Ihre Welt sind die Berge

LITERATURVERFILMUNG: Alain Gsponer macht aus Johanna Spyris "Heidi" kein Kindermärchen.  

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Der Bauer und das Kind in den rauen  B...nz als Almöhi, Anuk Steffen als Heidi   | Foto: Warner
Der Bauer und das Kind in den rauen Bündner Alpen: Bruno Ganz als Almöhi, Anuk Steffen als Heidi Foto: Warner
Die Wahrnehmung der Schweiz wurde in den vergangenen Jahrzehnten durch eine Handvoll Mythen genährt: die Berge, löchriger Käse, knackige Schokolade und Roger Federer, den besten Tennisspieler aller Zeiten. Jetzt wird die Geschichte einer weiteren Nationalheldin reaktiviert. Und ja, ihre Welt sind natürlich immer noch die Berge. Heidi, wilde wie brave Neunjährige, erfährt bei Regisseur Alain Gsponer ("Das kleine Gespenst") eine interessante Renaissance, weil hier bewusst auf den betulichen Gestus verzichtet wird, der gerade deutschen Kinderhelden im Kino häufig anhaftet.

Die Titelheldin (Anuk Steffen) ist zwar knopfäugig und liebenswürdig, aber auch ungewaschen und freiheitsliebend. Eher zerzaustes Wolfskind aus den Bergen von Graubünden als reinheitsliebendes Mädchen mit Kulleraugen, wie man sie noch aus der weltbekannten Anime-Serie von Hayao Miyazaki in Erinnerung hat. Passend zur optischen Wahrnehmung ist auch der Tenor des Films: schroff, ungezügelt, mitunter hart. Von der verklärenden Romantisierung der Schweizer Alpen bleibt dem Kinopublikum zunächst nur knapp eine Viertelstunde. Man lernt den großartigen Bruno Ganz als verzottelten Einsiedler Almöhi kennen, der seiner Enkelin gegen den eigenen Willen neue Obhut anbieten muss. Kaum beginnt die fröstelnde Zweckgemeinschaft aufzutauen, wird das Mädchen aber von der Tante nach Frankfurt verkauft.

Dort soll sie der kränkelnden Klara (Isabelle Ottmann) Gesellschaft leisten, die im Rollstuhl sitzt. Und wie auch im Bestseller von Johanna Spyri prallen natürlich zwei Welten aufeinander: Hier das gehobene Bürgertum des deutschen Kaiserreichs, das durch Wohlstand, Etikette und strengen Gehorsam fast schon perverse Ausmaße annimmt, dort das freiheitsliebende Mädchen, das in der Enge seines neuen Zuhauses zu ersticken droht.

Vor allem das garstige Kindermädchen Fräulein Rottenmeier (hervorragend: Katharina Schüttler) wird hier zum Symbol germanischer Härte, in der man auch präfaschistoide Züge erkennen mag. Gerade das Motiv des Heim- und Fernwehs reizt der Film brutal aus: Ganz jungen Kinobesuchern unter sechs Jahren sei dieser Film daher nicht empfohlen; er könnte verstörend, sogar schockierend auf sie wirken. Das ältere und erwachsene Publikum kann diesen scharfen Ecken und Kanten aber etwas abgewinnen, was nicht zuletzt an den formidablen Nebendarstellern liegt, etwa Peter Lohmeyer als Hausdiener Sebastian, Maxim Mehmet als dandyesker Familienvater oder Hannelore Hoger als milde Großmutter.

Und Bruno Ganz stellt hier alles andere als den putzigen Wohlfühlopa dar. Gemeinsam mit Geißenpeter (Quirin Agrippi) verkörpern die beiden einen mitunter stumpfen und wortkargen Bauerntypus, der alles andere als romantisierend wirkt. Gemessen an den beiden Buchvorlagen "Heidis Lehr- und Wanderjahre" und "Heidi kann brauchen, was es gelernt hat" von 1879 und 1880 reflektieren sie aber wohl am besten den Charakter der damaligen Bergbevölkerung Graubündens.

"Heidi" von Alain Gsponer läuft flächendeckend. (Ohne Alterslimit)

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