Hyperion mit Handy und Handwagen
JUZ IM THEATER (4): Die Einsamkeit des Helden ist - als Drama in die Neuzeit transportiert - ein ergreifendes Erlebnis.
Margarete Jacob
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Hyperion ist jung und einsam. Keiner versteht ihn, mit keinem kann er wirklich sprechen - man kennt das. Und auch das: große Ideale, Träume, Wünsche. Utopien von einer besseren Welt, von der Erlösung aus der beklemmenden Einsamkeit. Erfüllung in der Liebe. Der junge Mann sucht, probiert - und findet schließlich nicht. Seine Suche wird begleitet von einer Kombination aus Neuer Musik, einer modernen Inszenierung und klassischen Texten. Das ist Bruno Madernas' Schauspiel "Hyperion".
Die meisten sind alleine, auch die, die zu zweit sind. Niemand spricht mit dem anderen, nur die atonale Musik spricht und bricht die Stille. In der scheinbaren Willkür ihrer Tonhöhen und Längen erzählt sie von der Distanz, von der Kälte, die die Menschen aufbauen. Mehr noch: hier ist die Musik Distanz und Anonymität. Das Licht ist fahl, weiß, beklemmend. Plötzlich Stimmengewirr. Hyperion lauscht aufmerksam. Wie aus dem Nichts steht vor ihm ein junger Mann. Er ist gekleidet wie Hyperion und sieht auch sonst gleich aus. Nur jünger. Die beiden sind eins, sind gemeinsam eine Person, Hyperion, der alte, Hyperion, der junge.
Die lyrische Vorlage für Bruno Madernas' Komposition bildet Friedrich Hölderlins Briefroman "Hyperion", der 1794 geschrieben wurde. Rückblickend erzählt darin ein gealterter Mann von seiner Jugend, da er in seiner Einsamkeit nach Erlösung sucht. Der Glaube an eine bessere Welt lässt ihn zu radikalen Mitteln greifen: er schließt sich der griechischen Freiheitsbewegung an. Dabei muss er aber erkennen, dass die Gewalt nicht zur erhofften Veränderung führt. Doch die Erkenntnis kommt zu spät: schon hat sich seine große Liebe Diotima umgebracht. Sie will mit den radikalen Gruppen nichts zu tun haben. Hyperion hat die falsche Entscheidung getroffen. Aus seiner Einsamkeit und Verzweiflung gibt es keinen Ausweg mehr.
In der Freiburger Inszenierung sind diese Freiheitskämpfer jedoch nicht mehr die des 18. Jahrhunderts, sondern die der 70er-Jahre: terroristische Gruppen wollen ihre scheinbar hohen Ideale gewaltsam durchsetzen. Und Hyperion, ein junger Mensch, der seinen Weg noch nicht gefunden hat, probiert aus, macht mit und - wie in Hölderlins Vorlage - verliert.
Immer tritt er in zwei Personen auf: in der des jungen, entschlossenen Mannes und in der des alten bedachten Mannes, der nur durch sein Flötenspiel kommuniziert. Mit ihm spricht er, erzählt, warnt. Die Flöte pfeift, schreit, sagt alles und dem Jungen doch scheinbar nichts. Er will nicht auf sein "alter ego", das andere Ich, hören. Im Flötenspiel vermittelt sich so die Isolation Hyperions: Er ist anders und kann anderen die Welt, in der er lebt, kaum erklären. Nur Diotima versteht, was die Musik zu bedeuten hat. Sie erkennt den jungen Mann in seiner Andersartigkeit, sie versteht ihn und könnte ihn befreien. Doch Hyperion kämpft gegen sein alter ego, bringt es zu guter Letzt gar um - und verhindert so die ersehnte Befreiung aus der Einsamkeit.
Nur wenig wird gesungen während dieses Theaterstücks. Dennoch ist es die Musik, die Flöte, ist es das Orchester, das alles sagt, was es zu sagen gibt. Durch sie lebt die Beklemmung, die Befremdung, die Distanz. In zwei Arien bringt Diotima ihre Verzweiflung zum Ausdruck, mitten im edlen Wohnzimmer ihres wohlhabenden Gatten: das elegante Sofa, die schnieken Regale, der edle Parkettboden - alles scheint überflüssig, sinnlos. Die leidende Frau erzählt mit wunderbarer Stimme von ihrer vergeblichen Liebe. Und so endet die zweite Arie dann auch im verzweifelten Selbstmord. Ein lauter Knall, die Schöne liegt reglos da, Blut rinnt über den Boden. Erschreckend ist dieser Tod, trotz seiner Vorhersehbarkeit.
Selten wird an diesem Theaterabend gesprochen: die Texte aus Hölderlins Roman werden rezitiert und stehen in scharfem Kontrast zum modernen Bühnenbild. Sie erklären weniger, als dass sie das Geschehen noch undurchsichtiger und komplizierter erscheinen lassen. Die Stimmung überträgt sich unweigerlich, sie hemmt, macht ängstlich und doch auch irgendwie neugierig. Da fühlt man sich auch als Zuschauer mit einem Mal so einsam wie der junge Mann auf der Bühne - und verfolgt sein Schicksal um so gespannter. Einsamkeit und Unverständnis: das ist Hyperions Erleben. Und doch lassen sich diese Empfindungen leicht nachspüren.
"Es ist die Musik, die Flöte, es ist das Orchester, das alles sagt, was es zu sagen gibt."
Bahnhof. Wie an einer Achse gespiegelt, endet das Stück an seinem Anfang: eine Bahnhofshalle, fremde Menschen, die sich aneinander vorbeidrängen und sich gekonnt ignorieren. Nur: Handys und Klamotten versetzen die kalte Halle diesmal in unsere Zeit, die Zeit der Jahrtausendwende. Geändert hat sich nichts: Hyperion sitzt in der Ecke vorm Bahnhofsklo, den Handwagen neben sich. Ein Chorus setzt ein: "Doch uns ist gegeben, auf keiner Stätte zu ruhen." Die Suche endet in Resignation: alles bleibt anders, bleibt befremdlich. Und Hyperion bleibt einsam. Sein Schicksal lässt ihn nicht los. Das verursacht beim Verlassen des Theaters ein seltsames Gefühl im Magen. Und ist auf eine unausweichliche Art faszinierend.
Hyperion im Großen Haus des Freiburger Theaters: Samstag, 16. 2., Freitag, 22. 2., jeweils um 19.30 Uhr. Kartenreservierung: unter [TEL] 0761 / 34874, weitere Infos auf: http://www.freiburgertheater.de
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