Die Spaßgeneration lacht nicht mehr
Nicht erst seit dem 11. September macht sich unter Jugendlichen und in deren Musik eine neue Ernsthaftigkeit breit.
Sebastian Lehmann
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Die neue Ernsthaftigkeit geht um. Der Spaß ist augenscheinlich vorbei. Spä- testens seit dem 11. September übt sich die Jugend in den ernsteren Tugenden. In Musik und Literatur haben die jungen Erwachsengewordenen schon länger das Kommando übernommen, im Fernsehen ist Comedy out, heute wird Quote mit Gerichts-shows gemacht, die uns "Gerechtigkeit" frei Haus liefern. Hat die Spaßgeneration jetzt wirklich das Lachen verlernt? Oder kehrt - je weiter der Attentats-und Kriegsherbst zurückliegt - doch wieder Normalität ein?
Und diese Kehrtwende ist symptomatisch für die ganze Musikszene - vor allem die britische: die leisen Töne sind "the new loud", wie es auf der Insel heißt. Und Musik war, sieht man von eintöniger Charts-Einheitsware wie Britney Spears ab, schon immer ein Abbild der jeweiligen Jugend, die sie hört. Was wären die Hippies ohne "All You Need Is Love" gewesen, was die Punks ohne "Anarchy in the UK". In letzter Zeit kann man wieder eine Politisierung der Rock-Musik erkennen, wenn man an Bands wie die Manic Street Preachers oder hierzulande an Blumfeld denkt. Und: die Musik wird ernster genommen, die Themenauswahl der Texte geht weg von Party, hin zu ernsten gesellschaftlichen Problemen. 1994 sangen Oasis im größten Britpop-Boom: "I'm feeling Supersonic/Give me Gin and Tonic". Die neue Single von den Soft-Poppern Starsailor heißt "Alcoholic" und erzählt von einem alkoholkranken Vater.
Diese neue Ernsthaftigkeit in der Musik spiegelt die Stimmung der Hörer dieser Musik, eben den Jugendlichen, wider. Seit dem 11. September wird immer deutlicher, wohin der Trend geht: Die Jugend sucht Sicherheit, Geborgenheit und Sinn im Angesicht von Terror und Krieg - beides Symptome, die die Hilflosigkeit der "Mächtigen" signalisieren. Es gibt keine Lösungen für die Probleme dieser Welt. Geborgenheit kann die Jugend gerade jetzt nicht finden, - aber es gibt ja das Fernsehen, das uns gerne genau das zeigt, was wir sehen wollen. Am Nachmittag, also zur besten Schülerfernsehzeit, erleben gerade Gerichts-Shows, in denen fiktive, oft genug absurde Fälle entschieden werden, ein Quotenhoch. Von den schauspielernden Richtern werden uns da Sicherheit und Gerechtigkeit vorgegaukelt, die es in unserer echten Welt so nicht gibt. In der fiktiven Welt aber bekommt der Täter seine gerechte Strafe und was weiter geschieht interessiert gar nicht: auf dem nächsten Sender läuft schon die nächste Show. Allerdings kaum mal eine Comedy-Show wie vor ein Jahren noch - die sind fast ganz vom Bildschirm verschwunden. Wer schaut denn heute noch Stefan Raab?
Aber der Drang nach Geborgenheit äußert sich nicht nur in einer anderen Verblödung der Gesellschaft mittels niveaulosem Fernsehen, sondern auch in dem dringenden Bedürfnis nach verlässlicher Information. Ausgerechnet die ist aber in Kriegszeiten nicht gerade einfach zu haben. Also erfreuen sich ersatzweise die politischen Talkshows großer Beliebtheit, bei Sabine Christiansen oder Maybrit Illner erzählen uns allwöchentlich Guido Westerwelle, Franz Müntefering und Co., dass es keinen Anlass zur Beunruhigung gäbe. Dabei beschäftigen sich die Parteien lieber mit sich selbst, als die Weltpolitik im Auge zu behalten, wie man an den ewig um Grundsätze diskutierenden Grünen sieht oder an der kanzlerkandidatenlosen CDU. Also flüchten junge und alte Wähler lieber in die Traumwelt von Harry Potter, wo nichts wirklich ist und man fröhlich auf einem alten, gemütlichen Schloss rumzaubern kann.
Fehlt noch die neue deutsche Literatur, die ja vor nicht allzu langer Zeit vor allem als Popliteratur bekannt war. Davon will allerdings heute keiner mehr was wissen. Vergessen ist der oft witzige Blick in das Alltagsleben junger Menschen: auch hier ist der Ernst eingezogen. Autoren wie Christian Kracht, der 1995 mit "Faserland" im Grunde die deutsche Popliteratur erst richtig populär gemacht hat, wendet sich heute dem Leben in großer Ernsthaftigkeit zu. In seinem neuen Roman "1979" erzählt Kracht nun von Arbeitslagern in China, - vergessen sind die Hamburger Drogenpartys aus "Faserland". Selbst Benjamin von Stuckrad-Barre, der poppigste von allen, mittlerweile mit eigener Show auf MTV, wandte sich mit "Blackbox" schon ernsten Themen zu.
Auf allen gesellschaftlichen Ebenen hat die neue Ernsthaftigkeit Einzug gehalten - und das ist eine Entwicklung, die nicht am 11. September ausgelöst wurde. Der 11. September hat sie nur beschleunigt. Und deswegen kann diese Unlust am Witzigen auch nicht vorübergehend sein. Die Ernsthaftigkeit ist eine nachvollziehbare Reaktion auf die Entwicklungen der letzten Jahre. Konsequent wurde alles in unser Gesellschaft ausgeblendet, was uns den Spaß verderben hätte können: das Leid auf der ganzen Welt und auch die eigenen Probleme, wie die Arbeitslosigkeit. Viel lieber wurde in Talkshows Mode diskutiert als, zum Beispiel, die Aids-Problematik.
Aber ewig kann man diese Probleme nicht aus der kollektiven Wahrnehmung streichen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie eben doch wahrgenommen werden mussten. Die schrecklichen Anschläge in New York waren der Höhepunkt dieser Entwicklung. Auf ein Mal war alles präsent, die Anschläge legten die Hilflosigkeit der westlichen Länder offen. Diese Hilflosigkeit spüren die Jugendlichen und reagieren mit dieser neuen Ernsthaftigkeit. Das zeigt, dass die Abwehrmechanismen unserer Gesellschaft noch immer bestens funktionieren, allerdings auf eine neue Weise.
Die Jugendlichen blenden ernste Themen nicht mehr aus, sondern - im Gegenteil - fliehen geradezu ins Ernsthafte. Diese Flucht kann unterschiedlich ausfallen: Entweder lassen sich die Jugendlichen von Gerichts-Shows und Polit-Talks berieseln oder ihre Ernsthaftigkeit wird zu einer Art Selbstmitleid, wie bei der Band Starsailor, die sich aktuell gerne in Perspektivlosigkeit suhlt. Es fehlt das Anpacken der Probleme, wie es zum Teil der Britpop Mitte der Neunziger forderte. Und wahrscheinlich ist es das, was der Musik und damit auch der Jugend zur Zeit ein bisschen fehlt.
"Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein." Tocotronic
1995 sang die deutsche Band Tocotronic: "Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein." Das will heute offenbar keiner mehr: jeder schaut nur noch auf sich selbst. Das ist natürlich grundsätzlich auch nicht falsch, denn sonst gerät alles andere am Ende auch aus dem Blickfeld. Was könnte aber ein Ausweg sein, um nicht den Blick für die ganze Wirklichkeit zu verlieren? Der englische Schriftsteller Nick Hornby, beispielsweise, plädiert für eine aufrichtige Ernsthaftigkeit, indem er von Pathos und Mitgefühl spricht. Vielleicht könnte das helfen die Probleme des neuen Jahrtausends anzupacken. Jedenfalls sollte man die Ernsthaftigkeit grundsätzlich nicht einfach ablehnen. Aber: sie sollte nicht im Selbstmitleid enden und schon gar nicht bei Babara Salesch im Fernsehgerichtssaal stattfinden.
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