"Heute haben wir mehr Zeitdruck"

ZISCH-INTERVIEW mit Krankenschwester Bettina Wahl über ihren Arbeitsplatz in der Schweiz und die Gründe für ihre Berufswahl.  

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Paul Reinhart und  Bettina Wahl in Sch...w –  noch vor der Corona-Krise.   | Foto: Privat
Paul Reinhart und Bettina Wahl in Schutzkleidung im Krankenhaus. Dieses Bild entstand – ebenso wie das Interview – noch vor der Corona-Krise. Foto: Privat

Zisch-Reporter Paul Reinhart aus der Klasse 4a der Schneebergschule in Freiburg hat Bettina Wahl (61) interviewt, die seit 38 Jahren als Krankenschwester arbeitet.

Zisch: Warum haben Sie diesen Beruf gewählt? Gab es da eine spezielle Geschichte dazu?
Wahl: Als ich den Beruf gewählt habe, war ich gerade 18 Jahre alt. Ich wollte ganz früh alleine wohnen. Und das war eine Möglichkeit, da ich bei der Ausbildung schon von Anfang an Geld verdient habe, und so konnte ich mir ein Zimmer leisten. Außerdem hat mir der Beruf die Möglichkeit gegeben, im Ausland arbeiten zu können. Das war mir sehr wichtig. Der Beruf hat mir zudem die Möglichkeit gegeben, in ganz verschiedenen Bereichen zu arbeiten, vom Operationssaal bis zur Notaufnahme und auf Krankenstationen unterschiedlichster Art. Mit dem Beruf war es mir auch möglich, zu verschiedenen Zeiten arbeiten zu können: morgens, mittags und abends. Das fand ich für mich einfach interessant.

Zisch: Wie lange machen Sie schon diesen Beruf?
Wahl: Ich habe mit 18 Jahren angefangen, die Ausbildung zu machen. Als ich fertig war, habe ich das gleich ausgenutzt und bin ins Ausland gegangen. Ich bin gereist und habe mir andere Länder angeschaut. Dann bin ich zurückgekommen und habe 20 Jahre gearbeitet und dann habe ich gemerkt, jetzt muss ich was anderes machen. Ich bin ins Elsass gezogen und habe mit anderen Leuten alte Häuser umgebaut und auch dort gewohnt. Das habe ich zwei Jahre gemacht und dann bin zurück in meine Arbeit. Und arbeite jetzt insgesamt 38 Jahre als Krankenschwester.

Zisch: Und wie hat der Beruf sich im Laufe der Zeit verändert?
Wahl: Am Anfang war ich viel mehr in direktem Kontakt mit dem Patienten. Jetzt sagt man ja nicht mehr Patient, sondern Kunde und auch nicht mehr Krankenschwester, sondern Pflegefachfrau. Also früher war ich viel mehr direkt am Patienten, am Kunden, habe ihn gepflegt, habe die Körperpflege gemacht, habe viel mehr mit ihm reden können, habe viel mehr Zeit gehabt. Auch, um mit den Angehörigen zu reden. Das hat sich alles ziemlich verändert. Jetzt stehen wir viel mehr unter Zeitdruck, ich bin viel mehr am Computer und dokumentiere, oder ich bin im Büro, rede mit Ärzten oder mit den anderen Berufsgruppen im Haus. Am Patienten bin ich meiner Meinung nach viel zu wenig und das vermisse ich auch sehr. Außerdem sind die Patienten mittlerweile kürzer bei uns auf Station, das nennt man Liegedauer. Die Patienten gehen und kommen schneller. Und das bedeutet dann auch mehr Arbeit.

Zisch: Wieso arbeiten Sie in der Schweiz und nicht hier in Deutschland?
Wahl: Ich arbeite in der Schweiz, weil mir die Schweiz damals, vor 30 Jahren, die Möglichkeit geboten hat, nicht 100 Prozent zu arbeiten, sondern man konnte damals dort schon 50, 60, 70 oder 80 Prozent arbeiten. Das konnte man damals in Deutschland noch nicht. Ich wollte nicht voll arbeiten, sondern auch Zeit haben für mich, meine Familie und meine Interessen. Außerdem arbeitet man in der Schweiz viel mehr im Team, auch mit anderen Berufsgruppen. Und sie haben mir immer die Möglichkeit gegeben, Weiterbildungen zu machen, sie legen sogar viel Wert darauf. Und zu allerletzt betreue ich in der Schweiz, bisher noch zumindest, weniger Patienten, das heißt, ich habe mehr Zeit, mit dem einzelnen Patienten am Bett zu arbeiten.


Zisch: Hatten Sie schon mal einen Patienten, den Sie als unangenehm empfanden, oder der gefährlich war?
Wahl: Also unangenehm finde ich Patienten, die sich nicht benehmen. Ich finde, man muss Anstand und Höflichkeit wahren, und es gibt immer wieder Situationen, bei denen die Patienten unhöflich und distanzlos sind. Gefährliche Situationen gab es natürlich auch schon mal. Wenn jemand psychisch krank ist oder wenn jemand verwirrt ist und dann nicht Herr seiner Sinne ist. Dann kann es schon mal sein, dass sie einen angreifen oder eineverletzenen wollen. Vielleicht aus Angst, oder weil sie nicht wissen, wo sie sind. Manchmal holen wir dann auch Sicherheitsleute, die vor dem Zimmer sitzen und aufpassen, dass nichts passiert. Dann gibt es auch Patienten, die aus dem Gefängnis zu uns kommen, weil das Gefängniskrankenhaus voll ist. Dann sitzt aber immer ein Polizeibeamter vor der Türe und passt auf, dass der Patient nicht rausgeht und uns nichts passiert. Aber diese Situationen kommen relativ selten vor. Und je älter ich werde, desto besser kann ich damit umgehen. Ich habe also selten Angst.

Zisch: Haben Sie einen Lieblingskollegen oder eine Lieblingskollegin?
Wahl: Nein, so kann ich das nicht sagen. Es war mir immer sehr wichtig, in einem guten Team zu arbeiten. Dafür habe ich auch viel gemacht. Ich habe ein sehr tolles Team. Ich finde es toll, dass ich mit jungen und mit älteren Leuten zusammenarbeite und mit Männern und Frauen. Es macht viel Spaß, mit meinem Team zusammenzuarbeiten, und darauf bin ich echt stolz. Wir helfen uns immer gegenseitig, sind für einander da und unterstützen einander. Das ist ein ganz wichtiger Faktor.

Zisch: Sagen Sie auf einer Skala von 1-10, wie viel Spaß ihnen der Beruf macht.
Wahl: Meine Arbeit mit dem Patienten macht mir sehr viel Spaß, da würde ich eine Neun geben. Was mir manchmal weniger Spaß macht, oder was ich sehr anstrengend finde, ist das Drumherum. Die ganze Arbeit, die nicht direkt den Patienten betrifft. Das kann manchmal sehr anstrengend und energieraubend sein.

Zisch: Was lieben Sie am meisten an Ihrem Beruf?
Wahl: Dass er wahnsinnig spannend ist. Mit den unterschiedlichsten Menschen zusammen zu sein, in Situationen, wo es den Menschen oft nicht gut geht, wo sie Schmerzen haben, sehr krank sind, oder gerade von einer Erkrankung erfahren haben. Mit den Angehörigen zu sprechen, die Angst haben, die traurig sind. Ich kann den Menschen helfen und ihnen zur Seite stehen und ihnen die Situation angenehmer machen. Das ist wahnsinnig spannend und immer wieder eine Herausforderung. Zu schauen, was ist jetzt eigentlich mit dem Patienten los, was ist sein Problem. Da ist man manchmal wie ein kleiner Kommissar und geht den Spuren nach.

Zisch: Was bringt es, dass die Weltgesundheitsorganisation das Jahr 2020 zum "Internationalen Jahr der Pflegenden und Hebammen" ausgerufen hat?
Wahl: Für mich in meinem Berufsalltag spüre ich davon nichts. Es wird vielleicht mehr darüber geredet, aber es passiert zu wenig. Ich habe schon so viele Jahre auf dem Buckel, aber davon erwartet ich keine große Verbesserung für unseren Beruf. Ich erhoffe mir eher von der Politik und den zuständigen Bereichen, dass sie diesen Beruf mehr wertschätzen und auch die Bezahlung besser wird.

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