BZ-Interview
Freiburger Forscherin über die Studie zum Insektensterben
Die Insekten werden immer weniger. Das prangern Wissenschaftler und Verbände seit Jahren an. Nun liefert eine neue Langzeitstudie erschreckende Zahlen. Doch was taugt sie?
dpa
Fr, 20. Okt 2017, 0:01 Uhr
Panorama
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Um mehr als 75 Prozent hat demnach die Gesamtmasse an Fluginsekten in den vergangenen 30 Jahren in Teilen Deutschlands abgenommen. Alexandra-Maria Klein, Landschaftsökologin an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, misst der Studie große Bedeutung zu, trotz nachvollziehbarer Kritik am Erhebungsverfahren. Sarah Beha hat mit ihr gesprochen.
Klein: Die Daten kommen nicht von einer Universität, sondern sie wurden über 27 Jahre hinweg vom Entomologischen Verein Krefeld gesammelt. Jetzt wurden sie erstmals gemeinsam mit Wissenschaftlern ausgewertet und publiziert. Das Besondere ist natürlich die Dauer der Studie und das Ergebnis, mit dem ich so nicht gerechnet hätte.
BZ: Sind die Daten, die zunächst nicht explizit für diese Studie erhoben wurden, überhaupt aussagekräftig?
Klein: Die Studie ist vom experimentellen Design her nicht optimal. Die meisten der 63 Standorte sind nur ein oder zwei Mal beprobt worden. Auch kann die Studie nicht sagen, welche Arten zurückgegangen sind. Es wurde die reine Biomasse analysiert. Trotzdem kann man statistisch einen klaren Befund treffen, nämlich dass die Masse der gesamten Fluginsekten zurückgegangen ist.
BZ: Der Bauerverband kritisiert, dass die Studie ausschließlich in Schutzgebieten stattfand.
Klein: Es gäbe noch viel mehr Kritikpunkte zu finden, die findet man bei jeder wissenschaftlichen Studie. Es ist aber die erste Studie, die den Rückgang über Insekten über Jahre hinweg zeigt. Sollen wir jetzt ein optimales Studiendesign machen, 30 Jahre weiter forschen, bis wir dann endlich sagen können "Jetzt wissen wir es ganz genau"? Für manche Arten wird es dann wohl zu spät sein. Wären die Daten nicht in Schutzgebieten, sondern beispielsweise in einem Maisfeld gesammelt worden, hätten wir dort vielleicht einen geringeren Schwund. Aber nur, weil dort schon immer weniger Arten waren. Dazu kämen noch die ganzen Schädlinge, die dann auch zur reinen Biomasse zählen. Das Argument des Bauernverbandes kann das Ergebnis der Studie nicht entkräften.
BZ: Die Daten stammen aus drei Bundesländern, Baden-Württemberg ist nicht dabei. Wäre das Ergebnis hier aufgrund anderer landwirtschaftlicher Flächennutzung ein anderes?
Klein: Vielleicht wäre der Prozentanteil geringer, aber einen Schwund würde man sicherlich auch hier verzeichnen.
BZ: Gibt es auch in Baden-Württemberg Erhebungen zur Insektenpopulation?
Klein: Langzeitstudien, die uns zugänglich sind, gibt es keine. Aber wir bemühen uns momentan, an Datensätze ranzukommen. Es gibt Monitorings der gefährdeten Arten von den Naturschutzverbänden, aber über die Gesamtbiomasse von Fluginsekten, wie bei dieser Studie, gibt es keine. Wir haben dieses Jahr im Sommer in Freiburg und in Rumänien Fallen aufgestellt. In Freiburg hatten wir auch viele Insekten, aber es waren viel mehr Schädlinge wie die Kirschessigfliege dabei. In Rumänien, wo die Landwirtschaft noch so ähnlich ist, wie sie bei uns vor 100 Jahren war, hatten wir viel mehr nützliche Insekten.
BZ: Wo sehen Sie denn jetzt Handlungsbedarf?
Klein: Die Wissenschaft sollte weiter in diese Richtung forschen und braucht natürlich Gelder für Langzeitstudien. Auf kurze Sicht könnte man anhand der aktuellen Studie die Faktoren herausarbeiten, die für das Artensterben verantwortlich sind, denn darüber trifft die Studie keine Aussage.
BZ: Muss auch die Politik handeln?
Klein: Die Politik reagiert, wenn die Verbraucher reagieren. Eigentlich sollten wir an jeden von uns appellieren. Wenn wir die Insekten behalten wollen, sollten wir mehr Geld ausgeben für Lebensmittel, die in solchen Landschaften produziert werden, in denen Insekten noch Lebensraum finden. Wenn wir beispielsweise ein Label für insektenfreundliche Produkte fordern, dann muss die Politik reagieren.
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