Das Jahr ohne Sommer
VULKANAUSBRUCH I: Der größte bekannte Ausbruch vor 200 Jahren brachte weltweit Missernten, Dauerregen und Hungersnöte.
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BONN. Seuchen, Hungersnöte, Millionen Tote: Vor 200 Jahren sorgte der größte bekannte Vulkanausbruch in Indonesien für eine Katastrophe, die das Leben der Menschen weltweit veränderte.
Bis zu 100 000 Menschen sollen unmittelbar an den Folgen der Katastrophe gestorben sein. Doch die Bilanz, die der US-Kulturwissenschaftler Gillen D’Arcy Wood in seinem neuen Buch "Vulkanwinter 1816" zieht, geht von insgesamt mehr als einer Million Toten aus. Asche und Schwefelsäure verteilten sich weltweit und ließen die globalen Durchschnittstemperaturen im Folgejahr um drei Grad sinken. Das Klima geriet für drei Jahre aus dem Lot.
Selbst Tausende Kilometer entfernt litten Millionen Menschen Hunger und Not. Es war eine "Naturkatastrophe mit einem langen drachenähnlichen Schwanz", wie es im Buch heißt. In Deutschland wurde 1816 als das Elendsjahr "Achtzehnhundertunderfroren" berüchtigt, in den USA als "Eighteen hundred and froze to death". 1817 erreichte der Getreidepreis das Anderthalbfache des Niveaus von 1815. In besonders betroffenen Regionen wie im Elsass, der Deutschschweiz, Baden, Württemberg und Bayern stieg er gar auf das Zweieinhalb- bis Dreifache.
Die Katastrophe hatte weitreichende Konsequenzen für das menschliche Zusammenleben, wie D’Arcy Wood dokumentiert. Nicht nur, dass das "Weltuntergangswetter" Mary Shelley dazu inspirierte, "Frankenstein" zu schreiben und Lord Byron sein düsteres Gedicht "Darkness". In ihm heißt es: "Die Menschen, grausend in der kalten Öde, / Vergaßen ihre Leidenschaften, schrien / Nach Licht, selbstsüchtig betend."
Die USA wurden in die erste wirtschaftliche Depression gestoßen. Bauern in der chinesischen Yunnan-Provinz verkauften ihre Kinder für eine Handvoll Reis. In Indien brachten verheerende Regenfälle Jahrhunderthochwasser, die wiederum eine Cholera-Epidemie auslösten, die sich über die ganze Welt verbreitete und Millionen Menschen tötete. In Irland vernichtete der Dauerregen den sandigen, trockenen Boden, den die Kartoffel braucht, und schuf damit die Grundlage für die Kartoffelfäule: Zwischen 1816 und 1842 gab es auf der Grünen Insel 14 Kartoffel-Missernten, die dann in die "Große Hungersnot" zwischen 1845 bis 1852 mündeten. Eine Million Menschen – etwa zwölf Prozent der irischen Bevölkerung – starben. Zwei Millionen wanderten aus.
Die Not setzte allerdings auch neue Kräfte und Ideen frei. Der Chemiker Justus von Liebig wurde durch die Erinnerung an die Hungersnöte zu seinen Untersuchungen über die Bedingungen des Pflanzenwachstums angeregt. Er entwickelte die organische Chemie und führte die Mineraldüngung ein, die zu einer Steigerung der Erträge der Landwirtschaft führte. Im damals armen Württemberg habe es als Reaktion auf die Katastrophe eine "Explosion der Ideen" gegeben, erläutert der Leiter der Akademie für Natur- und Umweltschutz, Claus-Peter Hutter. So lägen die Ursprünge der Sparkassen, der Agrar-Universität Hohenheim und des Cannstatter Wasen in dem Vulkanausbruch (siehe unten). Auch die Kunst profitierte: William Turners Sonnenuntergänge sind berühmt – sie bildeten die Farbenpracht der Sonnenuntergänge in den Jahren nach dem Ausbruch ab.
D’Arcy Wood bleibt mit seinem Buch nicht in der Vergangenheit stehen: Wenn das Klimachaos durch den Tambora nur wenige Jahre gedauert und trotzdem so schreckliche Folgen hatte – was wird der Klimawandel bringen, fragt er. "Gelingt es uns nicht, die Kohlendioxid-Emissionen zurückzufahren, kommen wir der traumatisierten Welt von 1815 bis 1818 immer näher."