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Leitartikel

25 Jahre World Wide Web: Die Bestie muss gezähmt werden

War die Zukunft nicht wunderbar damals? Als der britische Physiker und Informatiker Tim Berners-Lee vor 25 Jahren in Genf das World Wide Web erfand und seine erste Webseite im Internet veröffentlichte, ging dies einher mit einem großen, radikalen Versprechen.  

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Mehr Wissen. Mehr Fortschritt. Mehr Effizienz. Mehr Vernetzung. Mehr Geschwindigkeit. Mehr Meinungen. Mehr Offenheit. Mehr Freiheit. Und das alles ohne Fokus auf Profite. Dies ist das Wesen des WWW. Soweit die Utopie.

Wer dann in den 90er-Jahren zum ersten Mal online ging, erinnert sich an die Ehrfurcht und Euphorie, die das Krächzen eines Modems auslösen konnte. Heute ist das Höhlenmalerei. Doch schon wenige Jahre später wurde das Web zum Massenmedium – so schnell wie keine Mediengattung zuvor. Berners-Lee wollte eigentlich nur ein System entwickeln, das den Wissenschaftlern am Kernforschungszentrum Cern helfen sollte, dass wichtige Informationen nicht so schnell in Vergessenheit geraten, weil Mitarbeiter ihren Job wechselten.

Aus seiner Idee wurde das Weltgedächtnis. Nie war es einfacher für die Menschheit, auf Informationen zuzugreifen, Wissen zu teilen, miteinander zu kommunizieren und Geschichten zu publizieren – zu jeder Zeit und an jedem Ort, mobil und unterwegs, live und in Echtzeit. Das Web ist längst eine "Jetzt-sofort-alles-Maschine" (so der Publizist und Computerfachmann Peter Glaser). Es kann Diktaturen beenden und Katzen zu Weltstars machen. Das Web ist eine Haut, die sich nicht abstreifen lässt. Eine Datenwolke, die man nicht fortscheuchen kann. Eine Droge, die die Angst vor der Einsamkeit lindert. Eine Technologie, die Industrien auf den Kopf stellt und jene bestraft, die träge sind.

Das Netz ist allgegenwärtig, und es nervt nicht nur dann, wenn wieder elf Eilmeldungen und ungelesene Mails im Posteingang lauern. Die US-Internetpionierin Esther Dyson beschreibt dies so: "Früher automatisierten Maschinen die Arbeit, so dass wir mehr Zeit für andere Sachen hatten. Heute automatisieren Maschinen die Produktion von Information, so dass uns Zeit geraubt wird."

Tatsächlich ist das Urversprechen des Web in Gefahr, das immer mehr zur Bestie wird. Bedrohungen gibt es viele. Wer im Web unterwegs ist, ist dort nackt unterwegs. Das Rohöl des 21. Jahrhundert sind die Daten, die wir im Netz hinterlassen. Was geben wir alles preis, das niemanden etwas angeht – und wer hat Zugriff darauf? Wie können wir unsere Privatsphäre schützen, wenn Geheimdienste das Netz durchleuchten? Wem können wir vertrauen, wenn Spam-Bots Bewertungen manipulieren? Wer kontrolliert die Macht von Konzernen wie Google, Amazon oder Facebook, die auf ihren Märkten zunehmend Monopole besitzen? Wer stoppt Regierungen, die das Netz zensieren wollen?

Und es ist keine absurde These, dass im World Wide Web die Wiege steht für den großen Hass, der den politischen Diskurs in diesen Tagen vergiftet. Schuld daran ist auch die blaue Giftspritze Facebook. Der Facebook-Algorithmus funktioniert wie eine Echokammer. Er sorgt dafür, dass die Menschen auf Facebook nicht eine ausgewogene Vielfalt an Meinungen sehen, sondern immer die Gleichen, die ihr Weltbild zementieren. Noch dazu führt Facebooks Mechanik der Likes und Shares dazu, dass nicht differenzierte Argumente Gehör finden, sondern Polemik, Hetze und Gebrüll.

Grundlage dafür ist die Meinungsfreiheit. Doch Freiheit braucht Ordnung, Werte und Regeln. Tim Berners-Lee hat deshalb eine Magna Carta gefordert mit Grundprinzipien für die digitale Welt. Sie soll die Unabhängigkeit und Neutralität des Netzes sichern. Dieses WWW, das vor 25 Jahren erfunden wurde, ist eine wunderbare Idee. Es lohnt sich, sie zu schützen und für sie zu kämpfen.

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