Das Kind mit dem geraubten Lebensbuch
Steven Tasanes Geschichte vom "Jungen ohne Namen".
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Es ist die Geschichte eines Kindes, das ohne Eltern, Geschwister oder andere Verwandte und ohne Papiere in einem Flüchtlingslager irgendwo als sogenannter unbegleiteter Minderjähriger gelandet ist. Fast allen im Lager wurde ihr "Lebensbuch", wie es Steve Tasane nennt, der sich auf einer der letzten Seiten als Autor vorstellt, auf der Flucht gestohlen, beschlagnahmt, verbrannt oder ist im Meer versunken. Deshalb nennt sich der vielleicht Zehnjährige – wie alt genau er ist, weiß er nicht – nur I. Seine Freundinnen und Freunde im Lager heißen L und E und V und O. Mit ihm und seinen selbst ausgedachten Spielen, mit denen er sich und andere Kinder vom Flüchtlingsleben abzulenken versucht, nehmen wir teil an dem deprimierenden Alltag, den "wahre Kinder in wahren Lagern während der letzten Monate überall auf der Welt erlebt haben", wie Tasane schreibt.
Es sind Erlebnisse vom Sterben der Eltern, von Gewalt auf der Flucht, von Armut und Hunger. Die Kinder sind gezwungen, heruntergefallene Brotkrumen aus dem Schlamm oder weggeworfene Apfelbutzen des Wachpersonals aus Mülleimern zu klauben. Dabei gelingt es ihnen trotz aller Widrigkeiten Gefühle von Freundschaft und Zusammenhalt zu entwickeln. Kindlich optimistisch kämpfen sie gegen ihr Schicksal an. Doch als die Planierraupen das Lager und alle die geringen Habseligkeiten, darunter auch ein paar wenige Fotos von nahen Verwandten, platt machen, droht selbst der kleine Rest von Normalität, den sie sich in dem bitteren Chaos geschaffen haben, unterzugehen. "Vielleicht glauben sie, wir würden im Schlamm verschwinden, wenn sie uns lange genug ignorieren", schreibt I.
Tasane, als Sohn von Flüchtlingen in England geboren und aufgewachsen, hat eine Erzählung geschaffen, die uns das Versagen unserer Gesellschaft hautnah fühlen lässt. Einer Gesellschaft, die angesichts des Flüchtlingselend nicht einmal in der Lage ist, wenigstens die zu schützen, die es am meisten benötigen: die Kinder.