GLOSSE: Fleischfondue und gute Vorsätze sind grausam
Bleigegossene Zukunftsvisionen und die letzte Zigarette können genauso nerven wie die obligatorischen Silvesterpartys.
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Der allerschlimmste Brauch - schlimmer noch als Bleigießen und Fleischfondue - ist aber eindeutig: gute Vorsätze fassen. Hundert Mal erlebt diese Szene: Man steht an einer Bar oder so, trinkt sein sechstes Glas Sekt, regt sich über den Feierzwang an Silvester auf und denkt daran, wie beschissen das letzte Jahr war und wie viel beschissener das nächste Jahr noch werden kann und plötzlich tritt so ein Typ an einen heran. So ein Mensch, den man augenscheinlich irgendwoher kennt, aber nicht mehr weiß woher und gerade jetzt an Silvester trifft man ihn hier an der Bar wieder und das erste, was er sagt ist: "Willste 'ne Zigarette?"
Man will natürlich keine, weil einem immer noch schlecht ist von dieser Scheiß-Zigarre von vorhin ist - ja, auch so ein Brauch -, aber darum geht es gar nicht, es geht nur darum, dass dieser Depp sagen kann: "Ich rauch' nämlich nicht mehr, hab' ich mir fürs neue Jahr vorgenommen, ich hab' nur noch ein paar übrig." Warum, zum Teufel, hören denn alle Menschen an Silvester auf zu rauchen? Warum denn nicht an Ostern, am Geburtstag? Oder einfach irgendwann - oder auch gar nicht, denn schließlich fangen sie ja ohnehin übermorgen wieder mit rauchen an.
Wahrscheinlich gibt es sogar Leute, die extra an Weihnachten mit dem Rauchen anfangen, nur um sich fürs neue Jahr vornehmen zu können, wieder aufzuhören. Aber der Depp redet noch weiter, denn der Depp ist auch noch Student oder noch schlimmer Schüler, aber das ist egal, er nimmt sich einfach so allgemein noch vor, erklärt er ungefragt, viel mehr zu lernen und endlich mal, was auf die Reihe zu kriegen.
Ganz klar, der Typ ist ein Loser und Loser bekommen leider nie was auf die Reihe, egal wie sehr sie es sich auch vornehmen. Sie nehmen sich außerdem noch vor: nicht mehr fernzusehen, endlich mal Sport zu machen, ein/e Freund/in zu finden, Silvester nächstes Jahr in der Karibik zu feiern, keinen Alkohol mehr zu trinken, nicht mehr zu kiffen, sich endlich politisch zu engagieren, Italienisch zu lernen, auszuwandern, nicht so oft schlecht Laune zu haben, mehr an sich zu denken, mehr an andere zu denken, nicht mehr so faul zu sein, die kommunistische Weltrevolution auszurufen, die Oma mal wieder zu besuchen, ein Buch zu lesen und keine Comics mehr, eine Band zu gründen, Popstar zu werden, Kinder zu bekommen. Und so weiter.
"Also geht man nächstes Jahr an Silvester lieber früh schlafen."
Die Liste guter Vorsätze kann endlos weiter geführt werden, macht nur mal eine Umfrage unter euren Bekannten. Man kann natürlich versuchen, all dem aus dem Weg zu gehen und sich einfach vorzunehmen, sich nichts vorzunehmen, aber dann ist man ja wieder darauf reingefallen, es bringt gar nichts. Die Vornehmer warten überall, es gibt kein Entkommen. Kaum schaltet man den Fernseher oder das Radio ein, überall nehmen sich die Menschen was vor, kaum verlässt man das Haus, von allen Seiten wird man befragt: "Was nimmst du dir eigentlich fürs neue Jahr vor?"
Und wenn man dann nicht antwortet, ist man gleich unten durch: Ist da wirklich einer so arrogant, dass er glaubt, nichts in seinem Leben vom Neujahrstag an verbessern zu müssen? Also geht man nächstes Jahr an Silvester lieber früh schlafen und ignoriert einfach alle diese ewigen Vornehmer und ihr blödes Getue. Genau das wird man tun. Genau das nimmt man sich - und schon ist man wieder in die Falle getappt - genau das nimmt man sich am besten vor. Sag ich doch: egal wie, es gibt kein Entkommen!
Sebastian Lehmann
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