Es kam der große Schnee
In Anne C. Voorhoeves Roman "Kascha Nord-Nordost" erzählt eine junge Sinta ihre Geschichte.
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Die Handlung ereignet sich Ende der 1970er Jahre nahe der Ostsee: Vom Dorf abgelehnt, lebt Kascha mit Eltern, Geschwistern und Großvater auf einem Hof in Groß-Mooren. Dada, der Vater, und die großen Brüder restaurieren in der Scheune Möbel und Musikinstrumente, die 17-jährige Schwester Zippi arbeitet in der Fischfabrik, Kascha und Bruder Janko gehen in die Schule. Eines Morgens in den Weihnachtsferien merkt Kascha, dass Zippi zu ihrem Liebsten flüchten will. Beleidigt steigt Kascha aufs Fahrrad, fährt ziellos herum, ihren kleinen Bruder im Schlepptau. Sie landen ein Dorf weiter bei Tante Lonny, die mit einem "Gadscho", also einem Nicht-Sinti, verheiratet ist. Die spontane Feindseligkeit der gleichaltrigen Cousine verblüfft: "Mami, die wollen doch nicht zum Essen bleiben?"
Nicht nur das gemeinsame Essen wird eine Katastrophe, sondern auch die Tage danach. Noch am gleichen Abend schneit es ohne Ende, es kommt zu einem Unfall, Onkel und Cousine müssen die nächste Zeit bei Natzweilers aushalten! Aber es passiert noch mehr Ungewöhnliches. Zum Beispiel, dass viele Dorfbewohner in der gut beheizten Natzweilerschen Scheune Schutz finden – und beide Seiten auftauen. Kascha hilft und staunt darüber: "Die Vielzahl gemischter Gefühle, die über mich hinwegschwappten, waren selbst für eine erfahrene Überforderte schwer zu verkraften". Ob die Freundlichkeiten anhalten werden?
Kascha ist eine wunderbare Ich-Erzählerin: neugierig, witzig, selbstironisch. Sie hat einen schönen Galgenhumor, der es schafft, selbst aus hässlichen Situationen die Pointen herauszufischen. Das macht das Lesen unterhaltsam und erträglich. Denn die Stellen, da Kascha geohrfeigt wird, mit dem Onkel den Unfall hat oder erfährt, dass ihre Tanten und die Oma im Konzentrationslager starben, gehen unter die Haut. Um so versöhnlicher wirkt ihr Erzählstil – immer um Verständnis und Aufklärung bemüht. Dabei versteht sie selbst nicht alle Bräuche und bekommt einen Riesenschrecken, als sie merkt, dass sie Dinge voraussehen kann.
So lernen wir nebenbei nicht nur die Sinti-Welt kennen, sondern erfahren auch, wie unnötig schwer die Integration für Landfahrer war und ist. Die Autorin erklärt, dass die Idee zum Buch auf einer wahren Geschichte beruht: "Während der Schneekatastrophe 1978/79 in Norddeutschland hatte es eine Sinti-Familie aus der Nähe von Cuxhaven trotz des Chaos geschafft, ihren im Krankenhaus verstorbenen Großvater zur Totenwache nach Hause zu holen. Das erzählten mir zwei ehemalige Dorfbewohnerinnen und ich wusste gleich, dass ich einen Roman daraus machen wollte." Eine gute Entscheidung.
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