Account/Login

20 Euro im Monat und keine Kraft für Protest

Die Armen in Johannesburg können sich beim Weltgipfel der Vereinten Nationen in ihrer Stadt kaum zu Wort melden - nachhaltige Eindrücke für die Teilnehmer.  

Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen

Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.

Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.

Akzeptieren
Mehr Informationen

The World Summit, der Weltgipfel in Johannesburg, das klang von weitem schon nach großem, irgendwie auch ein bisschen offiziellem "Abenteuer". Schließlich muss man bis zur Südspitze Afrikas reisen, um dann in Johannesburg Freunde aus Hamburg wiederzutreffen - irgendwo an einem Stand zwischen afrikanischen Holzmasken und allerlei folkloristischen Gimmicks, die hier rund um das internationale Ausstellungscenter "Ubuntu-Village" von Einheimischen feilgeboten werden.

Aber nicht so sehr "Abenteuer" ist der Arbeitstitel über den ersten Konferenztagen, sondern - zumindest unter den NGOs, den Nicht-Regierungs-Organisationen - "Selbstorganisation". Das fängt mit der langwierigen Akkreditierung über eine Jugendorganisation an. Die Akkreditierung aber nimmt sich gegen das organisierte Chaos, das die Vertreter und Delegierten hier erwartet, nur aus wie ein winziges Sandkorn im riesigen Summit-Getriebe. Nach drei Tagen hat hat schließlich auch Julia, die die Konferenz von hier aus für die Bundespressestelle beobachten soll, jeden Widerstand aufgegeben und nimmt die eigenwillige Logistik und das katastrophale Transportsystem einfach hin.

Drei Stunden dauert da allein die nächtliche "Reise" ins Hostel, das etwa eine halbe Stunde vom Village entfernt liegt. Acht Teilnehmer werden im Kleinbus von drei schwarzen Fahrern transportiert. Alle zwei Minuten fragen die uns nach dem Weg, kurbeln immer wieder an Tankstellen das Fenster runter und fragen hier und da in dunkle Ecken, aus denen sich dann ein Schwarzer auskunftswillig löst. Und tatsächlich haben wir es irgendwann geschafft und sind sicher in unserem Hostel gelandet. Nicht ohne Nebenwirkungen: denn bis dahin sind uns die nette Dame vom Bundespresseamt und das Rastalockenmädchen mit Lennonbrille neben ihr richtig handzahm vertraut.

Beim Frühstück im Hostel am nächsten Morgen huschen schwarze Hausangestellte scheu durch die Gegend, und wir fühlen uns zwischen den Holzmöbeln und den Palmen in die Kolonialzeit zurückversetzt. Dabei ist Johannesburg eine moderne Großstadt, das "New York Afrikas". Aber hier ist vieles so gegensätzlich, dass man die unterschiedlichen Eindrücke kaum zusammenbringen kann. "Apartheit ist nicht mehr in der Realität," hat ANC-Mann Frank Chikane denn auch gestern in einer Rede erklärt, "sondern in den Köpfen." Diese Rede fand wie alle NGO-Veranstaltungen im Nasrec-Center statt, auf dem ehemaligen Expo-Gelände - wie immer nach ewigen Akkreditierungsprozeduren. Nach kurzer Zeit gleicht die Halle des Centers einem Auffanglager für Summit-Gestrandete. Von Protesten ist auch hier nicht viel zu sehen. Warum? Von den Einheimischen erfahren wir, dass ein Großteil der schwarzen Bevölkerung etwa 200 Rand in Monat verdient, das sind rund 20 Euro. Da ist offensichtlich, dass Proteste nicht nur vom massiven Sicherheitsaufgebot und den Schutzschilden verhindert wird, sondern schon allein dadurch, dass Menschen unter solchen Lebensbedingungen kaum Kraft übrig haben für irgendwelche Aktionen - und sich auch den Eintritt aufs Tagungsgelände gar nicht leisten können. Wenig Sinn macht auch für die NGOs, dass das Tagungsgelände eine halbe Tagesreise vom politischen Hauptverhandlungsplatz, dem Sandton Convention-Center, liegt. Mittlerweile macht jeder Seins. Irgendwo. Irgendwie. Genau wie Frank, der amerikanische Journalist, der, weil die Computerschnittstellen im Mediencenter nicht funktionieren, gegen Abend ins Hostel geschlurft kommt, als würde er die Last der Welt auf seinen Schultern tragen.

Im Village, in Freud und Müdigkeit vereint, trotz teils regnerischer afrikanischer Wintertemperaturen von rund 20 Grad, sitzen unzählige äußerst kommunikative Menschen unter roten Cokeschirmen auf Biergartengarnituren und reden miteinander. Wenn dieser World Summit eines schafft, dann ist es auch abseits des Convention-Centers, dass Menschen aller Nationalitäten und Mentalitäten sich dank stundenlanger Busfahrten und Warteschlangenstehens zusammenfinden. Zeit bekommt hier auf dem NGO-Teil des Weltgipfels also eine neue Dimension. Keiner weiß richtig, was wo passiert, aber jeder macht mit. Konferenzbeobachterin Julia erzählt von einem kleinen Protestaufmarsch junger Leute, den sie zufällig mitbekommen hat. Der habe sogar innerhalb des Convention-Centers stattgefunden. Um was es den Protestierern ging? "Sie haben sich gegen die unmöglichen Zulassungsbestimmungen beschwert." Es ging den Jugendlichen darum, sagt Julia, sich die zugesicherten Plätze bei der NGO-Konferenz zu erkämpfen, um in ihren Heimatländern - wie geplant - auch tatsächlich etwas berichten zu können.

Ansonsten versucht hier jeder, den Gipfel auf seine Weise zu nutzen. Eine chinesische Jugendorganisation verteilt zum Beispiel Briefmarken und eine Spendenaufforderung. Und als Nelson Mandela vor den NGOs sprach, demonstrierten friedlich singend einige junge Schwarze. Und auch vor dem noch besser gehüteten Convention-Center liefen am Dienstag einige Schilder auf und ab, die Proteste kundtaten. Wirklich groß bemerkbar machen konnte sich bislang noch niemand, der mahnen oder anklagen wollte.

Egal welche Ergebnisse der Gipfel bringen wird: nachhaltig werden die Eindrücke von Jo'burg, wie es allerorten liebevoll genannt wird, auf jeden Fall für die Teilnehmer sein. Das nette Hostel, in dem wir untergebracht sind, heißt "Place to stay", aber wer hier mitgetagt hat, weiß: diese Metropole, ist für viele Tausende kein guter Platz zum Leben. Bei 200 Rand im Monat, ist nicht mal die Grundversorgung gesichert, erzählt Tumi Caye von der sozialen Bewegung Indabe. Tumi steht mit Flyern und energischem Blick gewappnet auf dem Tagungsgelände und wirbt für eine Demonstration gegen den Ausverkauf ihres Landes an Ausländer. Eine schwarze Familie muss sechs Jahre auf ein Haus warten, während die großen Unternehmen für Cash das Land an zahlungskräftige ausländische Kunden verkaufen.

Unser Fahrer nickt zustimmend als er von Tumis Protest hört. "Aber immerhin", sagt er, "ist es gut für sein Geschäft, wenn viele Leute in der Stadt sind." Und was der World Summit sonst noch bringt? Das kann doch wohl nur die Zukunft zeigen. Dem können wir nicht widersprechen - und klopfen noch einmal den afrikanischen Staub aus den Kleidern: "Yeaboh!"

Ressort: Zisch

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare


Weitere Artikel