Erfolgsfaktor Playlist
Wie Streamingdienste den Sound, das Songwriting von Pop und damit das Musikgeschäft beeinflussen und verändern.
Lisa Forster (dpa) / Peter Disch
Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen
Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.
Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.
AkzeptierenMehr Informationen
Inzwischen ist Streaming in Deutschland der beliebteste Weg, um Musik zu hören – und die Anbieter reagieren darauf. Das hat aber nicht nur wirtschaftliche Auswirkungen. Streaming kann auch die Art verändern, wie Musik geschrieben, aufgenommen und gehört wird. Neben den Streaming-Anbietern hat das auch für die Labels Vorteile. Durch Datenanalysen ihrer gestreamten Musik können sie sehen, wann ein Hörer wegklickt – und darauf reagieren. "Musik wird anders geschrieben, seit das Streaming so wichtig ist", erklärt der Musikwissenschaftler Martin Lücke. Zum einen sei der Anfang eines Liedes noch wichtiger geworden.
Früher galt jedenfalls die Formel: Das Intro eines Liedes darf nicht länger als 15 Sekunden sein, sonst hat der Song keine Chance, im Radio gespielt zu werden. Heute gilt: Die Plattenfirmen und damit ihre Künstler verdienen nur an einem Stream, wenn die Hörer einen Song länger als 30 Sekunden anhören. "Also versuche ich als Label alles dafür zu tun, dass der Hörer nicht wegklickt", sagt Lücke, der am Campus Berlin der Hochschule Macromedia Musikwirtschaft lehrt.
Die Musiker sind bei solchen Aussagen zurückhaltender. Der deutsche DJ Felix Jaehn sagt, er mache sich beim Musikproduzieren von solchen Überlegungen frei. "Ich muss allerdings sagen, dass die meisten meiner Songs ziemlich schnell auf den Punkt kommen und oft schon im Intro eine Hook haben." Lücke erzählt von Studien, die zeigen sollen, dass der Gesang bei Popliedern inzwischen immer früher einsetzt, um möglichst schnell die Aufmerksamkeit der Hörer zu erregen.
Neben dem Anfang eines Pophits wird die Stimmung eines Liedes wichtiger. "Ich komme nach Hause und sage zu Siri oder einem anderen Smart-Speaker: ‚Jetzt spiel mir Chill-Out-Musik‘, sagt Peter Tschmuck, der an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien lehrt. Der Großteil der Konsumenten sei nicht so sehr daran interessiert, von wem ein bestimmter Song ist. "Dinnertime Acoustics", "Deep Focus" oder "Movin" and Groovin’": Lieder, die zu bestimmten Stimmungen oder Genres passen, werden von Redakteuren oder Algorithmen Playlisten zugeordnet. Was die Relevanz betrifft, sind Playlisten die neuen Alben, sind sich Lücke und Tschmuck sicher. Playlists sind nicht anderes als eine Zusammenstellung einzelner Songs unterschiedlicher Künstler. Dadurch verliert das kompletten Album, das Künstler als Gesamtwerk inklusive einer Dramaturgie der Abfolge der einzelnen Lieder konzipierten, weiter an Bedeutung.
Eine beliebte Playlist bei Spotify heißt "Tropical House". Sie ist voller tanzbarer, poppiger Elektrohits, die nach Strandurlaub in der Südsee klingen. Jaehn ist einer der beliebtesten Vertreter des Genres. Er ist sich "ganz sicher", dass diese Liste seinen Erfolg beförderte. "Ich war einer der ersten Künstler, die 2014 über Spotify bekannt geworden sind. Mittlerweile habe ich – allein bei Spotify – fast zwei Milliarden Streams auf meinen Songs und Remixen. Das wäre sicherlich ohne die genrespezifischen Playlisten wie ‚Tropical House‘ nicht möglich."
Die wachsende Bedeutung der Playlisten verändert auch das Klangbild. In den 90ern sollten Platten möglichst laut klingen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Dafür wurden der Sound komprimiert und leise Stellen lauten angeglichen – zu Lasten eines differenzierten Klangbilds. Im Extremfall klangen Platten übersteuert. Streamingdienste passen die "Loudness", so der Fachbegriff, der Tracks an, um die Durchhörbarkeit ihrer Zusammenstellungen zu fördern. Dadurch wird die Dynamik, das Zusammenspiel von laut und leise wieder wichtiger, der Gesamtklang wieder tiefer.
Für die Labels ist es besonders wichtig, Eingang in die Playlisten zu finden, daraus ist ein neuer Schwerpunkt für Marketing- und Presseabteilungen geworden. "Es hat sich sehr schnell gezeigt, dass die Playlists ganz wichtige Tastemaker sind", sagt Tschmuck. Klar werde man von den Labels kontaktiert, erklärt Maik Pallasch, Leiter der deutschen Musikredaktion der Streamingplattform Spotify. "Aber man kann als Lizenzgeber nicht bestimmen, ob und was in die Spotify-Playlists kommt." Ein Sprecher von Apple Music möchte zur konkreten Zusammenarbeit mit Labels keine Angaben machen, betont aber ebenfalls die Unabhängigkeit der Redakteure, die die Playlisten bestücken.
Beim Marktführer Spotify existieren alleine in Deutschland 400 kuratierte eigene Playlists, die von sechs Redakteuren bestückt werden. Zusätzlich gibt es bis zu zehn persönliche Playlists, die durch Algorithmen den Hörern Musik vorschlagen. Insgesamt – inklusive der von Nutzern erstellten – gibt es über zwei Milliarden Listen, wie Pallasch informiert.
Daraus könnte sich eine Art Eigendynamik entwickeln. "Manche Songwriter haben beim Komponieren womöglich den Sound eines bestimmten, bei den Streaming-Anbietern beliebten Genres im Kopf", überlegt Lücke. "Und es wird auf jeden Fall Versuche der Labels geben, Künstler zu suchen, die in bestimmte Playlisten passen." Frank Briegmann, der Chef der Plattenfirma Universal Music, widerspricht. "Wir wählen Künstler nach ihrem Talent und Potenzial aus", sagt er. Gleichzeitig räumt er ein: "In Genres wie zum Beispiel Electronic Dance Music oder Hip-Hop, in denen der Streaming-Anteil am Geschäft besonders groß ist, werden natürlich auch passende Playlists mit in die Überlegungen einbezogen."
Wird Pop dadurch immer ähnlicher? So weit möchte die Experten nicht gehen. Dieser Vorwurf sei so alt wie die Popmusik selbst, sagt Tschmuck. Felix Jaehn ist sich sicher: "Musik funktioniert nicht nach Mustern, Formeln oder nach logischem Denken." Und auch Lücke sieht es ähnlich. Man könne zwar viel durch Datenanalysen berechnen, erklärt er. "Aber am Ende gibt es in der Popmusik immer noch den Faktor des Unbekannten – zum Glück."
Kommentare
Liebe Leserinnen und Leser,
leider können Artikel, die älter als sechs Monate sind, nicht mehr kommentiert werden.
Die Kommentarfunktion dieses Artikels ist geschlossen.
Viele Grüße von Ihrer BZ