Wirtschaft
Darum ist der Krankenstand in Deutschland so hoch
Warum melden sich in Deutschland mehr Menschen krank als anderswo? Die Forderung nach einem Karenztag gegen das "Blaumachen" rückt die vielen Fehltage in den Fokus. Doch die Gründe liegen anderswo.
Basil Wegener
Di, 7. Jan 2025, 20:00 Uhr
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Neuer Befund zum Rekordkrankenstand in Deutschland: Nicht häufiges Blaumachen ist laut Bundesärztekammer und einer neuen Studie zufolge der Grund, sondern es sind die neue digitale Krankmeldung und verstärkte Infektionen. Ärztepräsident Klaus Reinhardt sagte in Berlin, es komme nach seiner Einschätzung "nicht in großem Stil vor", dass Menschen nur krank spielten. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland 2023 durchschnittlich 15,1 Arbeitstage krankgemeldet. Bei den Fehltagen gab es erstmals von 2021 auf 2022 einen sprunghaften Anstieg – und zwar um fast 40 Prozent, wie die neue Studie der Krankenkasse DAK-Gesundheit zeigt. Reinhardt erläuterte, in der Statistik seien die Krankschreibungen mit Einführung der elektronischen Krankschreibung (eAU) 2021 auf einem Schlag in die Höhe gegangen. Sie ersetzt den "gelben Schein" vom Arzt, die Krankschreibung auf Papier.
Der Meldeeffekt macht sogar 60 Prozent aus
Heute gebe es eine Erfassung sämtlicher Krankschreibungen zu 100 Prozent, so der Ärztepräsident. "Die hatten wir bis zur Einführung der eAU nicht, weil der Versicherte (...) den Zettel, der an die Krankenkasse ging, häufig gar nicht weggeschickt hat, sondern nur den, der an seinen Arbeitgeber ging." Laut der DAK-Studie zum deutschen Rekordkrankenstand beträgt der Meldeeffekt – je nach Diagnose – rund 60 Prozent und mehr. "Ein Drittel der zusätzlichen Fehltage ergibt sich seit 2022 zudem durch verstärkte Erkältungswellen und Corona-Infektionen", so die DAK-Gesundheit.
Das beobachtet auch Klaus Reinhardt aktuell in einer Bielefelder Stadtteilpraxis, in der er seit seiner Amtsübernahme bei der Kammer in der Regel nur noch einmal die Woche arbeitet. Von seinem Einsatz in dieser Woche berichtete er: "Da waren richtig viele Menschen." Darunter seien viele gewesen, "die eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung brauchten aufgrund eines relativ banalen Effektes". Die Patientinnen und Patienten seien deshalb am ersten Tag gekommen, "weil das die Arbeitgeber entsprechend verlangten". Dieser Effekt sei "künstlich gemacht", sagte Reinhardt. Insgesamt gingen viele auch bei Bagatellerkrankungen zum Arzt. Viele Firmen verlangten eine Bescheinigung von dort schon am ersten Krankheitstag, meinte Reinhardt.
Allianz-Chef sorgt mit Vorschlag für Empörung
Am Vortag hatte der Allianz-Vorstandsvorsitzende Oliver Bäte eine Debatte über den Krankenstand in Deutschland angestoßen. Dieser liegt statistisch im internationalen Vergleich hoch. Bäte sprach sich in einem Interview dafür aus, die Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag zu streichen. Daraufhin hagelte es Kritik, etwa vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Der DGB warnte vor Folgekosten und Ansteckungs- und Unfallgefahren durch immer zahlreichere Fälle von krank bei der Arbeit erscheinenden Personen. In der Bundesrepublik gilt – anders als in einigen anderen Ländern – seit Jahrzehnten die Lohnfortzahlung ab dem ersten Krankheitstag. Auch der CDU-Sozialflügel warnte davor, daran zu rütteln.
DAK-Vorstandschef Andreas Storm forderte, die in der Arbeitswelt bestehende "wachsende Misstrauenskultur" einzudämmen. "Unsere Studie zeigt, dass weder die telefonische Krankschreibung noch das Blaumachen die wirklichen Gründe für den sprunghaften Anstieg sind." Der Statistikeffekt durch die eAU und Erkältungswellen hätten die zentralen Rollen gespielt. Laut Klaus Reinhardt ist zudem festzuhalten, dass sich seit der Corona-Pandemie mehr Menschen generell bei Infekterkrankungen krankschreiben ließen. "Der Aspekt des Nichtansteckens hat eine andere Qualität gewonnen in den zwei, drei Jahren des Lockdowns und der Infektionsvermeidung."
Weise ein Unternehmen besonders hohe Krankenstände auf, "muss man ins Unternehmen gehen und gucken, wie die Unternehmenskultur ist", sagte Reinhardt weiter. "Vor dem rein ärztlichen Hintergrund würde man sagen: Wenn jemand krank ist, ist er krank – wenn er nicht arbeitsfähig ist, dann ist er nicht arbeitsfähig."
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