"Hier ist es besser als auf Ibiza"
Urlaub am türkischen Strand – und tanzen und chillen in Riesendiskos und Clubs: Viele junge Leute reisen nach Alanya.
JuZ-Mitarbeiterin Judit Hartmann & 20 Jahre
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Emran nimmt den Touristen an die Hand. "Drei, zwei, eins . . .", zählt er leise. Dann springen die beiden die zehn Meter hohe Klippe hinunter – ins kristallklare blaue Meer. Im Sommer hat der 19-jährige Emran Güven viel zu tun. Das Boot "Kismetim 2", auf dem er arbeitet, bietet jeden Tag Fahrten für Touristen vor der Küste von Alanya an – hin zu abgelegenen Stränden und Unterwasserhöhlen. JuZ-Mitarbeiterin Judit Hartmann erzählt von einer Türkei, die sie im Urlaub als höchst positiv, bestens partytauglich, aber auch als problematisch empfunden hat.
Wie der Student Sven schätzen auch viele andere Türkei-Reisende das gute Preisleistungsverhältnis und die schicken Hotels. Ab 600 Euro kann man hier in den Partyhochburgen einen luxuriösen all-inclusive Urlaub buchen. Vor allem im Internet werden Schnäppchenjäger fündig. Anders bei den Billigfliegern: die bieten zwar einen günstigen Flug, der Reisende muss aber anschließend selbstständig eine geeignete Unterkunft suchen.
Ulrike Kasten, 24 Jahre, verbringt mit ihrer Freundin ebenfalls ihre Ferien in Alanya. Was ihr gefällt? "Hier gibt es sehr schöne Diskos – vor zwei Jahren auf Mallorca war’s dagegen echt tot." Die Getränke in den Clubs, die überwiegend unter freiem Himmel liegen, sind unverhältnismäßig teuer, doch dafür ist der Eintritt meistens frei.
In großen Diskotheken wie "Bellman" oder "Auditorium", die bis zu 2000 Menschen fassen, bekommt man einen sympathischen Eindruck von der türkischen Mentalität. Keiner steht hier einfach nur am Rand der Tanzfläche und schaut zu. Überall wird gefeiert. An und auf der Bar, auf den Sofas oder den Tischen bewegen sich Menschen aller Nationalitäten zu türkischem Pop, R’n’B und House Musik. Höhepunkt an jedem Abend ist der türkische Volkstanz, der selbstredend mit Techno unterlegt ist. In Sekundenschnelle bilden sich riesige Kreise ausgelassen tanzender Menschen, die Arm in Arm die Schrittfolge hüpfen. Außenseiter werden einfach mitgerissen, stehen bleiben is’ nich’. Höhepunkt dieses Rituals ist, wenn der Barkeeper auf den Tresen steigt, eine Feuerfackel in den klaren Nachthimmel streckt. Die Stimmung ist wild, laut und freizügig. Auch junge Türkinnen feiern auf der Tanzfläche ab. "Die Türkinnen hier bewegen sich doch überraschend frei und tragen enge Klamotten und alles", beobachtet Sven. Aber: "Sie stehen immer unter der Kontrolle ihrer männlichen Begleiter." Frauen mit Kopftuch sind an den touristischen Teilen der türkischen Küste allerdings eher eine Seltenheit. Die Mädchen scheinen hier zumindest oberflächlich modern, weltgewandt und frei.
Obwohl sich in der Republik 99 Prozent der Bevölkerung zum Islam bekennen, findet der Glaube an den touristischen Küstenabschnitten nur wenig wahrnehmbare Resonanz. Aus der Ferne erklingt fünf mal am Tag der Ruf zum Gebet über die Lautsprecher einer Moschee. Er hallt in den Bazaren und Bars – man hört ihn sogar am Strand. Hier aber wird eher Beach-Volleyball gespielt als gebetet.
Touristinnen "oben ohne" werden an den türkischen Stränden übrigens hier und da akzeptiert, auch wechselnde Sexpartner werden ihnen scheinbar in großer Offenheit zugestanden. Und die jungen einheimischen Männer freuen sich folglich auch regelrecht auf den Ansturm Reisender in der Hochsaison. Maßloses Flirten und teilweise exzessives Bedrängen der Touristinnen sind üblich und finden praktisch ständig statt.
"Die lauernden Jungs, die auch beim 25ten "nein" nicht weg gehen, nerven", sind sich Ulrike und ihre Freundin einig. Ihr Rat: "Allein reisende junge Frauen sollten in der Türkei gut organisiert sein".
Alles kann und vieles müsste auch geschehen in der oberflächlich schimmernden Partymetropole, die bei näherem Hinsehen auch noch immer noch viel von einem ärmlichen orientalischen Ort hat. Direkt vor den gigantischen Diskotheken stehen fünfjährige Kinder, die den Besuchern nachts um drei noch Rosen verkaufen wollen. Sie sind dünn, tragen abgelaufene Schuhe und schmutzige Jeans. Ein alter Mann sitzt auf dem steinigen Boden. Vor ihm steht eine einfache Personenwaage. Er wartet auf Kundschaft, die sich wiegen lassen will – abseits von den Händlern mit den Lederwaren und den Fake-Markenartikeln.
Im Durchschnitt verdienen hier Angestellte 250 Euro im Monat – auch das ist normal in Alanya. Vielleicht ist die Touristenhochburg auch eine der Schnittstellen zwischen West und Ost, an der über arm und reich entschieden wird. Die Touristen sind an der Türkischen Riviera Kapital. Wer dieses Kapital nicht richtig umzusetzen weiß, wird es vermutlich auch in Zukunft nicht leicht haben.
Auch "äußere" Faktoren gefährden jedoch zur Zeit das Glück am Mittelmeer. Nach den Anschlägen im Juli diesen Jahres in Izmir und Antalya, verzeichnete das türkische Reiseunternehmen Öger Tours einen Buchungsrückgang. Das Auswärtige Amt in Deutschland gab Sicherheitshinweise für Reisen in die Türkei, riet aber nicht von Reisen in die Türkei ab. Der Terror ist denn auch der schlimmste Feind für Emran: "Wenn noch mehr Anschläge kommen, bleiben die Touristen ganz aus." Sollte das passieren, hat er – wie viele Leute im Gastronomie- und Hotelgewerbe – keine Arbeit mehr. "No work – no money", fügt Emran hinzu und senkt den Kopf. Die Angst vor der Arbeitslosigkeit scheint größer als die, selbst gefährdet zu sein durch Terroranschläge.
In den Städten wurden aus diesem Grund auch viele Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Die Flughäfen führen gründliche Personenkontrollen bei den Reisenden durch – und unter anderem wurden Spezialeinheiten mit Spürhunden gebildet. Doch wirklich sicher fühlt sich damit kaum jemand. Der Terrorismus wird verschwiegen. Das sieht aus wie der Versuch, das unlösbare Problem quasi "still" zu lösen, um die hier so wertvollen und lebensnotwendigen Gäste nicht unnötig zu beunruhigen.
Eine andere Realität in der Türkei, die immerhin zu 97 Prozent in Kleinasien liegt und nur zu drei Prozent in Europa –, ist der Kampf um Reformen, – und in der Konsequenz auch um die Mitgliedschaft in der Europäischen Union.
die Türkei profitieren."
Gül Dirgen, 19 Jahre
Kein Wunder also, dass die Wahl am 18. September nicht nur für die Deutschen spannend war: Wo ein Fernseher stand, sammelten sich interessierte Zuschauer. Die hier versammelten Türken wussten, wen sie gewählt hätten. Sie wissen, wer gegen den Beitritt ihres Landes in die EU stimmen wird. Immer wieder versucht ein älterer Mann, alle möglichen Koalitionen der Parteien aufzuzeigen, mit dem Ziel, dass Gerhard Schröder Kanzler bleibt. Als er begreift, dass sich nicht selbstverständlich die Linke mit der SPD zusammenschließt, ist er sichtlich enttäuscht.
Erdogan Kök, türkischer Generalkonsul in Karlsruhe, sieht das Problem nicht im aktuellen Machtvakuum in Deutschland. Er muss ohnehin auf den Zuspruch aller Mitgliedsstaaten hoffen. Kök ist sich sicher, dass die Türkei die geforderten Bedingungen – wie die Einhaltung der Menschenrechte – erfüllt. Eine privilegierte Partnerschaft käme für ihn und sein Land nicht in Frage: " Das ist ein unmoralisches Angebot."
Somit ist nicht nur die deutsche Regierungsbildung offen, sondern noch viele Fragen und Antworten, Hoffnungen und Ängste in Bezug auf die Türkei. Emran verabschiedet die Gäste der "Kismetim 2". Bis zum Ende der Saison wird er täglich Urlauber zu den Höhlen und Klippen vor Alanya führen und noch oft aus zehn Metern Höhe ins kalte Wasser springen.
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