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Frage: Schwein oder nicht Schwein?

In einem verstörenden Theaterstück wird das Wesen des Menschen ausgelotet – zwischen Schaf und Schwein und Geiselnahme.  

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Jugend schreibt, Jugend liest auch – und Jugend geht – hin und wieder – sogar ins Theater. Eine der JuZ-Autorinnen hat sich das Stück "Schweine" angesehen, das aktuell im Spielplan des Theaters Freiburg wieder aufgenommen wurde. Premiere war schon in der vergangenen Spielzeit.

Freitag Abend – was tun? In die Disco? Heute nicht, ist eh immer dasselbe. Kino? Nee, Star Wars und Co. reizen mich nicht. Zeitverschwendung. Dann vielleicht – ja: ins Theater könnt ich mal wieder gehen, 7 Euro für Schüler ist ein fairer Preis. Schnell einen Blick auf den Spielplan geworfen: "Die Räuber" – oh Gott, nur nicht an Schule denken, es ist Wochenende! Somit fällt auch "Kabale und Liebe" weg. Aber "Schweine", das springt mich förmlich an – was könnte das wohl für ein Stück sein? Klingt auf jeden Fall nicht nach klassischem Theater, also könnte es mir gefallen. Nur: zu experimentell sollte es auch nicht sein. Ich mache mich auf den Weg, bin spät dran.

Der Vorraum der Kammerbühne ist bereits leer. Ich ergattere die letzte Karte und suche schnell meinen Platz, erste Reihe. Dass die vorderen Plätze die weniger guten sein sollen, finde ich übrigens nicht. Im Gegenteil: ganz nah dran sein, das hat was. Ich setze mich also und schaue mir alles genau an. Das Bühnenbild täuscht eine Tiefe vor, die der Raum sonst nicht hat. Ich bin erstaunt was Bühnenbildner Fabian Lüdicke da gezaubert hat: Ein großzügiges Hotelzimmer mit Blick auf eine nächtlich beleuchtete Stadt.

Musik ertönt, es wird leise auf den Zuschauerrängen. Eine verwirrte Person kommt durch die Tür, es ist "Wesselmann" – überzeugend gespielt von Miguel Abrantes Ostrowski. Er hasst Hotelzimmer, fühlt sich in ihnen beobachtet, als ob Tote darin wohnen würden. Doch diese Nacht muss er in einem solchen verbringen, es ist die Nacht vor seiner großen Präsentation: Der Wissenschaftler hat eine Methode entdeckt, die es ermöglicht, Menschen Schweineorgane einzupflanzen. Kein langes Warten auf ein Spenderherz mehr, kein ungewisses Hoffen auf eine neue Niere – er ist der neue Retter der Menschheit.

Wesselmann ist aufgeregt, kann erst nicht schlafen und fällt dann in den Schlaf – und in einen furchtbaren Alptraum: der Bruce-Willis-Verschnitt Ijsbrandt (Bruno Winzen als ziemlich cooler Gangster) dringt in sein Zimmer ein und nimmt ihn als Geisel. Es ist ein ungutes Gefühl, als Ijsbrandt zeitweise auch die Zuschauer mit seiner Waffe ins Visier nimmt. Ich – immerhin in der ersten Reihe! – bin für einen Moment keine unbeteiligte Zuschauerin mehr, ich bin Betroffene. Das bringt wohl auch die Kammerbühne mit sich: Man sitzt hier quasi überall schon am Bühnenrand.

Auf der Bühne geht es weiter: Der etwas seltsame Killer ("I’m a stranger, but is it my fault that I’m strange?") hört sich Wesselmanns neue Methode nicht unkritisch an: "Werden aus Menschen nicht automatisch Schweine, wenn man Teile von ihnen mit welchen von Schweinen ersetzt?" Und ist nicht das Schaf dem Menschen viel ähnlicher als das Schwein? Schweine haben immerhin einen freien Willen, Schafe nicht. Und auch der Mensch nicht, ist Ijlsbrandt überzeugt. Die Bedrohung wird für Wesselmann immer realer und auch die Vertrautheit, die zwischen Geisel und Geiselnehmer entsteht, fühlt sich zeitweise so echt an, dass es unmöglich ein Traum sein kann. "Nichts ist echt", heißt es am Ende dieses verwirrenden Stücks über Moral und Identität, um zweifelhaften Fortschritt und – wie es der Titel auf den Punkt bringt – über Schweine. Wobei zu klären bleibt, wer denn nun das Schwein ist: Wesselmann, der seine Familie als Versuchskaninchen missbrauchte oder der vermeintliche Mörder Ijlsbrandt; das rosa Tier auf dem Bauernhof oder gar der Mensch?

Christian Doll hat hier ein Stück inszeniert, das bewusst keine Antworten gibt auf die vielen Fragen, die es aufwirft. Die Umsetzung ist so unterhaltsam wie verstörend. Ich denke noch eine ganze Weile darüber nach als ich die Kammerbühne verlasse. Ein paar Antworten hätte ich dann irgendwie doch gerne bekommen. Vom reinen Unterhaltungswert her, muss ich allerdings sagen, das Stück ist gut. Und der ein oder andere Lacher war auch dabei. Nur die Passagen mit den meist englischen Schimpfworttiraden haben mich etwas irritiert. Wozu waren sie nötig? Die Handlung entscheidend vorangebracht haben sie jedenfalls nicht.

Und wenn man einer von denen ist, die an das Theater auch moralische und aufklärerische Ansprüche stellen, dann wird man das Fehlen von Tiefgang und Aussage zurecht bemängeln. Insgesamt wurden meine Erwartungen erfüllt: ein etwas anderes Stück, modern aber nicht zu sehr, mit interessanten Ansätzen. Und in die Disco kann man danach immer noch: "Schweine" dauert kaum länger als eine Stunde. Aber in der Disco ist es ja eh immer dasselbe.

"Schweine" von Oskar von Woensel im Theater Freiburg: am Freitag, 4. November, Sonntag, 6. November und Samstag, 19. November, jeweils um 20.30 Uhr
Ermäßigter Eintritt für Schüler: 7 Euro
Mehr Infos: http://www.theaterfreiburg.de

Ressort: Zisch

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