Europa
Der Kriegspräsident in Brüssel: Selenskyj beschwört Gemeinschaft mit EU
Die EU inszeniert sich als großer Helfer der Ukraine. Doch spielt sie in einer Liga mit Ländern wie Großbritannien? Beim Besuch des ukrainischen Präsidenten konnte ein anderer Eindruck entstehen.
Ansgar Haase & Michel Winde
Do, 9. Feb 2023, 21:32 Uhr
Ausland
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Stattdessen sagte Selenskyj immer wieder ein Wort: "Djakuju", danke. Danke für die Unterstützung der vergangenen Monate. Und er erklärte, warum mehr Hilfe auch im Sinne der Europäer sei. "Es wird versucht, den europäischen ‚Way of life‘ mit einem totalen Krieg zu zerstören", rief er den Parlamentariern zu. Es gehe darum, sich in einem "historischen Kampf" gegen "die antieuropäischste Kraft der zeitgenössischen Welt" zu verteidigen. "Wir Ukrainer auf dem Schlachtfeld zusammen mit Ihnen", sagte Selenskyj, der in schwarzem Pulli und olivgrüner Hose vor die Abgeordneten trat.
Die Botschaft: Man sei schon jetzt eine Schicksalsgemeinschaft. Bei einer Niederlage gegen Russland wäre es nicht nur die Ukraine, die vernichtet würde.
Dass er im Parlament nicht offensiv für Kampfjets warb, dürfte bei vielen gut ankommen. Doch auch ohne Selenskyjs direkte Bitte waren die Kampfjets Thema. EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola sagte: "Nun müssen die Staaten als nächsten Schritt erwägen, rasch weitreichende Systeme und Flugzeuge bereitzustellen." Kein Thema war jedoch, dass wegen der EU-Unterstützung für die Ukraine Millionen Menschen unter gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreisen ächzen und viele Unternehmen Existenzsorgen haben.
Aus ukrainischer Perspektive ist das nachvollziehbar.
In dem Land sterben in Russlands grausamem Krieg täglich Soldatinnen und Soldaten, Raketen regnen vom Himmel, der Strom fällt immer wieder aus und schon bald dürfte Russland eine neue Offensive starten. Auch für die Bürgerinnen und Bürger geht es ums Überleben – und eben nicht darum, ob sie sich statt Butter nur noch Margarine aufs Brot schmieren.
Am Nachmittag machte Selenskyj beim EU-Gipfel dann doch noch deutlich, dass sein Land im Kampf gegen Russland unbedingt Kampfjets braucht. "Ich habe kein Recht, ohne Ergebnisse nach Hause zu kommen", sagte er. Doch für die Europaabgeordneten und die Staats- und Regierungschefs gilt, dass im nächsten Jahr Europawahlen sind. Spätestens dann werden alle pro-ukrainischen Parteien erklären müssen, warum und in welchem Umfang die Ukraine unterstützt werden muss.
Im Parlament und beim EU-Gipfel war von dieser Herausforderung nur am Rande die Rede. Die Abgeordneten zollten Selenskyj für seine Rede langen und begeisterten Applaus. Stolz waren viele im Parlament, dass sich Selenskyj dafür entschied, erst dort zu sprechen und dann als Gast beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs aufzutauchen.
Jene, die Selenskyjs Reden am Vortag in London gehört hatten, dürften aber auch gespürt haben, dass die EU aus Sicht der Ukraine in Sachen Unterstützung in einer anderen Liga spielt als Großbritannien. In London hatte sich Selenskyj leidenschaftlich gezeigt, es gab Sätze wie diesen: "Großbritannien, Sie haben Ihre Hilfe ausgebaut, als die Welt noch nicht verstanden hat, wie man reagiert." Oder diesen: "London steht seit dem ersten Tag an der Seite von Kiew. Von den ersten Sekunden und Minuten des totalen Krieges an." Vergleichbares gab es nun in Brüssel nicht von ihm zu hören.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wies am Nachmittag in einer Pressekonferenz mit Selenskyj darauf hin, dass die EU bereits Unterstützung in Höhe von 67 Milliarden Euro mobilisiert habe. Zugleich räumte sie ein: "Wir müssen noch mehr tun."
Von der Leyen weiß, dass dies in den kommenden Monaten eher schwerer als leichter werden wird. Entscheidungen in der EU lassen sich nicht so einfach treffen wie in einem Nationalstaat wie Großbritannien. Es gibt Länder wie Ungarn, die nicht auf russisches Öl verzichten wollen, oder solche wie Deutschland, die keine Kampfflugzeuge an die Ukraine liefern wollen.
Kanzler Olaf Scholz (SPD) sagte beim Gipfel, es gehe darum, ein "Zeichen der Solidarität und der Einigkeit" bei der Unterstützung der Ukraine zu setzen. Dabei ist die EU sich so einig nicht. Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni ließ es sich am Rande des Gipfels nicht nehmen, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für seine Einladung an Selenskyj am Vorabend zu kritisieren. Diese Einladung sei "unangebracht" gewesen.
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