Besuch in Kiew
Geld statt Waffen: Kanzler Scholz sagt Ukraine Millionen zu
Das deutsche Nein zu Waffenlieferungen an die Ukraine bleibt bestehen. Bei seinem Antrittsbesuch in Kiew liefert Kanzler Olaf Scholz aber einen anderen Solidaritätsbeweis. Er ist neunstellig.
Mo, 14. Feb 2022, 20:23 Uhr
Ausland
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In der ukrainischen Hauptstadt rast die Kanzlerkolonne also direkt vom Flughafen zum barocken Präsidentenpalast und zu Wolodymyr Selenskyj. Dort gerät der für solche Reisen stets minutengenau festgelegte Zeitplan dann vollends aus den Fugen: Über zweieinhalb Stunden reden Selenskyi und Scholz unter vier Augen – weit länger als geplant. Es geht schließlich um Krieg und Frieden.
Nun ist es nicht so, dass in dem großen Konflikt zwischen der Ukraine und Russland dem deutschen Kanzler die alles entscheidende Rolle zukommt. Aber Scholz kommt zu einem womöglich alles entscheidenden Zeitpunkt. Schon am Mittwoch, so warnen US-Geheimdienste, könnte ein russischer Angriff erfolgen.
Mitgebracht hat Scholz vor allem eine Botschaft: "Deutschland steht ganz eng an Ihrer Seite", versicherte er Selenskyi in der gemeinsamen Pressekonferenz. Konkret bedeutet das unter anderem die Freigabe von 150 Millionen Euro aus einer alten Kreditlinie sowie 150 Millionen als neuen Kredit. Nicht viel, aber ein Signal – zumal ukrainische Oligarchen gerade offenbar das Land verlassen, was Selenskyi empört als unpatriotisch brandmarkt. Waffenlieferungen beinhaltet die deutsche Solidarität allerdings vorerst weiter nicht, da mag der ukrainische Präsident den "Erwerb von Waffen und Technik" noch so sehr als "sehr wichtig" für sein Land einfordern.
Immerhin aber stellt Scholz in Aussicht: "Wir prüfen alles, was wir gefragt werden, immer wieder neu." Schon seit Wochen kursiert in Berlin eine Art Wunschliste; digitale Funkgeräte stehen darauf, Radarstationen, Roboter zur Entschärfung von Sprengkörpern. Nicht alles davon ist allerdings in der Bundeswehr im Überfluss vorhanden.
Trotz aller Schwierigkeiten; die Visite in Kiew ist der bei weitem einfachere Besuch für Scholz. Am Dienstag geht es zu Russlands Präsident Wladimir Putin, der Schlüsselfigur in dem Konflikt. Eine eindeutige Warnung schickt Olaf Scholz schon mal voraus: "Wenn Russland die territoriale Integrität der Ukraine verletzt, dann wissen wir, was zu tun ist", sagt er.
Einen kleinen Anknüpfungspunkt für Verhandlungen aber bringt der Kanzler womöglich mit aus Kiew: Immerhin, so Scholz, sei man in Sachen Umsetzung der Minsker Vereinbarungen, auf die Putin stets pocht, "schon in die Details gegangen". So habe ihm Präsident Selenskyj versichert, die Ukraine werde Gesetzentwürfe über einen Sonderstatus der Rebellengebiete im Donbass sowie zu den Wahlen dort zur Diskussion stellen.
Der im Minsker Friedensabkommen von 2015 festgeschriebene Sonderstatus gehört zu den zentralen Forderungen der russischen Seite bei den Gesprächen über eine Regelung des kriegerischen Konfliktes im Donbass. Ebenso wie die "direkten Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau", zu denen Scholz in Kiew aufrief. Selenskyj seinerseits äußerte seine Zuversicht, dass der Minsker Friedensprozess wieder in Bewegung kommt. Er habe mit Scholz die letzten Schritte im Rahmen der Friedensregelung besprochen.
"Wir erwarten, dass es in nächster Zukunft gelingt, die Gespräche fortzuführen und einen Gipfel der Staatsführer im Normandie-Format zu vereinbaren." Laut Selenskyj habe er mit Scholz auch über die Notwendigkeit geredet, beim Aushandeln einer neuen europäischen Friedensarchitektur konkrete juristische Garantien für die Ukraine festzuschreiben. Die Minsker Gespräche waren im Januar in Paris nach über zweijähriger Pause mit einer Verhandlungsrunde der Ukraine-Beauftragten des Normandie-Quartetts Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine neu gestartet worden. Zunächst allerdings ergebnislos.
Wegen der Vielzahl von Krisen weitet sich einem Bericht der Münchner Sicherheitskonferenz (MSK) zufolge in den G7-Staaten das Gefühl einer "kollektiven Hilflosigkeit" aus. Angesichts der "scheinbar endlosen Corona-Pandemie", Auswirkungen des Klimawandels und internationalen Krisen wie in Afghanistan oder der Ukraine wachse die Furcht vor einem zunehmenden Kontrollverlust, sagte der Ko-Autor des Berichts, Tobias Bunde, am Montag.
"Gleichzeitig fühlen sich immer mehr Menschen Kräften gewissermaßen ausgeliefert, die die Politik scheinbar nicht kontrollieren kann", führte er aus. Dies gelte "von der wirtschaftlichen Globalisierung mit ihren Abhängigkeiten bis hin zur Zunahme von Desinformation in den sozialen Netzwerken". Der G7-Gruppe führender Industrieländer gehören Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und die USA an.
Vor allem liberale Demokratien scheinen sich dem MSK-Bericht zufolge überfordert zu fühlen. Diese Wahrnehmung sei höchst gefährlich, da sie zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden könne: "Gesellschaften, die von einer Welle von Krisen überrollt werden, könnten am Ende nur noch hinnehmen, was ihnen widerfährt, obwohl (...) sie über die Mittel und Ressourcen verfügen, etwas (...) zu unternehmen", sagte Bunde. "Gewissermaßen als Therapie" schlug er "erlernten Optimismus" vor: Die Hilflosigkeit lasse sich wieder verlernen. (AFP)
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