Die Spur der Topflappen
Der Berliner Medienkünstler Georg Klein ist in Freiburg mit "Tracing Godwin" zu Gast.
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Nur einer mag sich in diesem Jahr nicht so richtig einfügen in das harmonische Bild. Sein Name ist Godwin, Mitte 20 und illegaler Flüchtling aus Nigeria. Unverwandt blickt er von einem Plakat, das in der hintersten Ecke des Schwimmbadgartens an der Mauer hängt. Davor liegen ein paar Topflappen auf dem Boden. Tritt man näher, hört man Godwins Stimme, unscharf und verhallt wie aus einer Echokammer. Er beginnt zu erzählen. Wie er vor fünf Jahren aus seiner Heimat floh, weil er sich in Europa ein besseres Leben versprach. Wie seine riskante Reise ihn durch die Sahara nach Libyen führte, von wo aus er mit Dutzenden weiterer Flüchtlinge in einem maroden Boot nach Lampedusa übersetzte und sich schließlich nach Neapel durchschlug. Zwölf Monate später tauchte dann ein erstes Foto von ihm an einer Hauswand in Osnabrück auf. In Daunenparka und Wollmütze posierte er dort mit einem Stapel Topflappen in den Händen, deren Verkauf ihm als Illegalem ohne Pass und Perspektive das Überleben sicherte. Wo Godwin heute lebt, was er treibt, ob er überhaupt existiert oder jemals existiert hat, ist ungewiss. Seine Plakatporträts, die seit geraumer Zeit in verschiedenen europäischen Städten – wie jetzt in Freiburg – auftauchen und ihn immer vor Ort beim Anpreisen seiner Topflappen zeigen, liefern allenfalls vage Hinweise. Godwin, so scheint es, ist überall und nirgends, seine temporäre Sichtbarkeit im öffentlichen Raum kaum mehr als ein blitzartiger Reflex seiner klandestinen Existenz zwischen realer Person und Kunstfigur.
Folgt man den labyrinthischen Wegen des Nigerianers durch Europa, führen sie zu Georg Klein nach Berlin. Der Medienkünstler und Komponist beschäftigt sich seit langem mit den politischen, kulturellen und alltagspraktischen Aspekten von Grenzen. Was ihn interessiert, sind ihre Auswirkungen auf unsere Erfahrung von Wirklichkeit, sind die Fakten, die sie schaffen, und die Fiktionen, die sie befördern.
Das Projekt "Tracing Godwin", das Klein 2010 nach einer Begegnung mit dem Nigerianer in Neapel startete und mit dem er schon am European Media Art Festival in Osnabrück und im Berliner Haus der Kulturen der Welt zu Gast war, macht die Definitionsmacht von Grenzen, aber auch ihre grundsätzliche Überwindbarkeit auf ebenso direkte wie komplexe Weise erfahrbar. "Meine Idee war, die sogenannten Illegalen in einer anderen, einer neuen Perspektive im öffentlichen Raum sicht- und hörbar zu machen", sagt Klein. Heute ist der 51-Jährige längst nicht mehr der einzige, der mit seinen Plakaten durch die Städte zieht. Drei Dutzend Menschen aus ganz Europa haben sich mittlerweile an Kleins Projekt beteiligt und Godwins Porträt samt QR-Code zu seiner Fluchtgeschichte an Wänden von Izmir bis Nordengland plakatiert.
Im Faulerbad und an anderen Orten in Freiburg ist "Tracing Godwin" nun als Auftakt zu einer vom Freiburger Hörspielautor Andreas Hagelüken kuratierten Reihe von Klanginstallationen zu Gast. Man könnte es perfektes Timing nennen: Einen besseren Moment als die aktuelle Debatte über Flucht, Migration und Einwanderung kann man Kleins Projekt kaum wünschen.
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