Adrenalin
House-Running im Selbstversuch: Wie Spiderman durch Freiburg
Für Adrenalinjunkies ein Traum, für Menschen mit Höhenangst ein Albtraum: eine Hochhauswand im 90-Grad-Winkel hinunterlaufen. House-Running heißt dieses Erlebnis, unser Autor hat es selbst probiert.
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Ich muss in den elften Stock, durch die Notausgangstür, die einen Meter breite Wendeltreppe hoch auf das Dach. Das Erste, was ich dort oben höre, ist: "Keiner muss da runter, nimm dir Zeit, beruhige dich, wir setzten dich nicht unter Druck." Stefanie Groos, eine der Veranstalter des Freiburger House-Runnings, beruhigt gerade einen Teilnehmer, der angesichts der Höhe einen Rückzieher macht.
"Wir würden das natürlich gerne vom Kagan-Hochhaus oder auf der Vorderseite des Gebäudes machen", meint Thomas von Renner, einer der Hauptverantwortlichen. "Aber das Kagan-Gebäude hat zu viele Fenster, außerdem würde das zu viel Aufmerksamkeit erregen und könnte Unfälle auf der Straße verursachen."
Das House-Running in Freiburg wird von den Outdoortrainern Stefanie Groos und Thomas von Renner in Kooperation mit dem Rieselfelder Waldseilgarten organisiert. Seit vier Jahren bieten sie House-Running an, dieses Jahr an sechs Terminen. Möglich sei das nur über Beziehungen zum Gebäude-Inhaber Unmüßig, meint Thomas von Renner.
Auf dem kiesbedeckten Dach stehen ein Sonnenschirm, ein kleiner Tisch und eine Gerüstkonstruktion. Thomas von Renner und Stefanie Groos befinden sich auch auf dem Dach, außer ihnen vier Teilnehmer – und ich. Mit dem Kletterhelm auf dem Kopf wage ich einen Blick über die hüfthohe Mauer. Die Autos und Menschen sehen von hier unheimlich klein aus. Neben mir steht Julian. Er war schon mal Fallschirmspringen: "Ein Sprung aus dem Flugzeug ist lange nicht so schlimm, da man den Boden dabei nicht wirklich sieht." Mut macht mir das nicht gerade.
Dann steigt Uwe Höfflin, ein weiterer Teilnehmer, durch die Beinschlaufen des Sicherheitsgurts, und Outdoortrainerin Stefanie Groos zurrt die Schlaufen an Oberkörper und Hüfte fest. Ihr Kollege Thomas von Renner führt Uwe Höfflin an den Dachabschnitt, von dem aus gestartet wird. Zehn Minuten später ist Höfflin sicher am Boden angekommen. Als er wieder hochkommt, meint er: "Mach dich steif wie ein Brett beim ersten Schritt, dass ist das Wichtigste. Danach ist es einfach nur ein geiles Gefühl."
Dann bin ich dran. Wie schon bei den beiden Kandidaten zuvor wird mir der Sicherheitsgurt angelegt. Thomas von Renner befestigt die erste Sicherheitsleine an meinem Gurt. Ich spüre, wie mein Puls steigt. Von Renner führt mich über das Gerüst zur Mauer, die mich vom 42 Meter tiefen Abgrund trennt. Fachmännisch schnallt er ein Seil nach dem anderen an meinen Sicherheitsgurt. Insgesamt sind es vier, die an meinem Rücken befestigt werden. Ein weiteres Seil führt rechts an meiner Hüfte vorbei durch einen Karabiner. An diesem Seil kann ich mich selbst abseilen – und so das Tempo regulieren, mit dem ich dem Boden entgegenlaufe. Thomas von Renner deutet ein Grinsen an und sagt: "Jetzt breitbeinig hinstellen und nach vorne lehnen!" Mein Herz schlägt wie eine alte Dampflok auf Hochtouren, meine Schläfen pochen gegen den Schutzhelm. Ich lehne mich langsam nach vorne. Ich sehe meine Füße nicht mehr, nur noch den Boden. Und der ist ziemlich weit weg. Ich umklammere mit beiden Händen das Seil und wage den ersten Schritt auf die fensterlose Außenfassade des Gebäudes – im 90-Grad-Winkel. Normal laufen ist nicht möglich. Dann würde ich zur Seite wegkippen. Also setze ich breitbeinig, im Entengang, einen Fuß vor den anderen.
Nach zehn Metern stoße ich mich von der Hausfassade ab. Wie ein Pendel schwinge ich über den Dächern. Ein nie dagewesenes Gefühl breitet sich in mir aus. Es fühlt sich an wie ein Gemisch aus Empire-State-Building-Aussichtsplattform, Adrenalin-Überschuss und Achterbahnfahrt. Das ist der Wahnsinn. So muss sich Comic-Held Spiderman fühlen.
Ich will den noch härteren Adrenalin-Kick. Also rufe ich runter, dass ich jetzt richtig abspringen will. Ich stoße mich mit voller Kraft von der Hauswand ab. Die Frau, die mich von unten sichert, läuft mit dem Seil vom Haus weg, und ich schwebe über dem Boden. Ich kann die Fassade nicht mehr sehen. Unglaublich. So muss sich fliegen anfühlen. Mein Orientierungsgefühl hat mich verlassen. Das Weiterlaufen fällt mir danach schwer. Meine Beine sind wackelig, hin und wieder knicke ich kurz zur Seite weg.
Als ich wieder festen Boden unter den Füßen habe, kehrt mein Orientierungsgefühl zurück. Ich bin froh, dass ich den ersten Schritt, 42 Meter weiter oben, gewagt habe. Ob ich es nochmal machen würde? Auf jeden Fall!
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