Wirtschaftsunion
Als das Hartgeld in die DDR kam
Vor der politischen Einheit stand 1990 die Wirtschaftsunion.
Thomas Kaufner
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Für die DDR mit ihren 17 Millionen Bürgern bedeutete das eine beispiellose Schocktherapie, wie der Ökonom Manfred Streit schrieb. Deren Folgen sind auch 25 Jahre danach noch nicht ganz verdaut. Mitte 1990 überwog indes unbändige Freude, dass man endlich angekommen war in der Freiheit – zu der für viele eben auch der freie Zugang zu den bislang unerreichbaren Konsumfreuden des Westens gehörte. Deshalb war die D-Mark 1989/90 schnell ein zentrales Thema der friedlichen Revolution in der DDR geworden. "Wir sind das Volk" hieß es zwar anfangs auf den anschwellenden Massendemonstrationen gegen das SED-Regime, von dem auch Reisefreiheit ("Wir wollen raus!") gefordert wurde.
Doch binnen weniger Wochen wandelte sich das Bild: "Gommt die D-Mark, blei’m mir hier, gommt se nich, geh’n mir zu ihr", hallte es schon kurz nach dem Mauerfall auf den Demonstrationen in Sachsen. Auch die – selbst heute noch – umstrittenen Konditionen der Währungsunion gerieten unter den Druck der Straße: "Eins zu eins, oder wir werden niemals eins", forderten Demonstranten zur Zeit der ersten freien Volkskammerwahl im März 1990 in Ostberlin.
Das Tempo, das vom Fall der Mauer bis zum Einheitsprozess samt Währungsunion angeschlagen wurde, war atemraubend – für ein Projekt von dieser historischen Bedeutung allemal. Während die Vorbereitung der Europäischen Währungsunion viele Jahre dauerte, wurde die Einführung der D-Mark in der DDR binnen weniger Wochen geplant. Schon im Februar kündigte Bundeskanzler Helmut Kohl das Ziel Währungsunion an, drei Monate später war sie per Staatsvertrag beschlossene Sache – ein dramatischer Schwenk, nachdem bis dahin von einem behutsamen und schrittweisen Übergang von der sozialistischen Planwirtschaft in die Marktwirtschaft und einer allmählichen Annäherung von West und Ost auf dem Weg zu einem gemeinsamen Bundesstaat die Rede war.
Dafür blieb indes keine Zeit: "Allein in den vier Monaten von Oktober 1989 bis Januar 1990 hatten über 300 000 Menschen die DDR verlassen und waren in die Bundesrepublik übergesiedelt", bilanzierte die Bundesbank im Sommer 1990. "Hätte sich die Wanderungsbewegung fortgesetzt, wären die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen für beide deutschen Staaten unabsehbar gewesen." Die Politik zog also die Reißleine – und ignorierte praktisch alle Warnungen, die von Ökonomen vorgebracht wurden.
"Wir halten die rasche Verwirklichung der Währungsunion für das falsche Mittel, um dem Strom von Übersiedlern Einhalt zu gebieten", warnten die sogenannten Wirtschaftsweisen damals in einem Brief an Kohl. "Es kann nicht Sinn einer Währungsunion sein, die durch jahrzehntelange Misswirtschaft in der DDR aufgeblähten Geldbestände nunmehr im Zuge der Umwandlung in D-Mark in ihrer Kaufkraft aufzuwerten." Und weiter schrieben sie: "Es ist wohl unvermeidlich, dass die Einführung der D-Mark bei den Bürgern der DDR die Illusion erwecken muss, mit der Währungsunion sei auch der Anschluss an den Lebensstandard der Bundesrepublik hergestellt."
"Eins zu eins" folgte keiner ökonomischen Vernunft. "Mangels überzeugender ökonomischer Anhaltspunkte" habe sich "kein sachlich zwingender Umstellungskurs ermitteln" lassen, bilanzierte der Volkswirt Manfred Streit. "Die Wahl der Umstellungssätze für die Mark der DDR basierte auf einer politischen Entscheidung." Deren psychologische Bedeutung war enorm – als "Ausdruck der Solidarität unter den Deutschen", wie Kohl in seiner TV-Ansprache zum Start der Währungsunion sagte.
"Der Wechselkurs, zu dem die Ost-Mark gegen die West-Mark getauscht wurde, entsprach mit Sicherheit nicht den damaligen ökonomischen Realitäten", sagte der Ex-Bundesbankchef Karl-Otto Pöhl kurz vor seinem Tod 2014. Ein realistischer Wechselkurs wäre aber von den Ostdeutschen kaum akzeptiert worden. Rückblickend zeigte er Verständnis für den Ablauf: "Es war wie eine Lawine, die niemand stoppen konnte und wollte."
In wenigen Tagen karrten Hunderte Lastwagen die D-Mark in den Osten, die im Juli 1990 alleiniges Zahlungsmittel wurde – mit Ausnahme der DDR-Münzen bis zum Wert von 50 Pfennigen, die noch ein Jahr lang gültig blieben. Mit der am selben Tag eingeführten Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion trat auch die freie Preisbildung in Kraft, die ab sofort ostdeutsche Produkte und damit die Hersteller ins Abseits drängte.
Mit dem Westgeld auf dem Konto und im Portemonnaie erfüllten sich für Millionen DDR-Bürger jahrelang unerfüllte Konsumwünsche. "Das Ausmaß dieser Kaufwelle wird beispielhaft daran deutlich, dass in den ersten sechs Monaten nach Einführung der D-Mark in den neuen Bundesländern so viele Kraftfahrzeuge zugelassen wurden wie unter dem alten Regime im Zeitraum von fünf bis sechs Jahren", hielt die Bundesbank fest.
Die ökonomische Einheit unter Gleichen blieb indes eine Illusion. Die Wirtschaftsweisen sollten mit ihrer Warnung recht behalten: "Die Unternehmen in der DDR werden schlagartig einer internationalen Konkurrenz ausgeliefert, der sie gegenwärtig nicht gewachsen sind." Tausende Unternehmen brachen zusammen, die Arbeitslosigkeit wurde zum Massenphänomen. Falsche Preise, eine unrentable Fertigung, die geringe Produktivität, eine große Verschwendung und marode Anlagen – die Fülle der Probleme der DDR-Wirtschaft wurden nach der Währungsunion hart bestraft.
Ein Jahr später zogen die Wirtschaftsweisen denn auch eine ernüchternde Bilanz über die "Anpassungskrise der ostdeutschen Wirtschaft". Die mit der Währungsunion entstandene Euphorie sei verflogen. "Ihre Stelle haben Unsicherheit und Furcht und Bitternis besetzt. Viele haben schon aus ihren Köpfen verdrängt, dass viereinhalb Jahrzehnte sozialistischer Misswirtschaft den Grund für die wirtschaftliche Misere gelegt haben."
Volkswirte sind uneins
Kritisch ist der Chef des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn: "Es hätte besser laufen können." Nach 1996 sei das Zusammenwachsen faktisch zum Stillstand gekommen. Seinen Worten zufolge leidet die Ostwirtschaft unter einem Hochlohndiktat, das westdeutsche Tarifpartner über den Osten verhängten. "Wären die Löhne – ausgehend von dem Niveau, das sie nach der Eins-zu-eins-Umstellung hatten – der Produktivität nachgeeilt, statt ihr vorauseilen zu wollen, wäre die Produktivität schneller gestiegen und die Löhne wären letztlich schneller gewachsen."
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