Account/Login

Interview

Freiburger Psychiatrie-Professor: "Exhibitionisten geht es um Dominanz"

Michael Saurer
  • Sa, 29. Juni 2024, 18:23 Uhr
    Südwest

     

     2

Es war ein Fall, der Fragen aufwirft. Ein hochrangiger Polizist aus Südbaden soll sich in Läden der Region entblößt haben. Psychiatrie-Professor Michael Berner erklärt, was solche Exhibitionisten antreibt.

Wer einem Exhibitionisten begegnet, sollte ihn laut anschreien, sich wegdrehen und den Fall umgehend bei der Polizei anzeigen. Foto: andranik123 / stock.adobe.com
1/2
BZ: Herr Berner, ein hochrangiger Polizist riskiert seinen Ruf und seine Karriere indem er sich in Geschäften entblößt. Was treibt Exhibitionisten an?
Berner: Zum konkreten Fall kann ich nichts sagen, schon gar nicht über den Menschen. Prinzipiell muss man aber unterscheiden zwischen Menschen, die eine selbstdarstellerische Neigung haben, sich gerne nackt zeigen, und solchen, die eine psychische Störung haben. Wenn sich jemand in einem Geschäft entblößt und dabei masturbiert, spricht viel für eine Störung.

BZ: Was ist das für eine Störung?
Berner: Der Exhibitionismus wird zu den sogenannten Paraphilien gezählt, also von der Norm abweichendem sexuellen Verhalten. Dazu gehören etwa auch der Voyeurismus und die Pädophilie. Dem Exhibitionisten geht es um das Moment des Erschreckens des Gegenübers. Daraus bezieht er seinen Lustgewinn.

BZ: Geht es um dabei wirklich um Sexualität oder vielmehr um Macht und Dominanz?
Berner: Sexualität hat schon immer etwas mit Macht und Dominanz zu tun. Dem Exhibitionisten geht es auch um Dominanz über jemand anderen. Es ist ein Stückweit ein evolutionäres Überbleibsel, das die Macht in einer Gruppe demonstrieren soll. Selbst in einer Primatengruppe zeigt ein sichtlich zur Schau gestellter, erigierter Penis oft, wer das Alpha-Männchen ist. Noch wichtiger ist für den Exhibitionisten aber das Eindringen in die Privatsphäre des anderen, auch das Erschrecken und Verstören. Dadurch entsteht bei ihm die sexuelle Lust, die für ihn den erregenden Kick bedeutet. Und dann wird masturbiert – bis hin zum Orgasmus.

BZ: Das heißt, es bringt dem Exhibitionisten nichts, wenn sein Gegenüber von der Sache gar nichts mitkriegt.
Berner: Richtig, er braucht die erschreckte Reaktion des Anderen. Ohne die ist es für ihn nicht erregend.
Michael Berner ist außerplanmäßiger Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Uniklinik Freiburg und leitet das Mental Health Institut in Karlsruhe.

BZ: Das klingt sehr nach männlichem Verhalten. Gibt es denn auch weibliche Exhibitionisten?
Berner: Nein, man kann schon sagen, dass das fast ausschließlich Männer sind. Frauen leben eine ganz andere Art der Sexualität, die mehr von Beziehung und weniger von Dominanz geprägt ist. Das erigierte Geschlechtsteil zu zeigen findet man ja auch im Tierreich überwiegend bei männlichen Tieren als Zurschaustellung von Dominanz.

"Das Beste ist, ihn laut anzuschreien und zu beschimpfen, sich wegzudrehen und wegzugehen."

BZ: Wie sollte man sich denn verhalten, wenn man einem Exhibitionisten begegnet?
Berner: Das Beste ist, ihn laut anzuschreien und zu beschimpfen, sich wegzudrehen und wegzugehen. Als zweites sollte man ihn melden und auch bei der Polizei anzeigen. Nur wenn man das meldet und angibt, belästigt worden zu sein, wird daraus eine Straftat – ein Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung.

BZ: Stichwort Angriff: Wie gefährlich sind solche Männer?
Berner: Der Exhibitionist ist in der Regel kein Vergewaltiger. Es mag zwar seltene Ausnahmen geben, aber generell ist es sehr unwahrscheinlich, dass er das Gegenüber auch nur berührt. Ihn erregt ja etwas ganz anderes. Beim kranken Vergewaltiger wird neuerdings von einer sogenannten Erniedrigungsstörung mit Sadismus gesprochen. Er bezieht seine Lust daraus, eine Frau zu erniedrigen indem er sie zum Sex zwingt. Da geht es natürlich um Dominanz – aber sie zeigt sich auf eine ganz andere, vielleicht erschreckendere Weise.

BZ: Gibt es Schätzungen, wie hoch der Prozentsatz an Männern in Deutschland ist, die eine solche Veranlagung haben?
Berner: Genaue Zahlen gibt es nicht, im Schnitt werden um die 8000 Fälle in Deutschland pro Jahr polizeilich angezeigt. Das Dunkelfeld ist aber sicherlich hoch. Generell spricht man von unter einem Prozent der Männer, die an einer sexuellen Abweichung leiden. Innerhalb dieser Paraphilien gilt der Exhibitionismus aber als eine der häufigsten – und auch als die mit dem höchsten Rückfallrisiko. Nicht selten müssen überführte Täter deshalb auch irgendwann ins Gefängnis.

BZ: Kann man die Störung denn nicht behandeln?
Berner: Doch, man kann sie sehr gut behandeln – so wie andere Paraphilien auch. Eine Option sind Psychopharmaka. Man verwendet in der Regel erst einmal Substanzen, die den sexuellen Druck verringern und so die Chance geben, das Verhalten besser in den Griff zu bekommen. Aber auch psychotherapeutisch gibt es Möglichkeiten. Eine Technik ist die sogenannte Response Prevention. Dabei geht es darum, dafür zu sorgen, sein Verhalten in entsprechenden Situationen in andere Bahnen zu lenken. Wer etwa vor einer Frau den Druck verspürt, sich zu entblößen, könnte lernen, sie stattdessen nach der Uhrzeit zu fragen. Dadurch kriegt man die Chance, sich der Situation zu entziehen.

BZ: Wie einsichtig sind Exhibitionisten? Wissen sie, dass ihr Verhalten nicht normal ist oder führt der Druck zu einer Verharmlosung des Ganzen?
Berner: Es gibt unterschiedliche Tätergruppen und sicherlich gibt es auch Exhibitionisten, denen aufgrund verminderter Intelligenz die Einsichtsfähigkeit in ihre Handlungen fehlt. Das ist für uns Psychiater aber nicht das, was wir Kern-Paraphilie nennen. Die eigentliche Paraphilie ist für uns, wenn ein Mensch einen solchen Druck verspürt, dass er die Handlung macht, obwohl er weiß, dass er Konsequenzen fürchten muss. Viele verspüren danach auch aufrichtige Reue und wollen damit aufhören. Es ist ein bisschen wie bei einem Alkoholiker, der sagt, er möchte jetzt endgültig damit aufhören – aber erst morgen.

BZ: Gibt es denn bestimmte Situationen, die als Trigger dienen, in denen der Druck steigt?
Berner: Zunächst einmal bedeutet die Paraphilie ja nicht, dass derjenige seinem Druck auch nachgibt. Zu dem Tatverhalten kommt es dann meistens in ungünstigen emotionalen Zuständen. Etwa wenn man stark unter Druck steht, etwa Ärger mit dem Chef hatte oder anderweitig Stress entstanden ist. Diese emotionale Unzufriedenheit braucht ein Ventil – bei gesunden Menschen ist das etwa Sport oder Meditieren, für den Exhibitionisten ist es dann, auf die Pirsch zu gehen.

Mehr zum Thema:

Ressort: Südwest

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom So, 30. Juni 2024: PDF-Version herunterladen

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare (2)

Um Artikel auf BZ-Online kommentieren zu können müssen Sie bei "Meine BZ" angemeldet sein.
Beachten Sie bitte unsere Diskussionsregeln, die Netiquette.

Sie haben noch keinen "Meine BZ" Account? Jetzt registrieren

Heinrich Franzen

11767 seit 24. Feb 2010

Eigentlich sollte Nacktheit so normal sein wie das Tragen wärmender Kleidung. Wäre da nicht auch die Frage der Zumutbarkeit zu beantworten, zumal, wenn freiwillige Selbstkontrolle versagt und Ästhetik nur im Duden vorkommt.
Moral? Die veraltet derzeit im Munde. Was gestern noch galt ist heute schon aus anderer Epoche.
Statt auf den Polizisten zu zeigen, sollte die Gesellschaft die Frage nach dem Wesensgemäßen stellen und beantworten. Sarkastisch ist der Täter ja womöglich in lead, Trendsetter: Wie heißt es doch vorausschauend: Es bietet stets der feine Mann zum Gruße sein G..teil an. Daß es soweit kommen kann, liegt m. E. nicht nur am Einzelnen, sondern auch an der Gesellschaft

Norbert Riegler

8771 seit 17. Apr 2018

Ich denke solche Menschen gehören nicht vor den Strafrichter gezerrt, sondern in psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung, außer wenn sie die unfreiwilligen Zeugen ihres Tuns psychisch geschädigt haben.

Und neben den „klassischen“ Exhibitionisten, wie sie Prof. Werner beschreibt, gibt es noch eine Gruppe, der es nur darum geht, dass man sie beobachten k ö n n t e, während sie das nicht wirklich wollen. Also Lust am Risiko, so wie sich manche Personen bewusst in lebensgefährliche Situationen bringen, ohne suizidale Absichten zu haben. Besagter Polizist gehört möglicherweise zu dieser zweiten Gruppe, denn mindestens in einem der in der BZ beschriebenen Fälle hat ja nur der Ladendetektiv die anstößige Handlung überhaupt wahrgenommen, aber keine der anderen Personen in der Umgebung, während der Täter seinerseits vielleicht gar nicht bemerkte, dass der Detektiv ihn beobachtete. Ein klassischer Exhibitionist verhält sich aber so, dass er gesehen werden m u s s, doch er wird kaum einen Ladendetektiv als „Zielperson“ wählen.


Weitere Artikel