"Ich red’ mit fast keinem über Sex"
Zugeknöpft und verklemmt? Das war mal. Heute ist man sexuell frei – oder man wäre es gerne: E-Mails aus zwei Generationen.
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Leona ist 18 Jahre jung. Mit wichtigen Fragen wendet sie sich oft an Laura. Die ist 42 und eine Freundin ihrer Mutter. Laura lebt weit weg, ist aber immer ziemlich nah dran, an den Fragen, die Leona hat. So auch als sich Leona kürzlich Gedanken über Sex gemacht hat.
ich muss dich unbedingt was fragen. Was heißt eigentlich "sexuelle Befreiung"? – Okay, die Frage klingt blöd (und im Übrigen geht’s mir gut, ich hoffe dir auch!), aber was ich meine ist: Ich seh’ sie nicht, diese Befreiung. Das ist mir heute aufgefallen, als ich in der Bahn so einer Horde von Mädchen beim Reden zugehört hab. Die waren so um die 17 und haben sich drüber unterhalten, an welchen außergewöhnlichen Orten sie schon Sex hatten. Und ich hatte das Gefühl, dass sie einiges einfach erfunden haben, um nicht dumm dazustehen, weil sie es im Bett vielleicht gemütlicher finden. Ich finde das absurd.
Die sexuelle Revolution sollte doch mindestens gebracht haben, dass man drüber reden kann, dass man überhaupt Sex hat – und jetzt muss man sogar drüber reden, und es muss möglichst versaut sein. Das ist doch glatt wieder ein Zwang. Ich versteh’s nicht, und deshalb dachte ich, ich frag mal jemanden, der ’68 schon gelebt hat und sich vielleicht noch etwas genauer erinnern kann, wie diese "Revolution" gemeint war. Denn das kann doch nicht der Sinn der Sache gewesen sein: dass wir heute gezwungen sind, zu behaupten, wir hätten schon Sex auf dem Dach eines fahrenden ICE gehabt?
Liebe Leona,
ich hatte noch keinen Sex auf dem Dach eines ICE. Noch nicht mal eines stehenden. Und 1968 war ich noch ein kleines Kind, kann also auch nur auf etwas zurückschauen, das vor mir begonnen hat. Was mit der "sexuellen Revolution" gemeint war? Eine Befreiung, tatsächlich. Eine, die von einer aufrührerischen jungen Generation gefordert und ein Stück weit gelebt wurde. Kleinfamilie und eheliche Treue standen zur Debatte: "Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment." Allerdings waren die, die da der Gesellschaft einen Ruck gaben, eine Minderheit. Und noch wirksamer in der Gesellschaft als das Ruckeln der "sexuellen Revolutionäre" war mit Sicherheit die "Pille".
Die (höchst zweischneidige) "Befreiung", die uns die Pille gebracht hat, hat natürlich Anfang der 80er-Jahre einen herben Rückschlag erlitten: Seit Aids birgt Sex nicht mehr nur das Problem der Verhütung, sondern auch das der möglichen Ansteckung. Mit den ernsten Problemen rings um Sex könnten wir, glaube ich, dann besser umgehen, wenn wir alle echt entspannt und befreit in unseren Körpern zu Hause wären. Und: das würde auch bei den viel geringeren "Problemzonen" helfen, besser klarzukommen.
Mal ganz abgesehen von irgendwelchen Mädels im Zug, die doof rumtexten: Wie und mit wem redest du eigentlich über Sex, Leona? Erzähl’ mal!
Herzige Grüße
Deine Laura
Hallo Laura,
gute Frage. Seltsamerweise rede ich mit fast keinem über Sex. Und selbst mit meinen besten Freundinnen bleibt es ziemlich oberflächlich. Ich meine, man macht immer Andeutungen wie "ähm, ja, ich konnte vorhin nicht ans Telefon gehen, da waren wir gerade beschäftigt . . ." Und dann grinsen alle und das war’s. Es ist nicht so, dass ich mit niemandem darüber reden könnte, wenn ich ein richtiges Problem hätte, aber über den alltäglichen Spaß und die Erfahrungen, die man da macht, und über kleine Fragen, die man sich einfach immer mal wieder stellt, spreche ich eigentlich nicht. Keine Ahnung, warum. Es geht ja meistens auch um Gefühle, und zwar um welche, die man mit nur einer Person teilt. Und die muss man oft auch nicht mit Worten erklären.
Es gäbe da natürlich auch noch meine Ma, über deren Sexleben du ja vermutlich einiges weißt, im Gegensatz zu mir! Eigentlich dachte ich früher, diese Distanz würde irgendwann verschwinden und ich würde mit meiner Mutter später so beste-Freundinnen-mäßig über Männer reden. Ist aber nicht passiert, auch wenn man glücklicherweise mit 18 die Zeit hinter sich hat, in der man "iiih!" schreit, wenn man an das denkt, was sich im Elternschlafzimmer wohl abspielen mag. Ich glaube, ich hätte auch keine Lust, mir in Sachen Sex auch noch gute Ratschläge von Mama geben zu lassen.
Alles in allem habe ich auch nicht das Gefühl, dass mir etwas fehlt, wenn ich über Sex nicht viel rede. Ist nun mal was Nonverbales. Aber ich merke auch, wenn ich das hier schreibe, dass ich es gar nicht gut könnte, weil ich einfach keine Übung darin habe. Eigentlich erstaunlich, denn schließlich liest man ja wirklich ununterbrochen in allen möglichen Frauenzeitschriften davon. Bloß habe ich da immer das Gefühl, es geht um merkwürdig perfekte Idealfrauen und gar nicht um mich. Wie ist das bei dir? Kannst du irgendwie selbstverständlich über Sex reden? Und nerven dich die "Idealfrauen"?
Bin gespannt auf deine Antwort!
Leona
Ha, liebe Leona,
jetzt hast du mich erwischt. Es gibt da zwei Wahrheiten. Die eine ist: Ich habe nicht das Gefühl, sexmäßig verklemmt zu sein. Und ich glaube, ich kann da auch gut drüber reden. Aber die andere Wahrheit ist: Auch ich stoße da an Grenzen. Sicher die, die wir alle als Tabu kennen und außerdem die, die noch hintergründiger wirken. Sex ist super intim, da hast du ganz Recht. Von deiner Ma weiß ich da zum Beispiel, wie mir jetzt auffällt, ziemlich wenig. Und sie weiß von mir auch nicht viel. So aufgeklärt wir alle meinen zu sein: So richtig lässig sind wir offenbar doch nicht immer. Warum? Du schreibst von "merkwürdig perfekten Idealfrauen" in Frauenzeitschriften. Stimmt. Wir werden mit Ansprüchen überhäuft: Sex ist klasse, wir müssen nur die richtigen Tricks kennen. Er will eine Sexqueen? So geht’s. Ob Roman oder Ratgeber, Film oder Fernsehen: peinliche Szenen kennen nur die Loser, alle anderen sind im Bett so erfolgreich wie im Büro (auf dem Küchentisch so erfolgreich wie in der Kanzlei, könnte ich auch schreiben ;-)).
Ein bisschen habe ich den Eindruck, dass wir euch Jungen nicht so wahnsinnig viel voraus haben, Leona. Und ich frage mich, ob ihr von unserer Generation etwas gebraucht hättet, das wir nicht kapiert haben. Aufklärung gab’s, Bücher, Gespräche – was hat gefehlt?
Fragt dich: Laura
Nur ganz kurz, liebe Laura,
vielleicht habt ihr (ihr? keine Ahnung: Eltern, Schule, Medien) ein bisschen viel gemacht? Es gibt nicht mehr viel für uns zu entdecken. Wir kennen ja für alles schon zehn Wörter, bevor wir es selbst erleben. Aber das hindert uns zum Glück nicht daran, unseren Spaß zu haben :–)
In Eile: Leona
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