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Psychologie

Eine Psychologin erklärt, wie man Neinsagen lernt

  • Sarah Franke

  • So, 13. Oktober 2024, 11:24 Uhr
    Gesundheit & Ernährung

     

Sogenannte People-Pleaser stellen eigene Interessen hintenan, um es anderen recht zu machen. Psychologin Ulrike Bossmann erklärt, wie wir das People-Pleasen bekämpfen - und was daran auch gut ist.

People-Pleaser haben oft das Gefühl, i...Bedürfnisse hintenanstellen zu müssen.  | Foto: Vasily Pindyurin (dpa)
People-Pleaser haben oft das Gefühl, ihre eigenen Bedürfnisse hintenanstellen zu müssen. Foto: Vasily Pindyurin (dpa)

Frau Bossmann, Sie zählen sich selbst zu den People-Pleasern. Wann haben Sie das letzte Mal etwas gemacht und zu spät gemerkt: Eigentlich will ich das gerade gar nicht?

Ich bin mittlerweile keine People-Pleaserin mehr, aber ich kenne die Tendenz von früher. Ein Beispiel: Heute habe ich eine E-Mail von zwei Abiturientinnen bekommen, die mich um ein Expertengespräch gebeten haben. Diese Situation hätte mich früher dazu eingeladen, People-Pleasing zu betreiben. Ich hätte geantwortet: Ja, klar, das mache ich – aber ohne zu reflektieren, ob ich Zeit und Energie habe und überhaupt gut und moralisch richtig finde, worum man mich bittet.

Was war früher für Sie die sprichwörtliche Falle in solchen Situationen?

Nicht noch einmal darüber nachzudenken. People-Pleaser möchten nicht, dass irgendjemand enttäuscht, traurig, irritiert oder verärgert ist. Sie sagen vorschnell Ja oder halten Kritisches zurück – und ärgern sich später.

Dennoch schreiben Sie, es sei per se nichts Schädliches daran, es anderen Menschen recht machen zu wollen. Inwiefern?

Als Menschen sind wir soziale Wesen und haben ein Bedürfnis nach Bindung. Außerdem eines nach Selbstwert. Wir tragen den Wunsch in uns, als "gut" wahrgenommen zu werden. Wir wollen hilfsbereit und freundlich sein, anderen einen Gefallen tun und uns mitfreuen. Der Unterschied zum People-Pleasing ist: Davon Betroffene sind nicht frei in ihrer Wahl. Sie denken nicht darüber nach, ob sie Zeit oder Energie haben und was sich gerade stimmig für sie anfühlt. Ihnen fehlt eine Rückkopplung nach innen.

Wie können People-Pleaser eine "Rückkopplung nach innen" lernen?

Eine Möglichkeit ist es, am Abend zu überlegen, in welchen Momenten des Tages wir Unstimmigkeiten wahrgenommen oder uns geärgert haben. Denn das kriegen wir in der Regel schon mit. Man kann sich beispielsweise fragen, nach welchen Situationen man gespürt hat: "Ach, da hätte ich etwas anders machen oder antworten sollen!" Und dann sollte man darüber nachdenken, was für einen stimmiger gewesen wäre oder woran man in Zukunft in einer ähnlichen Situation früher erkennen könnte, dass es für einen nicht passt.

In unserer Kultur neigen Frauen mehr zum People-Pleasing als Männer.

Was ebenfalls hilfreich sein kann, ist, sich regelmäßig selbst zu fragen: Wie geht es mir jetzt? Dafür kann man sich zum Beispiel einen Handywecker zu drei verschiedenen Tageszeiten stellen. Wenn dieser klingelt, atmet man dreimal tief durch und horcht in sich hinein. Was ist da gerade in mir los? Wie fühle ich mich? Was brauche ich gerade? Je häufiger ich das mache, desto mehr lerne ich, mich selbst nicht mehr zu übergehen.

Wie verbreitet ist People-Pleasing?

In unserer Kultur neigen Frauen mehr zum People-Pleasing als Männer. Eine Erklärung dafür ist, dass in unserer Kultur immer noch vorrangig Frauen als zuständig für das soziale Miteinander gelten. In kollektivistischen Kulturen weicht das dagegen auf. Denn dort sind alle fürs Kümmern zuständig sowie dafür, umsichtig miteinander zu agieren.

Aber es gibt doch sicherlich auch männliche People-Pleaser in individualistischen Kulturen?

Ja, und man muss Menschen auch immer auf einem individuellen Level betrachten. Nicht nur die Kultur und die Gesellschaft beeinflussen, wie ein Mensch sich verhält. Nach dem biopsychosozialen Modell spielen auch biologische und psychologische Faktoren eine Rolle. Wie ist ein Mensch aufgewachsen? Welche erblichen Anlagen bringt er mit? Was hat die Person in ihrem Leben erlebt? Was in unserer Lebensrealität aber schon speziell ist und People-Pleasing fördert, ist die allgegenwärtige Selbstoptimierung. Die Idee, dass man das Maximum aus dem eigenen Leben herausholen muss, ist weit verbreitet. Daraus folgt: Wer die beste Freundin, die beste Mitarbeiterin oder die beste Führungskraft sein will, muss in all diesen Rollen möglichst perfekt performen. Das funktioniert oft aber nur, wenn ich meine Selbstfürsorge vernachlässige.

"People-Pleasing kostet die eigene Lebendigkeit und Authentizität", schreiben Sie in Ihrem Buch. Wie meinen Sie das?

Wer selten macht oder sagt, was er mag oder will, um nicht unbequem zu wirken, verliert die Verbindung zu sich selbst. Man hat weniger Spaß, wenn man eigene Interessen nicht lebt oder Ziele nicht verfolgt, nur weil andere das komisch finden könnten. Die eigenen Gefühle flachen in Teilen ab, Spontaneität geht verloren, weil so viel Anstrengung da ist, um bloß "alles richtig" zu machen. Ein spontanes "O ja, das hätte ich jetzt gern" wird erst gegengeprüft mit "Ist das für alle okay?". Da bleibt leicht die Lebendigkeit auf der Strecke. Das gilt auch für die Echtheit: Die eigene Meinung wird angepasst ans Gegenüber oder die Situation, offene und ehrliche Rückmeldungen sind selten oder bleiben ganz aus. People-Pleaser gewinnen selbst zunehmend den Eindruck, die anderen haben es ja gar nicht mit mir selbst zu tun – denn ich zeige ja nur noch eine Fassade, habe eine Maske auf.

Was ist gut am People-Pleasing, für andere und für sich selbst?

Die Grundqualitäten von People-Pleasern sind absolut wertvoll. Das sind sensible, kompromissbereite, hilfsbereite und freundliche Menschen mit feinen Antennen. Ich glaube ganz fest, dass wir mehr dieser Qualitäten in der Welt brauchen. Für People-Pleaser gilt es, Impathie zu entwickeln: also ichbezogene Empathie. Sie sollten lernen, ihre Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen. In der Folge können sie andere Entscheidungen treffen und ein Leben leben, das sich für sie authentisch anfühlt.

Welche Vorteile bringt es noch mit sich, das People-Pleasing sein zu lassen?

Man gewinnt in der Regel auch ein Stück weit an Gelassenheit. Ich bin weniger gestresst, wenn ich mehr auf mich und meine Energie achte. Vielleicht kaufe ich den Kuchen für das Kita-Fest auch mal beim Bäcker, statt selbst zu backen, wenn ich gerade viel um die Ohren habe – ohne schlechtes Gewissen. Ich gewinne an Selbstsicherheit und Souveränität, wenn ich Diskurse führe und Meinungsverschiedenheiten aushalte. Dabei lerne ich außerdem, dass mich niemand verlässt, wenn ich mich zumute.

"Sich zuzumuten" kann doch zu fruchtbaren Begegnungen führen, oder?

Ja, das unterschreibe ich hundertprozentig. Wenn ich meinen verqueren Humor lebe, merke ich vielleicht auf einmal: Die Freundin lacht über den gleichen Quatsch. Das People-Pleasing-Verhalten zu verändern, macht Betroffene frei.

Ressort: Gesundheit & Ernährung

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