Gökhan Balkis
Franz-Morat-Geschäftsführer: Vom Gastarbeiterkind zum Chef
Gökhan Balkis kam mit sieben Jahren aus der Türkei in den Schwarzwald. Heute leitet er die traditionsreiche Eisenbacher Franz Morat Group. Ein BZ-Interview.
Sa, 11. Feb 2017, 0:00 Uhr
Wirtschaft
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BZ: Haben Sie es wegen Ihrer ausländischen Abstammung bei Ihrer Karriere schwerer gehabt als Ihre Altersgenossen?
Balkis: Im Nachhinein bewertet man manche Dinge anders. Hätten Sie mich im Gymnasium gefragt, dann hätte ich mit einem klaren Nein geantwortet. Heute komme ich zu einem etwas anderen Schluss. Als ich wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität Kaiserslautern war, erzählte ich einem Doktoranden, dass ich gern nach dem Diplom und einigen Jahren Berufserfahrung Abteilungsleiter in einem international tätigen deutschen Unternehmen werden würde. Er sagte mir damals recht trocken, dass Ausländer in Deutschland solche Stellen nicht bekommen würden. Das hat mich damals doch etwas geschockt, weil ich mich nie als Fremder verstanden habe. Die Aussage hat jedenfalls meinen Ehrgeiz gefördert. Schwieriger war es, aber es war nicht schwer.
BZ: Jetzt liegt ihr Studium mehr als 20 Jahre zurück. Hat sich die Besetzung der deutschen Führungsetagen geändert?
Balkis: Bestimmt. Heute ist eine ausländische Herkunft kein Nachteil mehr. In dieser Hinsicht hat sich das Land sehr gewandelt. Wer aus einem anderen Land stammt, ausländische Eltern hat, verfügt sogar mitunter über einen Vorteil. Das Geschäft ist internationaler geworden, da hilft eine zusätzliche Sprache, die Vertrautheit mit einer anderen Kultur.
BZ: Wie würden Sie das Verhältnis zwischen Deutschen und Türken heute beschreiben?
Balkis: Diese Frage gefällt mir nicht, weil sie nicht den Kern der gegenwärtigen Schwierigkeiten trifft. Das Verhältnis zwischen Deutschen und Türken war in der Vergangenheit gut und ist auch heute gut. Das Verhältnis zwischen der Regierung Erdogan und der Bundesregierung ist nicht gut, wobei Erdogan dafür mehr Verantwortung trägt als Berlin. Es ist schade, dass ein einziger Mann und die Regierungsvertreter in Ankara das Bild einer ganzen Nation prägen.
BZ: Spielt Ihre türkische Herkunft eine zentrale Rolle für Ihr Leben?
Balkis: Sie hat mich natürlich geprägt. Aber ich verstehe mich weder als typischer Türke noch als typischer Deutscher. Ich bin ein weltoffener Mensch, der das Leben in sehr unterschiedlichen Regionen dieser Welt mag und in Freiburg seine Heimat gefunden hat. Was ich an Deutschland schätze und was ich vor allem den jungen Mitarbeitern immer wieder zu verdeutlichen versuche: Um Leistung erbringen zu können, muss das Umfeld stimmen. In Deutschland ist das der Fall. Ich weiß nicht, wo ich heute stehen würde, wenn ich nicht dieses Umfeld gehabt hätte. Ich habe viele Bekannte im Ausland, die über ein enormes Potenzial verfügen, aber nicht vorankommen, weil sie äußere Umstände daran hindern.
BZ: Die Franz Morat Group hat ihren Umsatz stark gesteigert. Wie haben Sie und die Belegschaft das geschafft?
Balkis: Über harte und intelligente Arbeit. Im Kunststoff-Spritzguss gehören mittlerweile sehr viele bedeutende Autozulieferer zu unseren Kunden. In dieser Sparte hat sich der Umsatz in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht. Bei den Komponenten und der Antriebstechnik von Framo Morat haben wir schon vor langer Zeit das Marketing, den Vertrieb und die Entwicklung ausgebaut, unseren Maschinenpark systematisch erneuert und erweitert; wir haben neue Strukturen geschaffen wie etwa das Projektmanagement, den strategischen Einkauf und das Technologiemanagement. Das scheinen wir ganz gut hingekriegt zu haben, denn wir bekommen immer mehr Projekte und Aufträge.
BZ: Sie haben in Ihrem neuen mexikanischen Produktionsstandort gerade die ersten Maschinen in Betrieb genommen. Bereuen Sie schon Ihre Entscheidung? Der neue US-Präsident Donald Trump droht mit Einfuhrzöllen auf Importe aus Mexiko und will das Freihandelsabkommen Nafta mit Mexiko und Kanada neu verhandeln?
Balkis: Nein, bei Franz Morat denken wir langfristig. Klar, wie alle anderen sind auch wir von Trumps Äußerungen ziemlich überrascht worden. Als wir vor fünf Jahren mit den Überlegungen für Mexiko begonnen haben, konnte sich niemand vorstellen, dass Nafta infrage gestellt und über Einfuhrzölle geredet wird. Damals galt Mexiko als das interessanteste Land für Investitionen in der Automobilindustrie, vor allem wegen der Nähe zu den Vereinigten Staaten. In unserem Werk stellen wir Kunststoffteile für die Autozulieferer her. Trump kann aber nicht tun und lassen, was er will. Das haben die juristischen Schritte gegen das Einreiseverbot gezeigt. Wir müssen abwarten, wie sich das alles tatsächlich entwickelt.
BZ: An ihren Plänen für Mexiko ändert sich nichts? Würden Sie heute noch einmal die gleiche Entscheidung für den Standort Mexiko treffen?
Balkis: Es läuft alles weiter wie geplant. Bis Ende 2017 sollen 30 Menschen in unserem mexikanischen Werk arbeiten. Wir werden unsere Ziele erreichen.
BZ: Die Gruppe verfügt auch über ein Werk in Polen. Hat das in Eisenbach zu einem Arbeitsplatzabbau geführt?
Balkis: Nein, im Gegenteil: Wegen des osteuropäischen Standorts haben wir zusätzliche Aufträge gewinnen können. Das Montagewerk in Polen ist für arbeitsintensive Produktion. In Eisenbach konzentrieren wir uns auf die Produktionsteile, die technologieintensiv sind. Es wurden zwar Kapazitäten aus dem Hochschwarzwald nach Polen verlagert, aber die betroffenen Mitarbeiter in Eisenbach haben aufgrund unseres Wachstums neue Verantwortungsbereiche.
BZ: Sie wollten ein neues Werk in Titisee-Neustadt bauen. Dazu ist es aber nicht gekommen.
Balkis: Die Baukosten wären deutlich höher ausgefallen als erwartet. Zudem ist es im Hochschwarzwald schwierig, Mitarbeiter zu finden. Hier herrscht Vollbeschäftigung, am polnischen Standort beträgt die Arbeitslosenquote mehr als zehn Prozent. Als wir uns dort ansiedelten, betrug sie sogar mehr als 20 Prozent.
BZ: Alle reden von der Digitalisierung der Produktion, von Industrie 4.0. Wird die Produktion in der Eisenbacher Firmenzentrale schon bald auf gänzlich neue Füße gestellt?
Balkis: Industrie 4.0 ist ein bisschen zum Modewort geworden. Es verspricht vollkommen Neues über Nacht. In der Franz Morat Group gehört Veränderung jedoch zum täglichen Geschäft. Wir arbeiten permanent an intelligenten Prozessen und Produktionsabläufen, wir sind heute dank neuer Kommunikationstechniken stärker vernetzt. Das Unternehmen hat in seiner mehr als 100-jährigen Geschichte viele Umbrüche erlebt und sich immer wieder erfolgreich ausgerichtet.
BZ: Bedroht das Elektroauto die Firmengruppe?
Balkis: Nein, da unsere Produkte nicht im Antriebsstrang verwendet werden, sondern beispielsweise im Schiebedach oder bei den elektrischen Fensterhebern. Diese sind auch Teil des E-Autos. Und gleichzeitig eröffnet der anhaltende Boom des E-Bike-Markts neue Perspektiven.
BZ: Zahnräder, Antriebe, Spritzgusstechnik – ist das nicht ein bisschen viel alte Wirtschaft?
Balkis: Menschen wollen sich komfortabel bewegen, Maschinen müssen effizient arbeiten und günstig produzieren, die Sicherheit und der Genuss spielen eine größere Rolle, das Umwelt- und Gesundheitsbewusstsein hat zugenommen. Wir tragen mit unseren Produkten dazu bei, dass dies alles möglich wird. Das wird auch in Zukunft so sein – da bin ich mir sicher.
Der 47-Jährige hat in Villingen-Schwenningen Abitur gemacht und später Maschinenbau und Betriebswirtschaft in Kaiserslautern studiert. Nach seinem Abschluss als Wirtschaftsingenieur 1995 arbeitete Balkis für die Babcock Borsig AG unter anderem in den USA. Bei Framo Morat ist er seit 2002. Alleiniger Geschäftsführer wurde er 2011.
Franz Morat Group
Der Firmenverbund besteht aus dem Kunststoff-Spritzgieß-Spezialisten F. Morat und dem Antriebsspezialisten Framo Morat. Zur F. -Morat-Produktpalette zählen Kunststoff-Verzahnungsteile, Baugruppen und technische Teile wie Gehäuse. Framo Morat stellt neben Zahnradtechnik vor allem Antriebe her. So funktionieren die von Senioren gern genutzten Treppenlifte mit Antriebstechnik aus dem Hochschwarzwald. In Eisenbach beschäftigt die Gruppe rund 580 Mitarbeiter. Die Geschichte der Gruppe begann 1912, als Franz Morat senior in Eisenbach Manometerzeigewerke, Drehteile und Zahnräder produzierte. Die Gruppe befindet sich heute im Besitz der Brüder Franz Robert Morat und Daniel Morat, Urenkel des Gründers.
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