Italien
Colobraro – ein Dorf gilt als Hort des Unglücks
Flüche, der böse Blick, Amulette zur Geisterabwehr – dies ist in Italien in manchen Gegenden noch immer sehr real. Allen voran in Colobraro. Das Dorf soll der verfluchteste Ort Italiens sein.
Fr, 17. Jun 2016, 0:00 Uhr
Panorama
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Es ist für Menschen, bei denen die Aufklärung Spuren hinterlassen hat, nur schwer zu verstehen. Doch der Aberglaube ist auch in Europa weit verbreitet, nicht zuletzt in Süditalien. Colobraro in der Region Basilikata, 80 Kilometer von Matera entfernt, der europäischen Kulturhauptstadt 2019, scheint das Epizentrum für den Glauben an allerlei Übernatürliches zu sein. Bis heute nehmen die Menschen in der Umgebung den Namen des Dorfes gar nicht erst in den Mund, aus Angst vor fürchterlichen Folgen. "Quel paese", sagen sie nur – "Dieses Dorf".
Wer soviel Irrationalität für unmöglich hält, der ruft am Besten beim Bürgermeister der 1300-Seelen-Gemeinde höchstpersönlich an. "Es stimmt, der Aberglaube ist bei uns sehr weit verbreitet", bestätigt Bernardo. Er selbst halte allerdings eher wenig davon. Doch die Legende hat sich längst verselbständigt. Da ist die Dorfbewohnerin, die erzählt, dass ihre Mitschüler aus den umliegenden Dörfern Eisen berührten, wenn sie vorbei kam. Eisen gilt bei abergläubischen Italienern als Ableiter für den bösen Blick oder ähnliches Unglück. Eine andere Frau berichtet, dass Leute aus der Umgebung nicht mit ihr in den Lift steigen wollen, weil sie als "Colabrese" Pech bringe. Wer auch darin reinen Wahnsinn erkennt, der kann sich auch andere Geschichten erzählen lassen. Etwa von auffällig vielen geplatzten Autoreifen bei der Anfahrt auf das in 700 Metern auf einem der ersten Appenninen-Hügel gelegene Bergdorf. Bestätigt ist auch das Zurückweichen der Staatsgewalt angesichts des Fluchs von Colobraro: Anwohner müssen bei Verkehrskontrollen keine Sanktionen befürchten, weil die Carabinieri es nicht mit noch höheren Mächten aufnehmen und keinesfalls verflucht werden wollen. Der Name Colobraro kommt schließlich von Coluber, was auf Latein soviel wie Schlange bedeutet und bekanntlich in den Schriften der Inbegriff des Bösen ist.
Der Spuk erhielt in den 1940er Jahren neue Nahrung, als der damalige Bürgermeister bei einer Versammlung drohte, wenn man ihm nicht glaube, dann möge der Lüster an der Zimmerdecke herabfallen. Der Legende zufolge bohrte dieser sich just in diesem Moment ins Parkett. Als ein Anthropologe 1952 die Tradition der Wahrsagerinnen und Hexen im Dorf zu erkunden wagte, will er selbst Opfer des Fluchs geworden sein. Seine Mitarbeiter erkrankten, einem Gehilfen entzündeten sich die Streichhölzer von selbst in der Hose. Es war wie verhext. Das italienische Fernsehen trug mit der Weiterverbreitung des Unheils das Seine zur Legendenbildung bei.
Was also tun gegen diesen fatalen Mix aus schwarzer Magie und süditalienischer Perspektivlosigkeit? Seit Bernardo vor neun Jahren ins Amt kam, versuchen sie den Fluch zu vermarkten. Touristen aus aller Welt werden Amulette gegen den bösen Blick verkauft, im August findet ein Festival statt, in dem der ganze Horror ironisch aufgearbeitet wird. Zuletzt kam Bernardo auf die Idee, das Glück selbst herauszufordern. Für den aktuellen Jackpot in Höhe von 93 Millionen Euro im italienischen Lotto bekamen alle volljährigen Bürger einen Wettschein für eine Systemwette. Ein Sieg hätte die Wende bringen können. Aber wie sollte es anders sein? Der Gewinn blieb aus. In Colobraro reagiert bis auf weiteres das Pech.
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