Dienst ohne Waffe bei den Waldensern
SERIE "WAS TUN IM AUSLAND" (TEIL 5): Yannic Federer leistet seinen Freiwilligen Ökumenischen Friedensdienst in Italien.
JuZ-Mitarbeiter Yannic Federer
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Die Cottischen Alpen. Vor uns Berge. Hinter uns Berge. Links Berge. Rechts Berge. Auf den Gipfeln liegt Schnee. Mein Redefluss versiegt für einen kleinen Moment, ich linse auf mein Konzeptblatt, dann erkläre ich weiter. Vor mir steht eine Gruppe Schweizer Konfirmanden. Ich versuche, ihnen verständlich zu machen, wie sich die Waldenser der Reformation angeschlossen haben. Wir befinden uns am historischen Waldenser-Ort Chanforan.
Reisen wir nur einige Monate in die Vergangenheit: Ich befand mich auf der Straße Richtung Abitur, sah die Masse von Ausfahrten hinter jener Grenzlinie namens Reifeprüfung und begeisterte mich für die italienische Sprache und Kultur. Nicht zuletzt der Entdeckung wegen, dass Italien nicht nur ein Gemisch aus Pizza, Spaghetti und Mafia ist.
Ich wusste, ich würde keine Waffe anfassen und weder Uniform noch Stahlhelm tragen. Und ich dachte, wenn ich schon einen Dienst ableisten muss, dann wenigstens so, dass ich möglichst viel dabei mitnehme und dabei auch noch Spaß habe. Ich hörte mich um, erfuhr, dass man anstelle eines Zivildienstes einen Ersatzdienst im Ausland ableisten konnte und stieß schließlich auf die "Arbeitsstelle Frieden" der Evangelischen Kirche in Baden, die den Freiwilligen Ökumenischen Friedensdienst anbietet.
Ich bestand das Auswahlverfahren und arbeite jetzt im Centro Culturale Valdese in Torre Pellice in Italien. Und weiß mittlerweile auch, wer diese Valdese, die Waldenser, sind. Ich habe es inzwischen oft genug erklärt. Die Waldenserkirche ist eine protestantische Kirche, deren Wurzeln weit ins Mittelalter reichen, also vorreformatorisch sind. Valdo, ein reicher Kaufmann aus Lyon, beschloss im späten 12. Jahrhundert, all seinen Besitz zu verschenken, um wie die Apostel in Armut das Evangelium zu predigen. Seine Ideen kamen an, fanden Anhänger und wurden schließlich zu einer Bewegung, die sich über ganz Europa ausbreitete. Nach einer qualvollen Zeit der Verfolgung durch die Inquisition schlossen sich die Valdo-Anhänger 1532 der Reformation an, in Chanforan. Sie wurden von den Massakern und Verfolgungen der Gegenreformation überrollt und übrig blieben am Ende die Waldenser der Cottischen Alpen, eingepfercht wie in ein "Getto", diskriminiert und ausgegrenzt.
Mit der Unterstützung des protestantischen Auslandes überlebten sie, bis sie schließlich 1848 die bürgerlichen Rechte und damit die Freiheit bekamen – wenn sie auch die religiöse Freiheit erst 1948 erreichte. Heute gibt es 45 000 Waldenser, davon leben 30 000 in Italien. Sie sind Teil der italienischen Protestanten-Minderheit. 15 000 Waldenser leben noch immer in den Tälern der Cottischen Alpen und auch wenn die Waldenserkirche heute eine protestantische Kirche ist, die in ganz Italien präsent ist, bleibt das historische und kulturelle Zentrum in jenen Tälern.
Deshalb wurde genau dort 1989 das Centro Culturale Valdese gegründet. Die Einrichtung also, in der ich meinen "Anderen Dienst im Ausland" leiste. Mit diesem Zentrum wollte man das Erbe der Waldenser besser sammeln und der Öffentlichkeit zugänglich machen.
Heute beherbergt das Centro Culturale Valdese neben seinen Büros und den Büros der Società di Studi Valdesi ein historisches und ein ethnographisches Museum, eine Bibliothek mit immerhin 85 000 Bänden, ein fotografisches und ein geschichtliches Archiv, ein Dokumentationszentrum für audiovisuelle und anderweitige Dokumentationen, Kunstausstellungsräume und ein Touristenbüro, das Führungen in den Museen und in den Tälern organisiert.
Touristen zu den Orten
führen können."
Yannic Federer, Friedensdienstler
Dieser Freiwillige Ökumenische Friedensdienst unterscheidet sich deutlich vom "normalen" Zivildienst. Grundsätzlich kann man nämlich den Zivildienst gar nicht im Ausland machen, sondern lediglich den "Anderen Dienst im Ausland". In diesem Rahmen bietet zum Beispiel die "Arbeitsstelle Frieden" der Evangelischen Kirche in Baden den so genannten "Freiwilligen Ökumenischen Friedensdienst" an – in Italien, Argentinien, Nicaragua, Rumänien, Israel, Polen und Portugal. Der größte Teil der Freiwilligen wird jedoch nach Italien in waldensische Institutionen entsandt, ins Pellice-Tal im Piemont, in die Nähe von Florenz oder nach Palermo und Riesi in Sizilien. Dieser Dienst dauert nicht wie der Zivildienst neun Monate, sondern ein ganzes Jahr.
Außerdem wird dieser Dienst nicht staatlich finanziert. Die Kosten werden vielmehr zwischen der Landeskirche, der Institution, in die man entsandt wird, und dem Freiwilligen gedrittelt. Die Landeskirche übernimmt Versicherungs- und Organisationskosten, die Institution bezahlt Unterkunft und Verpflegung und das letzte Drittel (Fahrtkosten, Taschengeld) übernimmt der Freiwillige. Der soll das aber nicht aus eigener Tasche berappen, er muss vielmehr einen Spenderkreis anwerben, den er während dem Dienst mit Berichten auf dem Laufenden hält.
Natürlich hat alles seinen Preis. Irgendwann vermisst man die zurückgelassenen Freunde, die Familie oder ganz einfach Freiburg, das im Vergleich zu einer wirklich kleinen alpinen Kleinstadt natürlich vor allem auch abends viel mehr zu bieten hat. Trotzdem: Verantwortung übernehmen, sich selbstständig in der Arbeitswelt zurechtfinden, hautnah und praktisch (also nicht blutleer und theoretisch wie in der Schule) eine fremde Kultur, eine fremde Sprache kennen und verstehen lernen, unter fremden Menschen Freunde finden, fern von seiner Heimat auf eigenen Beinen stehen und das Gefühl haben, etwas Sinnvolles zu tun, etwas Sinnvolles zu unterstützen – das sind alles Erfahrungen, die ich nicht missen wollte. Und das wichtigste von allem: Es macht tatsächlich sehr viel Spaß.
Nach einem langen Rundgang habe ich auch den letzten Punkt auf meinem Konzeptblatt erklärt. Ein paar Konfirmanden zücken ihre Digitalkameras und fotografieren das Denkmal von Chanforan, die aufgeschlagene Bibel, die Kerze mit den sieben Sternen darüber. Einige stellen Fragen, wollen mehr über dies wissen oder haben das nicht ganz verstanden. Ein oder zwei ziehen gelangweilt drein blickend wieder ihre Kopfhörer über die Ohren und drehen ihren Discman lauter. Jetzt noch ein kleiner Spaziergang zurück zum Bus, eine Viertelstunde Busfahrt – und dann habe ich Feierabend. Feierabend in den Cottischen Alpen.
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