Türkei
Deniz Yücel nennt das Urteil gegen sich "politisch"
Der frühere Türkei-Korrespondent der "Welt" wird in der Türkei wegen "Terrorunterstützung" zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Yücel spricht von einer Blamage des türkischen Staats.
Gerd Höhler & dpa
Do, 16. Jul 2020, 21:14 Uhr
Ausland
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Beendet ist der Fall mit dem Richterspruch vom Donnerstag nicht: Der Anwalt Veysel Ok kündigte Berufung gegen das Urteil an. Wie außerdem das Gericht bekanntgab, laufen zwei weitere Verfahren gegen Yücel, wegen Beleidigung des türkischen Präsidenten und des Staates.
Die Verhaftung des deutschen Journalisten im Februar 2017 führte zu schweren Spannungen zwischen Berlin und Ankara. Zehn Monate lang saß Yücel in Untersuchungshaft, ohne überhaupt zu wissen, was ihm vorgeworfen wird. Staatschef Recep Tayyip Erdogan bezeichnete ihn öffentlich als "Spion" und "Terroristen". Später legte die Staatsanwaltschaft eine Anklage vor.
Yücel soll Propaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK gemacht haben, so die Ankläger. Vorgeworfen wurde ihm unter anderem, dass er ein Interview mit dem Vizechef der PKK, Cemil Bayik geführt hatte. Yücel habe die PKK damit als "legitime politische Organisation" hingestellt. Dass Yücel einmal vom "Völkermord an den Armeniern" geschrieben haben soll, wertete die Anklage als "Volksverhetzung". Den Vorwurf, Yücel habe auch Propaganda für die Gülen-Organisation betrieben, die Erdogan für den Putschversuch vom 15. Juli 2016 verantwortlich macht, ließen die Ankläger später wieder fallen.
Der Prozess gegen Yücel wirft ein Schlaglicht auf den Zustand der Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei. 189 Verlage, Fernsehstationen und Radiosender ließ Erdogan nach dem Putschversuch per Dekret schließen, 319 Journalisten wurden festgenommen. Heute gibt es in der Türkei nur noch eine Handvoll unabhängige Publikationen. Die meisten Verlage und TV-Sender gehören zu Konglomeraten, die von Erdogan-nahen Unternehmern kontrolliert werden. Oppositionspolitiker sagen, dass inzwischen 95 Prozent der Medien auf Regierungslinie liegen. Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RoG) führt die Türkei in ihrer globalen Rangliste der Pressefreiheit unter 180 beobachteten Staaten auf Platz 154. Nach einer Statistik des Stockholm Center for Freedom sitzen derzeit in der Türkei 82 verurteile Journalisten in Strafhaft. Weitere 95 befinden sich in Untersuchungshaft und warten auf ihren Prozess. 168 Journalisten, gegen die Haftbefehle bestehen, sind untergetaucht oder leben im Exil.
Derzeit sitzen etwa 60 Deutsche aus politischen Gründen in türkischen Gefängnissen. Dutzende weitere Deutsche werden mit einem Ausreiseverbot in dem Land festgehalten. Das Auswärtige Amt (AA) warnt in seinen Reisehinweisen: "Deutsche Staatsangehörige werden weiterhin willkürlich festgenommen, mit einer Ausreisesperre belegt, oder ihnen wird die Einreise in die Türkei verweigert." Vor allem im Zusammenhang mit "regierungskritischen Stellungnahmen in den sozialen Medien" oder wegen "Präsidentenbeleidigung" drohe Strafverfolgung, warnt das Auswärtige Amt.
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sagte der "Welt": "Die Verurteilung von Deniz Yücel zeigt vor allem eins: Die Türkei wendet sich von den gemeinsamen demokratischen Werten ab." Claudia Roth und Cem Özdemir, Grüne, schrieben: "Das unfassbare Urteil gegen Deniz Yücel wurde allem Anschein nach im Präsidentenpalast getroffen und ist zugleich ein Urteil gegen Pressefreiheit und Menschenrechte in der ganzen Türkei."
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