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"Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt"

  • Di, 20. Dezember 2022, 10:45 Uhr
    Verlagsthema

     

Verlagsthema BZ-Interview mit IHK-Hauptgeschäftsführer Dieter Salomon zum Ringen der Arbeitgeber um gutes Personal. Firmen fast aller Branchen suchen Mitarbeitende.

Dieter Salomon (62) ist Hauptgeschäftsführer der IHK Südlicher Oberrhein in Freiburg. Foto: Michael Bode für die IHK Südlicher Oberrhein
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Die Unternehmen in Südbaden beklagen die Knappheit an passendem Personal für offene Stellen. Das zwingt Arbeitgeber dazu kreativ zu sein, um durch besondere Vorteile doch noch geeignete Bewerber anzulocken. IHK-Hauptgeschäftsführer Dieter Salomon sieht aber auch die Politik in der Verantwortung, wie er im Gespräch mit Holger Schindler erläutert.

BZ:
Welche Rolle spielt in Ihrem Arbeitsalltag das Thema Arbeitskräftemangel?
Dieter Salomon: Aktuell halten mich persönlich und unser Haus natürlich auch die Themen Ukrainekrieg und Pandemie sehr auf Trab, aber der Fachkräftemangel ist eigentlich das, was uns am allermeisten beschäftigt, weil das quer durch alle Branchen praktisch allen auf den Nägeln brennt – und das schon seit einiger Zeit. Das Verblüffende ist, dass bislang weder die Corona-Krise noch die konjunkturelle Abkühlung daran etwas geändert haben.

BZ: Wie kommt das?
Salomon: Wir haben, so habe ich es wahrgenommen, 15, 20 Jahre davon gesprochen, dass der demografische Wandel kommt. Jetzt aber realisieren wir, dass wir mittendrin stecken und dass das wahrscheinlich noch Jahre so weitergeht, dass uns jedes Jahr Hunderttausende Arbeitskräfte fehlen – allein dadurch, dass die Babyboomer jetzt in Ruhestand gehen und unten nur noch gut die Hälfte nachrückt. Das ist ein Problem. Nun fehlen dem Handwerk Leute, genauso wie sie in den IHK-Berufen fehlen – in quasi allen Bereichen. Vielleicht ergibt sich durch die zu erwartende Abkühlung der Baukonjunktur dort etwas Entspannung. Das wird sich zeigen. Heute aber merkt jeder im Alltag, dass Mitarbeiter fehlen, etwa weil Öffnungszeiten reduziert werden.

BZ: Welche Möglichkeiten sehen Sie, um das Problem zu lösen oder wenigstens abzumildern?
Salomon: Es gibt meines Erachtens vier wesentliche Stellschrauben, die unterschiedlich wirkungsvoll sind. Die größte Stellschraube ist die Zuwanderung – allerdings überzeugen mich da die Konzepte bislang noch nicht. Das bestehende Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist in der Praxis eher ein reines Akademiker-Einwanderungsgesetz, weil im akademischen Bereich die Anerkennung von Abschlüssen noch am ehesten funktioniert. Bei vielen kaufmännischen, technischen oder gewerblichen Berufen ist das jedoch viel schwieriger mit der Anerkennung von deutscher Seite. Wir benötigen im Prinzip ein Punktesystem, womit sichergestellt wird, dass jene Leute kommen, die tatsächlich benötigt werden. Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass die Fachkräfte global keineswegs Schlange stehen, um nach Deutschland zu kommen. Es bleibt also viel zu tun. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung müssten wir die Nettozuwanderung nach Deutschland vervierfachen.

BZ: Und die drei übrigen Stellschrauben?
Salomon: Die zweite wichtige Stellschraube, über die in der Politik aber nur sehr ungern gesprochen wird, weil jeder Angst hat, dass er dafür Prügel kriegt, ist eine Erhöhung der Lebensarbeitszeit. Dabei wird es aber, davon bin ich überzeugt, keine Pauschallösungen geben, sondern vermutlich vermehrt Angebot und Anreize, länger über das bisherige Rentenalter hinaus zu arbeiten. Die dritte Stellschraube ist die Erhöhung weiblicher Beschäftigung. Da sind wir schon relativ weit, aber noch nicht am Ende. Entscheidend wird hier sein, dass die Kinderbetreuungsangebote ausreichend sind, und dass es gelingt, dass mehr Frauen von Teilzeit- in Richtung Vollzeittätigkeit gehen. Die vierte Stellschraube schließlich ist permanente Fort- und Weiterbildung. Das erhöht zwar nicht das Arbeitskräfteangebot in der Quantität, aber die Passung mit den sich wandelnden Anforderungen der Betriebe wird besser. Das betrifft insbesondere das Thema Digitalisierung der Wirtschaft.

BZ: Sie haben bisher eher auf politischer Ebene argumentiert, aber im Grund kann ja jeder einzelne Arbeitgeber im eigenen Haus selbst an diesen Stellschrauben drehen, wenn er möchte, zumindest in bestimmten Grenzen. Oder wie sehen Sie das?
Salomon: Viele Arbeitgeber werden da schon längst selbst aktiv, beschäftigen etwa Mitarbeiter nach der Verrentung weiter oder bemühen sich aktiv um Arbeitskräfte aus dem Ausland. Selbst wir als IHK kümmern uns zum Beispiel jetzt auch ums Thema Employer Branding. Das bedeutet, wir wollen versuchen, uns als Arbeitgeber wie eine Marke zu etablieren – und so letztlich auf dem Arbeitsmarkt attraktiver zu werden. Das wird bei uns auf Geschäftsleitungsebene behandelt.
BZ: Was können Betriebe tun?
Salomon: Ein wichtiger Punkt dabei ist heute, speziell für jüngere Arbeitnehmer, die Frage der Sinnhaftigkeit eines Unternehmens und eines Jobs. Das klingt jetzt sehr hochgestochen, aber die Leute sagen, wenn ich mir aussuchen kann, wo ich hingehe, will ich natürlich irgendwo arbeiten, wo ich abends das Gefühl habe, wenn ich heimkomme: Ich habe jetzt auch was Gutes getan. Das wäre vor zehn Jahren lediglich ein Nebenaspekt gewesen. Heute tritt das schon in den Vordergrund. Und dann geht es auch um Goodies oder Benefits, etwa betriebliches Gesundheitsmanagement, Zuschuss zum Fitnessstudio, Zuschuss zur Regio-Karte, Jobrad, Kantine oder Essenzuschuss und so weiter und so weiter. Da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Auf jeden Fall müssen sich Arbeitgeber überlegen, wie sie besonders anziehend sein können.
Wer sich jetzt überlegt, nach Südbaden zurückzukehren, kann sich hier nach den passenden Stellenangeboten umschauen.

Ressort: Verlagsthema

Dossier: Heimkommen

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 24. Dezember 2022: PDF-Version herunterladen

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