Streitigkeiten ist er beim Janosch-Verlag Little Tiger erst für 2011 herausgekommen.
Auf dem Titelblatt kommt einem ein stolzer, selbstbewusster Jim Knopf entgegen – so, wie Jan Peter Tripp ihn sieht. Im Original, dem "Jim Knopf-Monument zu Stuttgart am Abend des 25. September 2006" – dem Eröffnungsdatum der Ausstellung, die erstmals die Originalzeichnungen aus dem Besitz des Sohnes präsentierte –, hat er den kleinen Helden einer großen Geschichte auf ein gewaltiges steinernes Podest gestellt: ein durchaus auch ironisches Zitat deutscher Denkmalkultur. Im Hintergrund zuckt ein Blitz über den Himmel.
Jim Knopf, das schwarze Findelkind, das nur aus postalischem Versehen nicht ins Reich der Drachen, das finstere Kummerland, geschickt wird, ist bei Jan Peter Tripp erwachsen geworden. Statt Shorts trägt er eine mit einem dekorativen gelben Gürtel aufgemotzte blaue Latzhose. Auf die Lokomotivführermütze sind – in Gold! – die Initialen seines Namens geprägt. Die eine Hand hat er in der Hosentasche vergraben, in der anderen hält er – einen Pinsel. Jim Knopf ist Maler geworden wie sein Bruder. Eine weltberühmte Figur verwandelt sich in einen berühmten Künstler. Da hat Jan Peter Tripp wieder mal einen kleinen Kassiber in eine von ihm bearbeitete Vorlage geschmuggelt; eine, wie er es nennt, "Verwacklung der Realität", die sich die Glaubwürdigkeit seiner fotorealistischen Methode zunutze macht. Die Irritation entsteht erst auf den zweiten Blick. Auf der Mütze könnte man jetzt beinahe J. P. T. lesen.
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