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BZ-Interview

"Europa hat die Mullahs ermutigt"

Norbert Wallet
  • Do, 27. Juni 2024
    Ausland

     

Maryam Rajavi ist Präsidentin des Iranischen Widerstandsrates. Die Exilpolitikerin hält das Mullah-Regime für wacklig und ruft den Westen zu einer harten Politik gegen den Iran auf.

Maryam Rajavi im März auf einer Konferenz  | Foto: Siavosh Hosseini (imago)
Maryam Rajavi im März auf einer Konferenz Foto: Siavosh Hosseini (imago)
BZ: Frau Rajavi, was sagt die handverlesene Auswahl der Präsidentschaftskandidaten über die nähere Zukunft des iranischen Regimes aus?
Rajavi: Lassen Sie mich zunächst sagen, dass es von Natur aus widersprüchlich ist, über Wahlen in einer Theokratie zu sprechen, in der der Führer die absolute Macht hat. Präsidentschaftskandidaten wurden im Mullah-Regime immer handverlesen. Im Rahmen der neuen Scheinwahlen wird deutlich, dass der Tod von Ebrahim Raisi, dem ehemaligen Präsidenten der Mullahs, ein schwerer strategischer Schlag für das Regime und insbesondere für seinen Führer Ali Chamenei war. Chamenei hatte jahrelang in Raisi investiert, um seine eigene Nachfolge zu regeln und das Überleben des Regimes zu gewährleisten.

BZ: Täuscht der Eindruck, dass der Widerstand im Land allein zu schwach bleibt, um das Regime zu überwinden?
Rajavi: Selten war das Regime so wackelig und instabil wie heute. Der Grund dafür, dass das Regime immer mehr zur Brutalität greift, besteht genau darin, diese Instabilität zu vertuschen. Das soziale und wirtschaftliche Potenzial des Regimes geht gegen Null, und es hat keinerlei Unterstützung in der Bevölkerung. Seit 2017 fordert das iranische Volk in zahlreichen landesweiten Aufständen, die immer größer und radikaler werden, offen den Sturz des Regimes und lehnt sowohl die "Hardliner" als auch die sogenannten "Reformisten" ab. Eine explosive Gesellschaft, eine unzufriedene Nation und ein landesweit organisierter Widerstand haben sich stattdessen entwickelt.

BZ: Sie fordern von der EU die Listung der Revolutionsgarden als Terrororganisation. Warum?
Rajavi: Die Revolutionsgarde ist das wichtigste Instrument zur Unterdrückung im Inland, zur Kriegstreiberei sowie zum Export von Terrorismus in weiten Teilen der Welt. Der größte Teil der iranischen Wirtschaft und ihre Schlüsselbereiche stehen unter ihrer Kontrolle. Viele ihrer Tarnfirmen, deren Einnahmen zur Finanzierung terroristischer Gruppen und Stellvertreter-Milizen verwendet werden, sind außerhalb des Iran ansässig, und manche davon wurden vom iranischen Widerstand entlarvt. Das Überleben des Regimes ist an die Garde gebunden. Eine Aufnahme in die Liste der Terrororganisationen hätte schwerwiegende politische und wirtschaftliche Folgen für das Regime.

BZ: Es heißt, der Iran stehe kurz vor der Atombombe. Was bedeutet das für die westliche Politik gegenüber dem Regime?
Rajavi: Wenn die Beschwichtigungspolitik weitergeht, wird dieses Regime definitiv an die Atombombe gelangen. Ich habe bereits des Öfteren darauf hingewiesen, dass man keinen Moment zögern sollte, die Resolution 2231 des UN-Sicherheitsrates wieder in Kraft zu setzen, die bei Verletzung der Verträge Strafmaßnahmen und Sanktionen beinhaltet. Deutschland kann hier Vorreiter sein. Alle entsprechenden Resolutionen des Sicherheitsrats sollten reaktiviert und umfassende Sanktionen gegen das Regime verhängt werden. Jeder Tag Verspätung wird fatale Konsequenzen nach sich ziehen. Die ultimative Lösung, um zu verhindern, dass sich ein brutales fundamentalistisches Regime durchsetzt, besteht aber darin, dieses Regime durch das iranische Volk und den Widerstand abzuschaffen. Daher bedeutet die Unterstützung des Aufstands und Widerstands im Iran nicht nur Respekt vor dem Willen und der Stimme des iranischen Volkes, sondern auch eine Reaktion auf das dringende Bedürfnis nach Frieden in der Region und der Welt.

BZ: Deutschland hat sich oft "besonderer Beziehungen" zu Teheran gerühmt. Was sollte die Bundesregierung jetzt tun?
Rajavi: Leider ist die Politik Deutschlands und Europas, die auf Zugeständnissen, Verhandlungen und Sanftmut gegenüber dem Regime beruhte, gescheitert. Diese Politik hat die Mullahs als "Kopf der Schlange" des Fundamentalismus und Terrorismus nur zu mehr Unterdrückung im Inland, Kriegstreiberei und regionaler Einmischung ermutigt. Die grundlegende Tatsache ist, dass das iranische Volk die Diktatur der Mullahs nicht will und dieses Kapitel der Geschichte für immer abschließen möchte. Es ist an der Zeit, dass sich Deutschland und Europa von den Mullahs völlig lossagen. Ich empfehle den europäischen Staats- und Regierungschefs, sich die Massenkundgebung am 29. Juni in Berlin anzuhören. Einen Tag nach der Wahlfarce wollen die Iraner diese starke Botschaft an die Welt senden: "Im Iran, unter der Herrschaft des religiösen Faschismus, ist nicht die Zeit der Wahlen, sondern die Zeit der Revolution."

Maryam Rajavi

Die heute 70-Jährige war im Iran unter dem Schah-Regime eine linksgerichtete, oppositionelle Studentenführerin und ein führender Kopf der militanten Volksmudschahedin. Nach der islamischen Revolution verließ sie 1982 das Land. 1993 wurde sie im Pariser Exil zur Präsidentin des Nationalen Widerstandsrats des Iran gewählt.

Ressort: Ausland

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