Account/Login

Ein Aufbruch zu neuen Horizonten

  • Thomas Schöne (dpa)

  • Fr, 05. Juli 2024
    Kultur

     

Raubgräber entdecken vor 25 Jahren zufällig die Himmelsscheibe auf einem Berg bei Nebra in Sachsen-Anhalt. Was damals niemand ahnt: Wie bedeutsam dieser Fund ist. Bis in Basel die Polizei zuschlägt.

Die Scheibe aus Nebra zeigt kalendarische Kenntnisse vor 4000 Jahren. Foto: Hendrik Schmidt (dpa)
1/2
Es ist Sonntag, der 4. Juli 1999, als gegen 15 Uhr die Sonde anschlägt. Der sehr starke, hohe Pfeifton im Kopfhörer signalisiert dem Mann, dass ein großes Metallteil dicht unter der Erdoberfläche liegen muss. Mit dem Fuß schiebt er Laub zur Seite und lockert mit einem umgearbeiteten Feuerwehrbeil das Erdreich auf. Plötzlich schlägt das Beil auf Metall. Sein Komplize kommt dazu. Die beiden Männer entdecken eine Scheibe, die zusammen mit anderen Stücken im Boden steckt. Was sie nicht ahnen: Bei der Scheibe handelt es sich um die älteste konkrete Darstellung astronomischer Phänomene weltweit.

Am Ende haben die Männer noch zwei Beile, einen Meißel, zwei zerbrochene Armspiralen und zwei Schwerter aus dem Boden geholt. Die Griffe der Schwerter sind mit Goldklammern verziert, sie müssen also wertvoll sein. Mit der Scheibe können sie nichts anfangen, sie nehmen sie mit, immerhin glänzt Gold darauf. So wird es einer der Angeklagten später im Prozess schildern, in dem es unter anderem um Fundunterschlagung ging.

Die Scheibe bleibt zunächst für die Öffentlichkeit unerreichbar. Erst am 23. Februar 2002 wird der bronzezeitliche Schatz, den die Finder verkaufen möchten, in einer krimireifen Lockvogelaktion im Hilton-Hotel Basel von der Polizei sichergestellt. Vorweggegangen waren Monate der Suche. Bereits die ersten verschwommenen Fotos von der Scheibe hatten den Landesarchäologen Harald Meller elektrisiert. Und als er das Fundstück endlich zum ersten Mal in den Händen hielt, war er überwältigt von der bildnishaften Qualität.

"Es ist ein großer Glücksfall, dass die Himmelsscheibe nach ihrer Bergung durch illegale Sondengänger für das Land Sachsen-Anhalt bewahrt werden und ihre Fundstelle sowie Echtheit festgestellt werden konnten", sagt Meller 25 Jahre später. Die Forschungen eröffneten den Menschen nicht für möglich gehaltene Einblicke in das Wissen und die Vorstellungswelt unserer Vorfahren. "Das ist ein Jahrhundertfund von weltweiter Bedeutung, wie auch die Aufnahme in das Unesco-Weltdokumentenerbe zeigt. Dieses Wissen würde uns fehlen, wäre sie im Kunsthandel verkauft worden."

Auf der etwa zwei Kilogramm schweren Scheibe mit einem Durchmesser von 32 Zentimetern befinden sich Goldauflagen, die von Archäologen als Horizontbögen, Schiff sowie Mond, Sonne und Sterne gedeutet werden. Eine Ansammlung von sieben Goldpunkten wird als Sternenhaufen der Plejaden, in einer Konstellation wie vor 3600 Jahren, gedeutet. Seit 2008 befindet sich die Himmelsscheibe in der Dauerausstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle.

Die Himmelsscheibe beflügelte die archäologische Forschung. Eines der weltweit größten Forschungsprojekte zur Bronzezeit lief zwischen 2004 und 2012. Untersucht wurden der archäologische Sensationsfund selbst und sein Umfeld. An dem Projekt mit dem Titel "Der Aufbruch zu neuen Horizonten. Die Funde von Nebra, Sachsen-Anhalt, und ihre Bedeutung für die Bronzezeit Europas" beteiligten sich 36 Wissenschaftler.

Heute ist klar, die damalige Gesellschaft war wesentlich komplexer als lange angenommen, verfügte über Fernhandelsbeziehungen und große handwerkliche Fähigkeiten. Auch weil die Scheibe topographische Bezüge zum Brockenmassiv im Harz aufweist, stammt sie, nach Expertenangaben, aus Mitteldeutschland.

Ihre Hersteller haben in einer ersten Nutzungsphase eine Schaltregel zur Harmonisierung des Mondjahres (354 Tage) und des Sonnenjahres (365 Tage) codiert. In einer zweiten Phase verschlüsselten sie uraltes kalendarisches Wissen aus der Steinzeit über die Bestimmung der Sommer- und Wintersonnenwende. Denn bereits vor rund 7000 Jahren konnten der Lauf der Gestirne und der richtige Zeitpunkt für die Aussaat bestimmt werden.

Für Sachsen-Anhalt bedeutet der Fund eine kulturelle und touristische Aufwertung. In das Besucherzentrum "Arche Nebra" in der Nähe des Fundortes der Scheibe kamen nach Angaben der Leiterin Bettina Pfaff bislang mehr als eine Million Menschen. Auch in London wurde die Scheibe bereits gezeigt.

Was zeigt die Himmelsscheibe von Nebra?

Fast 4000 Jahre ist die grüne Metallscheibe alt, die man vor 25 Jahren auf einem Acker gefunden hat. Und etwa so groß wie ein Frisbee.

Sie ist sehr schön verziert mit einem Sichelmond, goldenen Punkten, einer goldenen Scheibe, zwei Bögen. Forscher glauben, dass die Scheibe den Himmel zeigt: Sonne, Mond und Sterne. Für Bauern war damals lebenswichtig zu wissen, wann sie Getreide säen können. Mit der Himmelsscheibe wussten sie wohl, wann es so weit ist: wenn spezielle Sterne und der Mond in einem bestimmten Muster am Himmel stehen. Dass sie das vor 7000 Jahren schon wussten, hatte niemand für möglich gehalten. Bis man die Himmelsscheibe gefunden und entschlüsselt hat.

Ressort: Kultur

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 05. Juli 2024: PDF-Version herunterladen

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare

Um Artikel auf BZ-Online kommentieren zu können müssen Sie bei "Meine BZ" angemeldet sein.
Beachten Sie bitte unsere Diskussionsregeln, die Netiquette.

Sie haben noch keinen "Meine BZ" Account? Jetzt registrieren


Weitere Artikel