Westerndrama von Chloé Zhaos
"The Rider": Aus dem Sattel geworfen
Chloé Zhao hat ein Herz für Indianer. Das zeigte bereits das preisgekrönte Spielfilmdebüt der 1982 in Peking geborenen chinesischen Filmemacherin, die in London und Los Angeles in die Schule ging, bevor sie in Massachusetts Politik studierte und in New York Filmproduktion:
Do, 21. Jun 2018, 0:00 Uhr
Kino
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"The Rider" ist wieder im Pine Ridge inszeniert, wieder ausschließlich mit Laienschauspielern, und was sie zeigen, ist ihr Leben. Allen voran er: Bei den Dreharbeiten zu "Songs" lernte die Regisseurin 2014 den jungen Cowboy Brady Jandreau kennen, einen Nachkommen der Lakota-Sioux, und war so beeindruckt von ihm, seinem empfindsamen Gesicht, seinem sanften, souveränen Umgang mit Pferden, dass sie ihn für ihren nächsten Film wollte. In der Zwischenzeit aber wurde Jandreau beim Rodeo lebensgefährlich verletzt und lag tagelang im Koma. Jetzt ist er ihr Hauptdarsteller.
Mit seinem eigenen Schicksal: Brady träumt seit Kindertagen von einer Karriere als Rodeo-Champion, etliche Turniere hat er bereits gewonnen, dann kam der Unfall, bei dem ihn ein Bulle mit voller Wucht am Kopf traf. Der Film setzt nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus ein, Brady trägt eine Metallplatte im Kopf und an der rechten Schädelhälfte eine martialische Reihe von Klammern – und hat von den Ärzten den dringenden Rat bekommen: nie wieder Rodeo, nie wieder reiten. Doch wie soll das gehen für einen indianischen Cowboy und Pferdeflüsterer, für einen Mann aus dem Pine Ridge? Was bleibt ihm dann überhaupt noch?
Die Selbstaufgabe im Alkohol oder gar der Suizid (beides ja nicht selten im Reservat, in dem die Männer nur eine Lebenserwartung von 47 Jahren haben) sind für Brady freilich keine Option, denn nach dem frühen Tod der Mutter ist er in der Verantwortung für den spielsüchtigen Vater und die geistig zurückgebliebene jüngere Schwester (Tim und Lilly Jandreau, Bradys reale Familie). Er jobbt im örtlichen Supermarkt, die Sehnsucht nach dem Pferd aber lässt ihn nicht los. Und die Rodeo-Freunde warten nur darauf, dass er wieder zurückkommt.
Die düsteren Aussichten zwischen Arbeitslosigkeit, Suff und Grasrauchen lassen den uramerikanischen Mythos vom harten Cowboy, der sich unerschrocken dem Kampf mit wilden Tieren stellt, in den Augen der abgehalfterten Existenzen nur umso heller leuchten. Mit der wuchtigen Authentizität ihres beinahe dokumentarisch daherkommenden Spielfilms gelingt Chloé Zhao da eine kitschfreie Neuinterpretation des Westerngenres.
Das Reiten durch die Weite der Landschaft, ihr Licht, ihren Wind, ihre majestätische Schönheit, die Kameramann Joshua James Richards ("God's Own Country") in elegisch langen Einstellungen und atemraubenden Totalen kongenial in Szene setzt, ist für die Nachkommen der indianischen Ureinwohner Amerikas ja nicht ein folkloristisch gepflegtes Hobby. Es ist ihre Identität selbst, ihre letzte Freiheit, ihre letzte Verbindung mit der Natur und ihrer untergegangenen Kultur.
Kein Wunder, dass Brady sich jetzt nicht einfach fügen kann. Wie er mit halb geschlossenen Lidern gegen die Müdigkeit seines Kopfes ankämpft und dabei gleichsam nach innen blickt, wo die Träume wach sind, das zeigt Jandreau mit tief berührender Intensität. Man darf sie nie aufgeben, die eigenen Träume, mahnt Bradys bester Freund Lane, der nach einem beinahe tödlichen Rodeo-Ritt im Rollstuhl sitzt und sich nur noch in Zeichensprache verständigen kann (der reale Lane Scott wurde allerdings bei einem Autounfall so schwer verletzt).
Die Träume sind größer als die Videoszenen aus Lanes oder seinen eigenen glorreichen Rodeo-Tagen, die Brady und seine Freunde in der gnadenlosen Tristesse ihrer schäbigen Wohncontainer ansehen. Unter freiem Himmel nämlich, wenn die jungen Männer singen, Gitarre spielen (Musik: Nathan Halpern) und zu Jesus als ihrem Manitu beten, wächst die Sehnsucht in Unermessliche. Aber getragen ist sie immer auf dem Rücken der Pferde. Wenn wir Brady durch die endlose Prärie reiten oder im melancholischen Zwiegespräch mit einem Pferd sehen, mögen uns die prächtigen Bilder von Freiheit und Abenteuer an den Marlboro-Mann erinnern. Dabei zeigen sie nur, wie geschickt die Werbung das Lebensgefühl jener verkauft, die Amerika schon vor Generationen aus dem Sattel geworfen hat.