Internationaler Frauentag

Auf dem Weg zur Gleichstellung bleibt noch viel zu tun

Freiheiten gilt es immer wieder neu zu verteidigen, meint Mechthild Blum anlässlich des Weltfrauentags. In einer komplexer werdenden Welt verändert sich auch der Feminismus.  

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Am 21. Januar marschierten und demonst...; gegen den neuen Präsidenten der USA   | Foto: AFP
Am 21. Januar marschierten und demonstrierten Tausende beim „Women’s March“ gegen den neuen Präsidenten der USA Foto: AFP
Plötzlich war Gewalt gegen Frauen das Top-Thema. Dutzende Frauen waren in der Silvesternacht 2016 in Köln von jungen Männern nordafrikanischer Herkunft sexuell belästigt worden. Die Empörung der Bevölkerung, die sich auch in allen Medien widerspiegelte, war groß. Zurecht. Keine Frau sollte sich solchen Angriffen ausgesetzt sehen. Am lautesten allerdings schwangen sich ausgerechnet national gesinnte, antimuslimische und rassistische Männer zu Frauenbeschützern auf, obwohl gerade deren politische Ideologie, wie sie etwa die AfD propagiert, weibliche Befreiung und Selbstbestimmung verachtet. Aber auch andere, darunter nicht wenige Frauen selbst, fragen immer wieder – gerne anlässlich des Internationalen Frauentags: Brauchen wir eigentlich noch eine Frauenbewegung? Ist Feminismus noch zeitgemäß?

Aufbruch in eine selbstbewusste weibliche Existenz

Gerade hat Emma, das Flaggschiff der frauenbewegten Medien, ihren 40. Geburtstag gefeiert. Für viele Frauen war diese von Alice Schwarzer gegründete Zeitschrift der Aufbruch in eine selbstbewusste weibliche Existenz jenseits der Rollenzuschreibungen, die Frauen in der Bundesrepublik Deutschland ihren Platz in der Gesellschaft anwiesen: als Mädchen, in der Beziehung zu Männern, in Ausbildung und Beruf, in Ehe und Familie, in religiösen Gemeinschaften, im öffentlichen Leben, in rechtlicher Hinsicht.

Bevor sie ihre Zeitschrift gründete, war am 6. Juni 1971 der Stern mit der von Alice Schwarzer initiierten spektakulären Aktion "Ich habe abgetrieben" erschienen. Mit dieser Aktion von 374 prominenten und nicht prominenten Frauen gegen den damals geltenden Paragraphen 218, der einen Schwangerschaftsabbruch verbot, wurde sie zum Auslöser der neuen Frauenbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg.

Insbesondere die sexuelle Selbstbestimmung hatte (und hat) sich die Herausgeberin auf die Fahne geschrieben. Spektakulär verklagte sie 1978 den Stern für seine sexistischen Darstellungen und machte Furore mit ihrer Kampagne gegen die Pornografisierung des Alltagslebens.

Eine Vielfalt neuer Strömungen

Und heute? Vierzig Jahre später hat sich nicht nur die deutsche Gesellschaft in einer immer komplexer werdenden Welt verändert. Auch Feministinnen beschränken sich nicht mehr auf eine antisexistische Haltung. Und sie beklagen, wie etwa Cornelia Möhring, frauenpolitische Sprecherin der Linkspartei, und ihre Kollegin von den Grünen, Gesine Agena, dass Schwarzer – und mit ihr die Emma – die Vielfalt neuer Strömungen ausgrenze. Insbesondere die jungen feministischen Netzaktivistinnen, die Emma Rassismus im Fall der Silvesterübergriffe vorhalten. Besonders wenn es um die Emanzipation muslimischer Frauen gehe. Die Autorin und Bloggerin Antje Schrupp: "Feminismus ist inhärent pluralistisch, denn sein wesentliches Anliegen ist, Frauen als Akteurinnen ernst zu nehmen."

Wie ernst sie zu nehmen sind, haben im Januar über eine halbe Million Frauen beim "Women’s March" in Washington gezeigt – in Anspielung auf den "March on Washington", bei dem 1963 Hunderttausende gleiche Rechte für Schwarze einklagten. In den gesamten USA waren es drei Millionen, die gegen den offen sexistischen und rassistischen Präsidenten Donald Trump unmittelbar am Tag nach seiner Vereidigung protestierten.

Hunderttausende von ihnen trugen rosa Strickmützen mit Katzenohren als Anspielung auf Trumps Behauptung, er könne jede "Pussy grabschen". Tausende demonstrierten kurz darauf auch auf dem Flughafen John F. Kennedy gegen Trumps Dekret, Menschen aus verschiedenen muslimischen Staaten die Einreise zu verweigern. Sie erwägen sogar, einen Generalstreik auszurufen. Denn viele von ihnen haben sehr grundsätzliche Anliegen: sexuelle Übergriffe, Gewalt, Einkommensunterschiede und den Frauenanteil in Regierung, Wissenschaft und Wirtschaft.

Freiheit, die immer wieder neu verteidigt werden muss

Laurie Penny, Journalistin, Autorin, Bloggerin und Feministin, die für The Independent, The Guardian, The Times und den New Statesman schreibt, ist sogar der festen Überzeugung, dass fortschrittlicher, kompromissloser, antirassistischer Feminismus in den kommenden Auseinandersetzungen mit zunehmend rechten autoritären Regimes von zentraler Bedeutung im Wettstreit verschiedener Stile patriarchaler Gewalt sein wird: "Freiheit ist eine Bedrohung für alles Autoritäre."

Frauen und Mädchen von heute sind mit dieser Freiheit groß geworden. So sehr, dass viele von ihnen nicht sehen (können, wollen), dass diese Freiheit immer wieder neu verteidigt werden muss. Sie scheinen in ihrem Leben keine Einschränkungen zu erleben. Sie dürfen als Frau doch alles machen, oder nicht? Im Prinzip haben sie recht. Es gibt sie ja, die von uns, unseren Müttern und Vormüttern hart erkämpften Fortschritte. Und dennoch: Wundern die jungen Frauen sich nicht, dass nahezu überall Männer in den Spitzenpositionen sitzen? Wundern sie sich nicht, dass Männer im Durchschnitt auch in Deutschland noch immer mehr verdienen als Frauen? Wundern sie sich nicht, wenn das Gesetzesvorhaben, das ihnen Einblick in die Gehälter gleichgestellter Kollegen geben soll, so kontrovers diskutiert wird? Wundern sie sich nicht, dass Frauen wegen ihrer Erwerbsbiographie, die häufig von Teilzeitarbeit geprägt ist, in viel höherem Maße von Altersarmut betroffen sind?

Oder beantworten sie diese Fragen wie die ehemalige Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Kristina Schröder? Mitte Februar 2017 nannte sie in einem Beitrag den "Gender Pay Gap" (die durchschnittliche Lohnlücke zwischen Männern und Frauen in Höhe von 21 Prozent) eine Folge unterschiedlicher Qualifikation im Beruf und persönlicher Entscheidungen, wie etwa Zeit für Kindererziehung haben zu wollen.

Mangelnde Gleichberechtigung ist ein strukturelles Problem

In Freiburg wurde erkannt, dass die mangelnde Gleichberechtigung der Frau ein strukturelles Problem ist, auch auf kommunaler Ebene. Vor einem Jahr wurde die Stadt mit dem 1. Platz des "Gender Award – Kommune mit Zukunft 2016" ausgezeichnet. Denn sie begreift Gleichstellungspolitik als strategische Aufgabe und hat in den vergangenen Jahrzehnten unter anderem ein entsprechendes Personalkonzept entwickelt, die Stelle zur Gleichberechtigung der Frau, die Kontaktstelle Frau und Beruf und die Geschäftsstelle Gender Mainstreaming geschaffen.

Am 8. März also wird wieder einmal der Internationale Frauentag begangen. Und gegen Gewalt gegen Frauen protestiert: Sie ist nämlich leider nicht immer das Top-Thema, das im Fokus der Öffentlichkeit steht. Dabei wurden nach Meldungen des Bundeskriminalamts im Jahr 2015 insgesamt 65 800 Fälle von "einfacher Körperverletzung" registriert, es gab mehr als 11 400 Fälle gefährlicher Körperverletzung und 331 Fälle von Mord oder Totschlag, in denen Frauen von ihren Partnern oder ehemaligen Partnern ums Leben gebracht wurden.

Nach einer Studie der EU mit 27 818 Befragten aus allen 28 EU-Staaten, die 2016 veröffentlicht wurde, meint fast jeder Fünfte, Gewalt gegenüber Frauen werde oft vom Opfer provoziert. Mehr als ein Viertel der Befragten denkt, dass Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung gerechtfertigt sein könne. So auch in Deutschland.

Es gilt, wachsam zu bleiben – oder wach zu werden

Auf dem Weg zur tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern bleibt selbst in Deutschland noch viel zu tun. Und es gilt, wachsam zu bleiben – für manche vielleicht sogar, wach zu werden. Im Zuge der europäischen Entwicklung ist damit zu rechnen, dass von unterschiedlichen Seiten versucht werden wird, frauenpolitische Errungenschaften zu zerstören, und, wie Laurie Penny in der taz schrieb, entlang von Fragen der Ethnizität, der Klasse und der Identität zu spalten: "Es wird einen Wettstreit unterschiedlicher autoritärer Anschauungen darüber geben, wie gut eine Frau sein sollte, wie sie aussehen sollte, wie sie arbeiten sollte, wann sie sprechen sollte, wen und wie oft und mit wessen Erlaubnis sie vögeln sollte. Es geht jetzt wirklich darum, was Feminismus bedeutet und warum er wichtig ist." Die Feministin Anne Wizorek, die durch ihre Tweets #aufschrei 2013 bekannt wurde, hat mit Unterstützerinnen ein Netzwerk gegründet – zu finden unter: https://www.feministischesnetzwerk.org
Die Journalistin Mechthild Blum war mehr als 30 Jahre Redakteurin bei der BZ – sie entwickelte 1994 die "Montagsseite", die heute "Zusammen Leben" heißt.

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Schlagworte: Laurie Penny, Alice Schwarzer, Mechthild Blum
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